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Urteil: VW-Abgasskandal: OLG Wien verurteilt VW zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

VW hat sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und den Vertragsabschluss arglistig veranlasst.

Das OLG Wien spricht als Berufungsgericht einem vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugbesitzer Schadenersatzansprüche gegen VW zu. Es liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch VW vor. Der Schaden tritt bereits durch den Erwerb des in Wahrheit nicht gewollten PKW ein. VW hat den Vertrag durch List bewirkt.  Eine mögliche nachträgliche Schadensbeseitigung durch das Software Update ist für den Schadenersatzanspruch irrelevant.

Ein (Finanzierungs-) Leasingnehmer, der am 27. April 2014 einen vom Abgasskandal betroffenen VW Touran vom Leasinggeber anschaffte, klagte den Hersteller Volkswagen AG auf Schadenersatz in Form von Naturalrestitution, also der Rückzahlung des Kaufpreises von EUR 29.539,00 gegen Rückgabe des Fahrzeuges (unter Abzug eines Benützungsentgeltes von knapp EUR 12.000,00). Der Kläger stützte den Schadenersatzanspruch nicht auf eine vertragliche Grundlage. Der Schaden sei mit dem Kauf des Fahrzeuges in seinem Vermögen eingetreten.

Das Erstgericht wies die Klage noch mit der Begründung ab, dass mangels Vertragsbeziehung mit VW nur deliktischer Schadenersatz möglich sei und das behauptete rechtswidrige Verhalten VW nicht zurechenbar wäre. Dagegen richtete sich die Berufung des Klägers.

Das OLG Wien als Berufungsgericht gab dem Kläger Recht, hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und verurteilte VW zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und arglistig veranlasstem Vertragsabschluss. Es legte seiner Entscheidung umfassende und klare Feststellungen zu vielen bisher offenen Fragen und Einwänden von VW zu Grunde:

1.) Softwaremanipulation
VW hat einen Motor konzipiert, der mittels Software erkannte, ob sich das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr befand, oder ob es auf dem Prüfstand einen Fahrzyklus durchfuhr. Der Motor wies damit zwei unterschiedliche Funktionalitäten auf, um zwei unterschiedliche Zwecke zu erfüllen: Eine Funktionalität für die Zulassungsbehörde zwecks Passierens des Genehmigungsverfahrens (und Einhaltung der Emissionsgrenzwerte), sowie jene andere - an sich nicht zulassungsfähige versteckte - Funktionalität für den Nutzer im Straßenverkehr. In der analogen Welt entspräche dies (wenn auch technisch realitätsfern) einem "Doppelmotor", dessen eine emissionsarme Hälfte im Zulassungsverfahren präsentiert würde, während in Wahrheit dessen - wie auch immer versteckte - emissionsintensive andere Hälfte im Straßenverkehr gestartet würde.

So einer Konstruktion (mit zwei unterschiedlichen Betriebsmodi) fehlt von vornherein jede Zulassungsfähigkeit. VW musste auch völlig klar sein, dass die Offenlegung des Straßenverkehr-Betriebsmodus (mit konzeptionell geringerer Abgasrückführung und damit höherem Nox-Ausstoß) die EG-Typgenehmigung verhindert hätte.

2.) Wissenszurechnung
Das Wissen der Vertretungsorgane um diese Softwaremanipulation ist VW im Rahmen einer deliktischen Haftung auch zurechenbar. Laut Berufungsgericht ist es nämlich denkunmöglich, dass der Vorstand von der Manipulation nichts gewusst hätte. Es genügt, wenn der damalige Vorstandsvorsitzende die Manipulation in Auftrag gegeben oder von ihrem Einsatz billigend gewusst habe. Im Übrigen obliegt der Beweis über die entsprechende Kenntnis des VW-Vorstandes ohnehin nicht dem Kläger. Es kommt eine Beweislastumkehr zum Tragen, weil es sich um allein in der Sphäre von VW liegende und nur ihr bekannte Umstände handelt.

3.) EG-Genehmigung erschlichen
VW hat sich durch die unerlaubte Abschalteinrichtung die EG-Genehmigung erschlichen. Es fehlt VW daher von vornherein an der für die tatsächliche Motorbeschaffenheit ordnungsgemäß erwirkte EG-Typgenehmigung. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung (durch eine Abschalteinrichtung) ist eine unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften.

Ob darüber hinaus die Kriterien für eine EU-rechtswidrige Abschalteinrichtung vorliegen ist unerheblich.

4.) Schadenseintritt
Der Schaden tritt bereits durch den Erwerb des in Wahrheit nicht gewollten PKW ein, nämlich eines PKW, dessen EG-Typgenehmigung auf einer versteckten Software-Funktionalität beruht, die nach Aufkommen der Wahrheit der behördlichen Entziehung unterliegt.

Entscheidend für die Beurteilung des Schadens ist daher die latente Gefahr einer Zulassungsentziehung infolge der vom Fahrzeughersteller erschlichenen EG-Typgenehmigung. Auf die Frage des individuellen Umweltbewusstseins des Fahrzeugkäufers kommt es nicht an! Auf den typischen Autokäufer kommt es an und dieser wird sich in aller Regel nicht bewusst einer Ungewissheit über die weitere Zulassungsfähigkeit seines Fahrzeuges aussetzen, sondern wird im Wissen von der wahren Beschaffenheit vom Kauf eines solchen PKW Abstand nehmen.

Laut OLG Wien hat VW jedem Erwerber eines solchen Fahrzeuges mit erschlichener EG-Typgenehmigung einen schon mit dem Erwerb eingetretenen realen Schaden verursacht.

5.) Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Das Vorgehen von VW - nämlich das bewusste Hintergehen der Behörden durch verschiedene Betriebsmodi für Abgastests am Prüfstand einerseits und den realen Fahrbetrieb im Straßenverkehr andererseits - erfolgte aus reinem wirtschaftlichen Eigennutz, um sich Absatzvorteile zu verschaffen und ist als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des §1295 Abs 2 ABGB zu qualifizieren.

VW hat aufklärungsbedürftige Umstände über die behördliche Zulassungsfähigkeit des Fahrzeuges verschwiegen. Ein Fahrzeug mit dem (Rechts-)Mangel einer erschlichenen EG-Typengenehmigung wird ohne dessen Verheimlichung typischer Weise nicht erworben.

VW hat den Fahrzeugerwerb des Klägers mittels listiger Irreführung herbeigeführt und dem Kläger gemäß § 874 ABGB Schadenersatz zu leisten.

6.) Software-Update
Auch zur Auffassung von VW, dass aufgrund des inzwischen erfolgten - behördlich auch akkordierten - Software-Updates kein Schaden mehr vorliege, findet das Berufungsgericht klare Worte:

Laut OLG ist eine nachträgliche Schadensbeseitigung durch das Software-Update für die Beurteilung der Schadenersatzansprüche generell unerheblich. In Analogie zur Vertragsaufhebung nach § 870 ABGB verwehrt es der Gesetzgeber dem Täuschenden eine begehrte Rückabwicklung durch nachträgliche Maßnahmen abzuwenden. Eine Schadensbehebung durch VW wäre überdies für den Kläger unzumutbar. Dafür reicht es aus, dass dem Kläger das Vertrauen in die technischen Fähigkeiten von VW fehlt und er nachteilige Auswirkungen durch die Schadensbehebung (Software Update) befürchtet. Warum es dem arglistigen Nicht-Vertragspartner (VW) möglich sein sollte, der vom Getäuschten (Fahrzeugerwerber) begehrten Rückabwicklung durch nachträgliche Maßnahmen welcher Art immer doch zu entgehen, kann laut OLG nicht erkannt werden.

7.) Schadenersatz aus deliktischer Haftung
Das OLG Wien verurteilte die Volkswagen AG zu einer Schadenersatzzahlung von EUR 17.910,80 Zug um Zug gegen die Herausgabe des VW Touran wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und arglistig veranlasstem Vertragsabschluss (§ 1295 Abs 2 ABGB und § 874 ABGB) .

Fazit: Das Gericht erteilt den bekannten Einwendungen von VW - es sei überhaupt kein Schaden entstanden, durch das Software Update liege kein Schaden mehr vor, es sei für alle betroffenen Fahrzeuge eine ordnungsgemäße EG-Typgenehmigung erwirkt worden, etc. - eine klare Absage.

Die Feststellungen des Gerichts, dass VW jedem Erwerber eines solchen Fahrzeuges mit erschlichener EG-Typgenehmigung einen schon mit dem Erwerb eingetretenen realen Schaden verursacht hat und Schadenersatz aus deliktischer Haftung  wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und arglistig veranlasstem Vertragsabschluss (§ 1295 Abs 2 ABGB und § 874 ABGB) zu leisten hat, sind auch im Hinblick auf die Sammelklagen des VKI gegen VW zu begrüßen.

Die ordentliche Revision ist zulässig. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig (Stand 20.04.2020).

OLG Wien 28.02.2020, 2 R 3/20f
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Klagevertreter: Wallner Jorthan RA-GmbH in Wien

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