Erst vor kurzem hatte der OGH wieder über den Ausgleich zwischen dem Ausbildungsinteresse einer angehenden Konzertpianistin und dem Ruhebedürfnis ihrer Nachbarn zu entscheiden.
Die Klavierspielerin hatte täglich zwischen 4 und 6 Stunden - trotz Schallschutzmaßnahmen für die Nachbarn vernehmbar - auf ihrem Flügel geübt. Zum Ausmaß der Geräuscheinwirkung wurde festgestellt, dass es nicht möglich war, Radio mit normaler Lautstärke in der Nachbarwohnung zu spielen, ohne das Klavierspiel zu hören. Die Nachbarn klagten auf Beschränkung der Übungszeit.
Gemäß § 364 Abs 2 ABGB können Immissionen dann untersagt werden, wenn sie 1. das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und 2. die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Da diese beiden Kriterien kumulativ vorliegen müssen, sind einerseits sowohl außergewöhnliche Immissionen zu dulden, wenn sie die ortsübliche Nutzung des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigen, andererseits auch Immissionen gewöhnlichen Ausmaßes, selbst wenn sie die Nutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine Beurteilung der Einwirkung als ortsüblich ist ausgeschlossen, wenn sie die Gesundheit von Menschen gefährdet.
Bei der Auslegung der Begriffe "örtliche Verhältnisse" und "ortsübliche Benutzung" ist auf die Umstände in der unmittelbaren Umgebung des betroffenen Grundstücks abzustellen, in größeren Städten wird es daher auf den Stadtteil (das Viertel) ankommen, worunter aber nicht schon einzelne Häuser oder Gassen zu verstehen sind.
In einem anderen Erk gestand der OGH einer Musikstudentin eine Übungszeit von 4 Stunden täglich als übliche und zumutbare Wohnungsbenützung zu.
Im gegenständlichen Fall bezweifelte er, dass tägliches vierstündiges Klavierspiel im 11. Wiener Gemeindebezirk als üblich angesehen werden könne und verneinte die Ortsüblichkeit.
Die wesentliche Beeinträchtigung der Nachbarwohnung sei nicht nur an der Lautstärke, sondern ebenso an der "subjektiven Lästigkeit" zu prüfen, wo es auch auf Tonhöhe, Dauer und Eigenart der Geräusche (z.B. ständige Wiederholungen, Fingerübungen) ankäme.
Aus dem allgemeinen nachbarschaftlichen Rücksichtnahmegebot und dem Zweck des § 364 Abs 2 ABGB, die langfristigen Interessen an einer Wohnungsnutzung zu schützen und einen Ausgleich zwischen Nachbarn herbeizuführen, leitet der OGH die Pflicht ab, auch zulässige Immissionen möglichst unter Schonung des davon betroffenen Nachbarn zu erzeugen.
Nach überwiegender Meinung können von Pianisten diverse Lärmschutzvorrichtungen, wie etwa
bautechnische Schallschutzmaßnahmen und das Üben unter Einsatz eines sog Dämpfers verlangt werden, letzteres allerdings nicht bei jeglichem Übungsspiel, weil dies die musikalischen
Fortschritte eines angehenden Pianisten empfindlich hemmen würde.
Im Ergebnis gab der OGH der Revision des klagenden Nachbarn Folge, wies die der beklagten Pianistin ab und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach ergänzender Erhebung des Sachverhaltes auf.
OGH 14.1.2004, 7Ob286/03i