Der OGH urteilte in seiner Grundsatzentscheidung zu den Prospekthaftungsansprüchen eines Aktionärs:
Die Berechtigung des gegenüber der erstbeklagten AG erhobenen Begehrens auf Schadenersatz durch Naturalrestitution wegen Verletzung der Prospektpflicht (§ 11 KMG) oder sekundärmarktrechtlicher Informationspflichten (zB § 48d BörseG) hängt grundsätzlich davon ab, ob dem aktienrechtliche Bestimmungen entgegenstehen, wie dies von der Erstbeklagten im Rekurs unter Berufung auf § 52 (Verbot der Einlagenrückgewähr), § 65 (Verbot des Erwerbs eigener Aktien) und § 47a AktG (Gebot der Gleichbehandlung aller Aktionäre) geltend gemacht wird.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen erfolgte bisher in der Judikatur nicht. In der österreichischen Lehre werden sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. Überwiegend wird ein Vorrang der Prospekthaftungsansprüche angenommen, weil ein Konflikt mit §§ 52 ff AktG gar nicht vorliege, da der Aktionär bei Befriedigung von Prospekthaftungsansprüchen nicht als solcher, sondern wie ein schadenersatzberechtigter Gläubiger behandelt werde und diese daher gar nicht causa societatis geleistet würden; die Leistung an den Aktionär stelle keine verbotene, sondern eine sachlich (betrieblich) gerechtfertigte Zahlung dar. Nach einigen Meinungen soll die Befriedigung der Schadenersatzansprüche aber nur aus frei ausschüttbaren Mitteln, also aus Gewinn(-vorträgen) und freien Rücklagen zulässig sein. Es soll auch § 225e Abs 3 iVm § 225j Abs 2 AktG analog angewendet werden, um Schadenersatz ohne Schmälerung des Nettoaktivvermögens durch Ausgabe eigener Aktien oder von Aktien, die aus einer Art nominellen Kapitalerhöhung stammen, an die Neuaktionäre zu leisten. Dem gegenüber wird auch ein Vorrang der Kapitalerhaltungsregeln vertreten. Die jüngste Auseinandersetzung mit diesem Fragenkomplex stammt von Rüffler, er plädiert für den Vorrang der Schadenersatzansprüche des Anlegers, regt jedoch eine Differenzierung zwischen Klein- und Großanlegern an.
Der erkennende Senat schließt sich der überwiegenden Meinung zum Vorrang der Prospekthaftungsansprüche an. Weder die Lex-posterior-Regel noch die Lex-specialis-Regel helfen bei der Lösung des Konflikts der europarechtlichen (ProspektRL und TransparenzRL gegenüber der KapitalRL) und der nationalen Normen (§ 52 AktG zu § 11 KMG) weiter.
Entscheidend sind die Wertungen der maßgeblichen Normen, die gegenüber zu stellen sind. Das KMG will den Anlegerschutz durch ausreichende Informationen, die dem Anleger eine sachgerechte Entscheidung ermöglichen, und durch Haftpflichten gewährleisten. Die kapitalmarktrechtlichen Normen, deren Anwendbarkeit hier in Frage steht, schützen also die ausdrücklich so bezeichneten (potentiellen) Anleger durch Normierung von ihnen gegenüber einzuhaltenden Verhaltenspflichten und behandeln den Aktionär somit wie einen Drittgläubiger. Dem gegenüber wird das Verbandsmitglied im Gesellschaftsrecht als Risikoträger angesehen, dessen Interessen hinter jenen der Drittgläubiger nachrangig sind. Unter anderem § 11 KMG schafft somit ein Recht, das Gläubigerrechten zweifellos näher steht als Aktionärsrechten. Dagegen lassen sich daher auch nicht jene Einwände erheben, die gegen die Liquidierung von Schäden aus der Verletzung von Aktionärsrechten sprechen. Die als schadenersatzberechtigter Gläubiger erhobenen Prospekthaftungsansprüche und deren Befriedigung stellen daher gar keinen Tatbestand der Einlagenrückgewähr nach § 52 AktG dar, weil sie nicht causa societatis erfolgen (in diesem Sinn auch BGH, ZIP 2005, 1270, wonach die Ersatzforderungen der Anleger nicht auf ihrer mitgliedschaftsrechtlichen Sonderbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stellung als Drittgläubiger beruhen); es ist daher auch nicht geboten, die Schadenersatzansprüche des als Drittgläubiger zu behandelnden Aktionärs auf das ausschüttbare Vermögen zu beschränken; aus diesem Grund stellt sich das Problem der Gleichbehandlung der "Aktionäre" nach § 47a AktG ebenfalls nicht.
Es besteht jedoch ein Spannungsverhältnis zwischen der kapitalmarktrechtlichen Haftung und den allgemein akzeptierten Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft und den fehlerhaften Beitritt.
Haftungsansprüche wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, insbesondere die Prospekthaftung, seien laut Stimmen in der Literatur ihrem Wesen nach Ansprüche wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten, die wegen des typischerweise gegebenen Willensmangels einer Irrtumsanfechtung sehr nahe stünden. Nach der Lehre vom fehlerhaften Verband und vom fehlerhaften Beitritt könnten aber Mängel des Gesellschafts- oder des Zeichnungsvertrags nicht mit Wirkung ex tunc (durch Irrtumsanfechtung) geltend gemacht werden, sondern nur als ex nunc wirkende Auflösungsgründe;
Schadenersatzansprüche des Aktionärs gegen die AG seien ausgeschlossen. Wenn der Aktionär als Anleger im Weg der Prospekthaftung den für die Aktien bezahlten Erwerbspreis samt Spesen und Zinsen gegen Rückgabe der Aktien erhalte, führe dies zu einem widersprüchlichen Ergebnis; ein solches würde in aller Regel auch die - in diesem Zusammenhang verpönte - Irrtumsanfechtung und der daraus sich ergebende Bereicherungsanspruch nach § 877 ABGB bringen.
Mängel des Gesellschaftsvertrags können regelmäßig nur für die Zukunft, somit mit Wirkung ex nunc, geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0018376). Es würde zu unerträglichen Ergebnissen führen, eine derart auf Dauer angelegte und tatsächlich vollzogene Leistungsgemeinschaft, für die die Beteiligten Beiträge erbracht und Werte geschaffen, die Gewinnchancen genutzt und vor allem gemeinschaftlich das Risiko getragen haben, ohne weiteres mit rückwirkender Kraft aus dem Rechtsleben zu streichen und damit so zu behandeln, als ob sie niemals bestanden hätte. Ein solches Rechtsverhältnis, beurteilt an seinen typischen Erscheinungsformen, verdient daher bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund geltend gemacht wird, im Interesse der Gesellschaft Bestandschutz, sofern nicht ausnahmsweise die rechtliche Anerkennung des von den Parteien gewollten und tatsächlich vorhandenen Zustands aus gewichtigen Belangen der Allgemeinheit oder bestimmter schutzwürdiger Personen unvertretbar ist. Rüffler zeigt dazu zutreffend auf, dass ein Schadenersatzanspruch, der dazu führt, dass die Aktien gegen Bezahlung des Erwerbspreises zurückgegeben werden, keine Rückabwicklung ex tunc bedeutet, weil der Aktionär bis zur Rückgabe der Aktien Gesellschafter bleibt, und auch keine Rückabwicklungsschwierigkeiten im Innenverhältnis bewirkt. Dennoch wird den Drittgläubigern nachträglich zwar kein Haftungssubjekt entzogen, wohl aber Vermögen zugunsten eines Aktionärs. Von der auch hier greifenden, dem Gesellschaftsrecht immanenten Teleologie, dass die Interessen des Verbandsmitglieds hinter jenen der Gläubiger zurückzutreten haben, werden aber nur die mit der Mitgliedschaft, mit der Stellung als Aktionär oder dem Beitritt selbst im Zusammenhang stehenden Ansprüche erfasst, nicht jedoch jene, die dem Aktionär als Gläubiger der Gesellschaft eingeräumt werden (oder Drittgläubigerrechten eher angenähert sind als Aktionärsrechten). Da - wie bereits dargelegt - die kapitalmarktrechtlichen Normen den "Anleger" durch Normierung von ihm gegenüber einzuhaltenden Verhaltenspflichten schützen und den Aktionär somit wie einen Drittgläubiger behandeln, steht die Lehre vom fehlerhaften Verband/Beitritt auch der Geltendmachung von kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzansprüchen nicht entgegen.
Der teilweisen Ansicht in der Literatur, aus der Wertung der Ausnahmen von der Prospektpflicht nach § 3 Abs 1 Z 9 (Mindestanlagebetrag oder Mindeststückelung 50.000 EUR) und Z 11 KMG (Angebot ausschließlich an qualifizierte Anleger), Großanleger und qualifizierte Anleger würden vom Gesetz als nicht schutzwürdig angesehen werden, abzuleiten, diesen komme der Vorrang des Kapitalmarktrechts nicht zugute, weil sie eher als Verbandsmitglieder gesehen würden, ist nicht zu folgen. Die Befreiung von der Prospektpflicht führt nur dazu, dass bei Inanspruchnahme dieser Ausnahmebestimmung eine Prospekthaftung nicht entstehen kann. Ein Ausschluss von Prospekthaftungsansprüchen eines Großanlegers oder eines qualifizierten Anlegers, der eine prospektpflichtige Emission zeichnet, ist aber dem KMG nicht zu entnehmen, weshalb es bei der unbeschränkten Möglichkeit jedes Aktionärs zu bleiben hat, im KMG vorgesehene Schadenersatzansprüche gegen die AG geltend zu machen.
Die Haftung nach § 11 KMG greift auch zwischen dem Emittenten (hier: der Erstbeklagten) und jenem Anleger (hier: der Klägerin) ein, der das Wertpapier bei einer Bank (hier: der Zweitbeklagten) erworben hat. Die Haftung wird an die im Rahmen des Gesamteindrucks zu beurteilende Fehlerhaftigkeit der Prospektangaben geknüpft, die für die Anlageentscheidung wesentliche Punkte betreffen muss. Dazu sind auch die Angaben darüber zu zählen, zu welchem Zweck das aufgebrachte Kapital eingesetzt werden soll. Dadurch, dass die Haftung nur eingreift, wenn dem Anleger der Schaden im Vertrauen auf die Prospektangaben entstand, ist klargestellt, dass der Prospektmangel für den eingetretenen Schaden kausal sein muss, also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben Grundlage der Disposition des Anlegers waren. Auf die Gründe, warum das Wertpapier oder die Veranlagung tatsächlich Verluste eingebracht hat, kommt es aber nicht an.
OGH 30.03.2011, 7 Ob 77/10i
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Klagevertreter: CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Wien