Pensionistin eingeklemmt
In den Nachmittagsstunden des 8.6.1998 wollte eine Wiener Pensionistin die U4 in der Station Pilgramgasse in Richtung Karlsplatz besteigen. Bei Einsteigen rutsche sie aus und das linke Bein wurde im Spalt zwischen Bahnsteig und Waggon eingeklemmt. Das Signal "Zug fährt ab" ertönte und die Tür begann zu schließen. Die Frau geriet in Panik, versuchte die Türe aufzudrücken und rief um Hilfe. Die Türe ging mehrmals auf und zu und schlug auf das Bein der Pensionistin. Schließlich wurde sie von helfenden Fahrgästen in den Waggon gezogen. Die Tür schloss endgültig und der Zug fuhr ab. In der nächsten Station halfen ihr Fahrgäste auf den Bahnsteig und warteten mit ihr auf die - via Handy - herbeigerufene Rettung. Keiner der Fahrgäste hatte den Alarmknopf im Zug gedrückt und der Unfall wurde - angeblich - vom Zugführer nicht wahrgenommen.
Rissquetschwunden am Unterschenkel
Die Pensionistin blutete stark aus Rissquetschwunden am Unterschenkel. Der Heilungsverlauf war kompliziert und schmerzhaft. Das Gericht hielt vier Tage starke, elf Tage mittelgradige und immerhin 41 Tage leichtgradige Schmerzen fest.
Wiener Linien bestritten alles
Die Wiener Linien stellten zunächst - von der Geschädigten mit dem Vorfall und mit Ansprüchen auf Schadenersatz konfrontiert - den Unfall überhaupt in Abrede und bestritten im Verfahren alles. Der Unfall habe nicht stattgefunden, falls doch, so würden die Wiener Linien dafür jedenfalls nicht haften. Die Pensionistin sei selber schuld am Unfall. Der VKI sah dies nicht so und übernahm - im Auftrag des BMJ - die Führung eines Musterprozesses.
Verschuldensunabhängige Haftung
Nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) haftet aber der Betriebsunternehmer einer Eisenbahn wenn durch einen Unfall beim Betrieb der Eisenbahn ein Mensch an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt wird. Diese verschuldensunabhängige Haftung besteht nur dann nicht, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden wäre und das Betriebspersonal jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat.
Unfall war vermeidbar
Das Erstgericht verneint - nach einem aufwendigen Sachverständigen-Prozess - die Haftungsbefreiung für die Wiener Linien. Das Ereignis sei keineswegs unabwendbar gewesen. Gerät ein Fahrgast der Wiener U-Bahn in den Spalt zwischen Bahnsteigkante und Waggontüre und schließt die Türe aus diesem Grund nicht und winkt der verunglückte Passagier auch noch mit der Hand, dann muss dies für den U-Bahnfahrer erkennbar sein. Erkennt er dies nicht, kann dies nur an der Unzulänglichkeit der Überwachung einer Station oder an der mangelnden Sorgfalt des U-Bahnpersonals liegen.
Über 8000 Euro Schmerzensgeld
Der Geschädigten wurden 8321,04 Euro (114.500 Schilling) als Schmerzengeld zugesprochen. Das Urteil ist aber nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob die Wiener Linien Berufung erheben. Der Geschädigten wäre es aber zu wünschen, dass die Sache endgültig erledigt ist und die Wiener Linien in Zukunft kulanter mit Schadenersatzforderungen umgehen mögen.