Im Jahr 2000 investierte die Mutter der damals 10 Jahre alten Klägerin deren Erbteil nach dem Tod des Vaters in Höhe von rund 21.000 Euro eindimensional in Immofinanzaktien und wollte dafür - unter Vorlage eines Gutachtens (im Auftrag der Constantia Privatbank erstellt) von Dkfm. Wundsam die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung.
Im Gutachten von Dkfm Wundsam zu dem Schluss, dass Immofinanzaktien "mündelsicher" sein können, wenn eine entsprechende Portfoliostreuung vorgenommen wird und wenn die Verwaltung sachkundig vorgenommen wird.
Das Pflegschaftsgericht genehmigte, ohne selbst noch ein konkretes Gutachten für den Anlassfall einzuholen. Die Aktien verloren ab 2006 stark an Wert und daher klagte die Minderjährige nunmehr gegen die Republik den Differenzschaden samt Zinsen von rund 22.000 Euro ein.
Das Erstgericht wies unter Verweis auf das Gutachten von Dkfm Wundsam die Klage ab.
Das OLG Wien gab dagegen der Klage statt und argumentierte, dass ein Privatgutachten das vom Gesetz geforderte Gerichtsgutachten nicht ersetzen könne und daher das Vorgehen des Pflegschaftsgerichtes auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhe. Den - überraschenden - Einwand der Finanzprokuratur, dass auch ein Gerichtsgutachten nichts geändert hätte und die Veranlagung zu genehmigen gewesen wäre, tat das Berufungsgericht damit ab, dass es eine offenkundige Tatsache sei, dass ein eindimensionales Investment ohne Risikostreuung (wie sie sich aus § 230 Abs 2 ABGB ergibt) nicht einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entspreche.
Der OGH bestätigt zunächst die Rechtsansicht des OLG Wien: Ein Privatgutachten reicht nicht aus, sondern es ist ein Gerichtssachverständiger beizuziehen um zu beurteilen, ob das Investment einer wirtschaftlichen Vermögensanlage entspricht.
Der OGH sieht es aber nicht als offenkundige Tatsache an, dass ein eindimensionales Investment von 21.000 Euro in eine Einzelaktie einer wirtschaftlichen Vermögensanlage nicht entspricht. Er hebt die Vorurteile auf und verlangt zur Ergänzung ein Sachverständigengutachten.
OGH 23.2.2011, 1 Ob 210/10d
Kommentar:
Die Klarstellung des OGH, dass es nicht ausreichen kann, dass Gutachten, die sich Emittenten von Finanzprodukten erstellen lassen, vorgelegt werden, sondern dass jeweils vom Pflegschaftsgericht ein Gerichtssachverständiger beizuziehen ist, ist erfreulich und sollte die massiven Missstände in der Vergangenheit hintanhalten. Schließlich haben in den Boom-Jahren der Immobilienaktien Vertriebe wie der AWD diese Aktien - unter Hinweis auf das Gutachten zur "Mündelsicherheit" wie die warmen Semmeln verkauft und Pflegschaftsgerichte haben die - idR - eindimensionalen Investments zu Hauf genehmigt. Dies obwohl beide Bedingungen aus dem Gutachten Wundsam im Einzelfall idR nicht erfüllt waren: Weder gab es eine Portfoliostreuung noch eine sachkundige Vermögensverwaltung. Der AWD hat zwar immer eine "lebenslange Betreuung" versprochen, in den Schadenersatzverfahren stellt er aber klar, nie als Vermögensverwalter gehandelt zu haben.
Die Verteidigungsstrategie der Republik Österreich - vertreten durch die Finanzprokuratur - mutet allerdings seltsam an: Hätte man einen Gutachter beigezogen, dann hätte er diese Strategie der eindimensionalen Veranlagung gutgeheissen. Diese Argumente kennt man bislang eher von jenen Unternehmen, gegen die der Staatsanwalt ermittelt.
Das OLG hat daher - zu Recht - dieses Argument rasch verworfen. Der OGH will nun doch ein Gutachten eines Sachverständigen sehen. Der OGH argumentiert damit, dass in der Literatur zu § 230 Abs 2 ABGB die Notwendigkeit einer Streuung einer Veranlagung erst bei höheren Vermögenswerten gesehen wird. Das wird mit "höheren Kosten und Gebühren" argumentiert. Der OGH geht nun offenbar davon aus, dass 21.000 für ein Zehnjähriges Kind kein höheres Vermögen sei und daher eine Streuung nicht nötig wäre. Nun stellt sich aber die Frage: Wenn man nicht streut, könnte man dann allen Ernstes auf die Idee kommen, 100 Prozent des Vermögens auf eine Einzelaktie zu setzen? Wir meinen: Nie und nimmer. Schließlich soll eine Veranlagung für ein Mündel in erster Linie sicher sein (1 Ob 40/99k; 7 Ob 29/10f) und nur daneben möglichst ertragreich. Erscheint daher eine Streuung - weil das Vermögen zu gering ist - als nicht sinnvoll, dann kann man keinesfalls dieses gesamte Vermögen auf Einzelaktien setzen. Das sollte offenkundig sein und nicht eines Sachverständigengutachtens bedürfen.
Dazu kommt, dass der OGH völlig außer Acht lässt, dass auch die zweite Bedingung aus dem Gutachten Wundsam im konkreten Fall zweifelhaft scheint: Wer hätte die sachkundige Vermögensverwaltung der Einzelaktien denn vorgenommen? Die Mutter? Das Pflegschaftsgericht?
Das Mündel muss also auf den Schadenersatz warten und ein Sachverständiger kommt wieder zu einem Gutachten. Ein Grundtenor der Anlegerprozesse?