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Urteil: OGH: Gesetzwidrige Klauseln in der Unfallversicherung

Der OGH beurteilt vier Klauseln in Unfall-Versicherungsbedingungen als gesetzwidrig. Betroffen sind Anpassungen bei nachträglichen Gefahrerhöhungen, Regelungen zur Obduktion und Nachzahlungspflichten betreffend Kosten, die der Versicherer bei Vertragsbeginn übernommen hat.

Der VKI hatte im Auftrag des BMASK eine Verbandsklage gegen die VAV Versicherungs AG wegen der Verwendung von 4 Vertragsklauseln in den allgemeinen Unfall-Versicherungsbedingungen 2010 eingebracht. Der OGH bestätigt in seiner Entscheidung die Unzulässigkeit aller Klauseln.

Klausel 1 und 2: Errechnen sich bei gleichbleibender Prämie nach dem Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif niedrigere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf von zwei Monaten ab der Änderung. Auf Ihren Wunsch führen wir den Vertrag auch mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhter oder gesenkter Prämie weiter, sobald uns Ihre Erklärung zugeht (Art. 6.2. und 6.2.1.).

In den beiden Klauseln behält sich der Versicherer bei einer Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten das Recht auf Erhöhung der Prämie bzw Reduzierung der Versicherungssumme vor. Diese Regelung weicht von den einseitig zwingenden gesetzlichen Regelungen für eine nachträgliche Gefahrerhöhung in den §§ 23 ff VersVG ab. Nach den gesetzlichen Vorgaben zur Gefahrerhöhung hätte der Versicherer nämlich nicht das Recht, die Versicherungssumme bei gleichbleibender Prämie nach unten hin zu korrigieren oder alternativ die Prämie bei gleichbleibender Versicherungssumme zu erhöhen. Vielmehr wäre der Versicherer zur Kündigung gezwungen. Das in der beanstandeten Klausel vorgesehene Konzept ist daher auf eine Vertragsfortsetzung ausgelegt. Die Klauseln haben im Verhältnis zur gesetzlichen Regelung insofern einen Vorteil, weil sie unbeabsichtigt Deckungslücken vermeiden.

Andererseits wird dem Versicherungsnehmer durch die Klauseln ein Vertrag aufgezwungen, den er so (mit neuer Versicherungssumme oder neuer Prämie) unter Umständen nicht abgeschlossen hätte. Der Versicherungsvertrag könnte vom Versicherungsnehmer nach der durch die Klauseln erzwungenen Vertragsfortsetzung erst zur nächsten Hauptfälligkeit bzw. zum Ende der Versicherungsperiode aufgelöst werden.

Es ist daher zumindest zweifelhaft, ob das System der beiden Klauseln zumindest gleich günstig ist wie die gesetzlich vorgesehene Regelung, die Klauseln sind daher im Licht des § 34a VersVG unzulässig. Die zwangsweise Vertragsanpassung ist insgesamt eine Bevormundung, die leicht durch eine dem Versicherungsnehmer einzuräumende Kündigungsmöglichkeit vermieden werden könnte. Dies ist etwa in § 25 Abs 2 dt. VVG vorgesehen.

Klausel 3: Uns ist das Recht zu verschaffen, gegebenenfalls eine Obduktion durch einen von uns zu beauftragenden Arzt vornehmen zu lassen.

Die Klausel normiert eine Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls, die bei Verletzung zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann. Der OGH verweist auf die Vorentscheidung 7 Ob 113/14i. Demnach steht es nicht im Belieben des Unfallversicherers, aus der Verweigerung der Obduktion oder der Exhumierung eine Leistungsfreiheit abzuleiten. Er ist zunächst nur dann auf eine Obduktion angewiesen, wenn daraus entscheidungswesentliche Beweisergebnisse zu gewinnen sind, wenn also damit das letzte noch fehlende Glied eines vom Versicherer zu führenden Beweises geliefert werden soll. Eine Leichenöffnung oder Exhumierung "ins Blaue hinein" ist jedenfalls unzulässig. Das kommt in der Klausel überhaupt nicht zum Ausdruck.

Die Formulierung als "Verschaffungspflicht" stellt einen Anspruchsberechtigten, der nicht zugleich nächster Angehöriger ist, außerdem vor eine unklare Situation. Es bleibt unklar, ob er auf die Angehörigen einwirken muss, einer Obduktion zuzustimmen. Ein Anspruchsberechtigter, der nicht zugleich nächster Angehöriger ist, kann die Zustimmung nämlich selbst gar nicht erteilen, da nur die nächsten Angehörigen wirksam zustimmen können. Zudem ist auch unklar, wie und in welcher Form das Recht eingeräumt werden soll, da zahlreiche unterschiedliche Rechtsvorschriften bestehen. Einem durchschnittlichen Anspruchsberechtigten kann aber nicht zugemutet werden, die Obduktionsregelung im komplexen Regelwerk richtig einzuordnen. Die Klausel ist daher jedenfalls intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG.

Klausel 4: Diese Regelung gilt auch für bei Vertragsbeginn übernommene Kosten und Prämien, z.B. Gutachtenskosten, Dauerrabatte, offene Prämien, etc. Anstelle der ersten Jahresprämie (Pkt. 11.6.2) treten die übernommenen Gesamtkosten bzw. Prämien.

Die Klausel sieht im Zusammenhang mit dem sonstigen Klauselwerk vor, dass der Versicherer bei Beträgen, die er zu Vertragsbeginn freiwillig übernommen hat, im Fall einer vorzeitigen Auflösung des Versicherungsvertrages anteilig eine Rückforderung vornehmen kann. Der OGH verweist dazu darauf, dass der zweite Satz der Klausel unstrittig intransparent ist. Da die Klausel untrennbar ist, ist allein dadurch die gesamte Klausel unzulässig.

Das OLG Wien hatte zu dieser Klausel im übrigen festgehalten, dass es sich bei einem anlässlich des Vertragsbeginnes übernommenen Dauerrabatt nicht um einen von § 8 Abs 3 VersVG erfassten Vorteil handelt, der dem Kunden auf Grund der vereinbarten längeren Laufzeit zuteil wird. Vielmehr handelt es sich um eine freiwillige Aufwendung, um dem Kunden einen Wechsel schmackhaft zu machen. Außerdem trifft den Konsumenten selbst bei einer streng degressiven Rückforderung in der Mehrzahl der Fälle eine längere Rückzahlungsverpflichtung als sich aus dem Zeitraum ergeben würde, für den der Konsument dem Vorversicherer einen Dauerrabatt ersetzen müsste. Damit wird das gesetzliche Kündigungsrecht nach § 8 Abs 3 VersVG untergraben. Dasselbe gilt im Übrigen für sonstige Kosten, Prämien u.ä.

Das Urteil ist rechtskräftig.

OGH 18.2.2015, 7 Ob 53/14s
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Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, RA in Wien

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