In Wahrheit zementiert der 6. Senat mit seiner jüngsten Entscheidung - es handelt sich übrigens um 6 Ob 28/12d vom 15.03.2012 - die schon im Vorjahr eingeschlagene Linie des 7. Senats. Bis zuletzt hatte die Beklagte gemeint, das Verbot der Einlagenrückgewähr stehe etwa den Anlegerklagen entgegen; die Entscheidung des 7. Senats aus dem Vorjahr wäre nur ein Versehen gewesen, oder ein Ausreißer. Aber jetzt ist es ganz klar, und es ist nichts anderes als ein Erfolg für die klagenden Anleger:
"Auch nach neuerlicher Prüfung findet der erkennende 6. Senat keinen Grund, von der der zitierten Entscheidung des 7. Senats zu Grunde liegenden Rechtsansicht abzugehen."
Die Prospekthaftungsansprüche des Kapitalmarktgesetzes und die Publizitätsvorschriften des Börsegesetzes seien nämlich Schutzgesetze. Die im Schrifttum "teils heftig geäußerte Kritik, die etwa von einem aktienrechtlichen ’Super -Gau’ spricht, (ist) schon aus tatsächlichen Gründen nicht überzeugend, entspricht doch die in 7 Ob 77/10f ausgesprochene Rechtsansicht der internationalen Entwicklung."
Eigentlich eh klar: Wozu sonst hätten wir denn diese Schutzgesetze für das reibungslose Funktionieren eines Kapitalmarkts? "Anleger könnten (sonst) sanktionslos mit falschen Versprechungen, unterlassenen oder unrichtigen Informationen zum Erwerb von Aktien, deren Verkauf oder deren Halten bewogen werden." Falsche Versprechungen, unterlassene oder unrichtige Informationen - klingt das etwa nach allgemeinem Marktrisiko?
Die Immofinanz hatte argumentiert, das Vermögen der Gesellschaft würde zum Vorteil einiger weniger Aktionäre vermindert; aufgrund der zu erwartenden Klagen von zahlreichen weiteren Aktionären würde das Vermögen der Gesellschaft letztlich aufgezehrt, was in letzter Konsequenz zur Insolvenz der Gesellschaft und damit einer Benachteiligung der Gläubiger der Gesellschaft führen würde. "Nicht überzeugend", sagt die neue Entscheidung dazu, denn: "Abgesehen davon, dass weder behauptet noch festgestellt wurde, dass die Befriedigung der Ansprüche von Aktionären, die durch kapitalmarktrechtliche Verstöße der beklagten Partei geschädigt wurden, dazu führen würde, dass die (anderen) Gläubiger der Gesellschaft nicht befriedigt werden können, wäre ein Fortbestand einer Gesellschaft, die Mittel zur Befriedigung der (sonstigen) Gläubiger lediglich durch Marktmanipulation und Verstoß gegen andere kapitalmarktrechtliche Pflichten erlangen bzw behalten kann, nicht schutzwürdig."
Verzögert wird die innerstaatliche Urteilsfindung jetzt auch nicht mehr durch Anrufung des Europäischen Gerichtshofs: "Für eine Befassung des Europäischen Gerichtshofs besteht kein Anlass", denn "ein Widerspruch zwischen der dargestellten innerstaatlichen Rechtslage und Unionsrecht (ist) nicht zu erkennen." Außerdem genieße "die kapitalmarktrechtliche Haftung in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorrang vor der Kapitalerhaltung".
Diese Aspekte der Entscheidung waren in Wahrheit spektakulär! Darüber hätte man berichten können, dann wären die traurigen Mienen der beiden zu Illustrationszwecken abgebildeten Anlegerinnen, eine Viertelseite beim Artikel, und schon ganz vorne als Aufmacher, glücklich-entspannt gewesen.
Ansonsten bietet die Entscheidung nichts Neues. Der Vorrang der Naturalrestitution (Rückabwicklung Kaufpreis gegen Aktien) ist für Eingeweihte inzwischen ein alter Hut. Dass man ihn, von der Beraterhaftung kommend, auch auf kapitalmarktrechtliche Verstöße des Emittenten übertragen kann, lag nahe. Und auch hier wieder der gleiche Dämpfer für die Immofinanz: "Der Zulässigkeit der Naturalrestitution steht auch nicht das Verbot des Erwerbs eigener Aktien entgegen."
Nur ganz zum Schluss ("Abschließend ist auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen"), quasi obiter dictu streift der OGH kurz das, was der Artikel groß zum Thema macht, nämlich das allgemeine Marktrisiko: "Kursverluste, die nicht in Zusammenhang mit dem Beratungsfehler stehen, sind daher vom Anleger zu tragen." Mehr steht da nicht, insbesondere nicht, welche das sein sollen. Es gehört nur zum Narrativ der beklagten Immobilienaktiengesellschaften, die "eingetretenen Verluste" der "allgemeinen Finanzkrise" zuzuschreiben, oder auch "allgemeinen Markttrends". Quod erat demonstrandum, der OGH sagt dazu bislang nichts.
Die Emittenten haften nicht für das allgemeine Marktrisiko, wohl aber für den Schaden, den sie u.a. durch falsche Angaben im Prospekt verursacht haben. Die Frage ist: Hätte der Anleger die Aktien der Emittentin auch gezeichnet, wenn deren Prospekt richtig und vollständig gewesen wäre? Falls diese Frage vom Gericht verneint wird, so trägt den Schaden eben nicht der Anleger, sondern die Emittentin!
Dr. Benedikt Wallner ist RA in Wien und hat im Zusammenhang mit Immofinanz ca. 500 Klagen eingebracht.