Zum Inhalt

Urteil: § 5j KSchG ist internationale "Eingriffs-Norm"

§ 5j KSchG, der bei einer Gewinnzusage dem Verbraucher einen Anspruch auf diesen Preis gibt, ist eine international zwingende Norm mit eigenständigem Geltungswillen ("Eingriffsnorm"), die in Fällen mit Auslandsbezug unabhängig von dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht anzuwenden ist.

Der klagende Verbraucher, ein in Österreich wohnhafter österreichischer Staatsangehöriger, erhielt in Österreich von der in der Schweiz domizilierten beklagten Aktiengesellschaft vier Gewinnzusagen. Diese Gewinnzusagen, die persönlich an ihn adressiert waren, bekam er innerhalb eines halben Jahres zugesandt.

Der Kläger klagte insgesamt 314.310,01 EUR aus den vier Gewinnzusagen ein und berief sich hierbei auf § 5j KSchG, demgemäss ein Unternehmer, der Gewinnzusagen an einen bestimmten Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen bestimmten Preis gewonnen habe, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten hat.

Die Beklagte wandte unter anderem die mangelnde inländische Gerichtsbarkeit ein und dass § 5j KSchG auf diesen Sachverhalt nicht anzuwenden wäre.

Zu erwähnen ist, dass es in der Schweiz offenbar eine mit § 5j KSchG vergleichbare Bestimmung nicht gibt.

Bezüglich der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte berief sich der OGH auf den EuGH, der bei isolierten Gewinnzusagen Art 5 Nr 1 Halbsatz 1 EuGVÜ anwendet. Diese Bestimmung über den internationalen Gerichtsstand des Vertrages besagt, dass eine Person in dem Staat verklagt werden kann, in dem die Verpflichtung zu erfüllen wäre.

Die Frage nach dem anzuwendenden Recht richtet sich nach dem EVÜ. Die in Art 4 Abs 2 EVÜ enthaltene Vermutung führt zur Anwendung von schweizer Recht, da die Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat, also die schweizer Aktiengesellschaft, ihre Hauptverwaltung in der Schweiz hat. Art 4 Abs 2 EVÜ wird jedoch durchbrochen durch Art 7 Abs 2 EVÜ. Dieser besagt nämlich, dass die Anwendung einer Bestimmung, die nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichtes ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht zwingend ist, vom EVÜ unberührt bleibt. Man bezeichnete solche Bestimmungen als "Eingriffsnormen".

Diese Eingriffsnormen sind zwingende Vorschriften privat- oder öffentlich-rechtlicher Natur, die (zumindest auch) im öffentlichen Interesse erlassen wurden. Diese vorrangig geltenden Ordnungsvorschriften gelten unberührt vom Internationalen Privatrecht ausschließlich nach ihrem eigenen Anwendungswillen. Sie genießen in ihrer Anwendung daher Vorrang vor dem sonst auf diesen Sachverhalt anzuwendenden Recht eines anderen Staates. Sie sind auch rechtswahlfest, dh sie setzen sich auch gegen eine entgegenstehende Rechtswahlvereinbarung durch.

Ob eine Norm diesen internationalen Geltungswillen hat und daher vorrangig anzuwenden ist, bestimmt der Staat, der eine solche Vorschrift erlässt. Hierzu bedarf es aber keiner ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers, sondern die internationale Geltung ist durch Auslegung des Normzweckes zu ermitteln.
Im vorliegenden Fall wurde ein österreichisches Gericht angerufen. Eine österreichische Bestimmung, die ohne Rücksicht auf das sonst auf den Vertrag anzuwendenden Recht den Sachverhalt zwingend regelt, kommt daher auf jeden Fall zur Anwendung.

Der OGH sprach nun aus, dass § 5j KSchG eine solche Eingriffsnorm darstellt. Der Hauptzweck von § 5j KSchG liegt darin, die verbreitete aggressive Wettbewerbspraxis, vermeintliche Gewinnzusagen persönlich adressiert an Verbraucher zu schicken, um diese zur Warenbestellung zu motivieren, abzustellen. Mit einem derartigen Vorgehen der Unternehmer sind regelmäßig Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht verbunden. Die Mittel des Wettbewerbsrechts alleine sind jedoch nicht effektiv genug. Der Anspruch des Einzelnen auf Auszahlung des Gewinns ist also Mittel zum Zweck zur Durchsetzung von überindividuellen wirtschaftspolitischen Interessen.
Wäre § 5j KSchG nicht als Eingriffsnorm zu qualifizieren, wäre eine Umgehung dieser Regelung durch Verlegung des Sitzes der Hauptniederlassung eines Unternehmens leicht möglich.

Auch der deutsche BGH beurteilte jüngst die deutsche Parallelbestimmung zu § 5j KSchG, nämlich § 661a BGB, als Eingriffsnorm, also als Regelung mit internationalem Geltungsanspruch.

Zusammengefasst lässt sich daher sagen, dass § 5j KSchG nicht als eine Norm des Verbraucherschutzes, sondern als eine im öffentlichen Interesse erlassene, dem Gemeininteresse dienende österreichische wettbewerbspolitische Eingriffsnorm zu beurteilen ist, die der Sonderanknüpfung nach dem eigenen räumlichen Anwendungswillen des rechtssetzenden Staates unterliegt. § 5j KSchG ist eine international zwingende Norm mit eigenständigem Anwendungswillen ("Eingriffsnorm"), die in Fällen mit Auslandsbezug unabhängig von dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht anzuwenden ist.

Der Sachverhalt weist einen Nahebezug zu Österreich auf, da die Beklagte in Österreich geworben hat und der Kläger alle Gewinnanforderungsschreiben an die Beklagte von Österreich aus weggeschickt hat.

Der OGH bestätigte einen Gewinnanspruch des Klägers iHv 268.886,21 EUR gemäß § 5j KSchG, da bei den entsprechenden Gewinnzusagen ein verständiger Verbraucher bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit aufgrund der Gestaltung der Zusendungen "zumindest ernstlich für möglich halten" durfte, dass er gewonnen habe.

OGH 29.03.2006, 3 Ob 230/05b
Volltextservice
Klagevertreter: Dr. Alexander Klauser, RA in Wien

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail
unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang