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Urteil: OGH erklärt Tatsachenbestätigungen in Gesprächsprotokollen für zulässig

Eine Verbandsklage des VKI - im Auftrag des BMASK - gegen den AWD wurde in 13 von 14 Punkten vom OGH abgewiesen. Die Dokumentationen des WAG dienten "nicht dem Schutz der Kunden vor unrichtigen oder unvollständigen Informationen", sondern nur zur Überwachung der "Wohlverhaltensregeln" durch die FMA. Diese Form der "Formularkontrolle" bringt den Kunden wenig - das WAG wird so zum "Anlageberater-Schutzgesetz".

Der Anlassfall
Beim VKI sind rund 7000 Beschwerden eingegangen, worin AWD-Kunden angaben, dass ihnen Immobilienaktien (Immofinanz und Immoeast) als "sicheres" ("mündelsicheres", "totsicheres", …) Investment vermittelt wurden. Über ein Risiko - insbesondere das eines Totalverlustes - sei man nicht aufgeklärt worden. Der AWD hält dem entgegen, dass die Kunden routinemäßig sogenannte "Gesprächsnotizen" unterzeichnet haben, in denen sich sehr wohl Risikohinweise fanden. Die Kunden gaben überwiegend an, im Vertrauen auf den jeweiligen Berater - häufig ein Verwandter oder Bekannter - diese Protokolle "als Formalität" gesehen und ungelesen unterzeichnet zu haben. Der AWD dagegen leitet aus den unterzeichneten Protokollen ab, dass die Berater richtig beraten hätten.

Klauseln in den Gesprächsprotokollen
In den Protokollen fanden sich ua folgende Klauseln:

1. Außerdem wurde ich von meinem Wirtschaftsberater über folgende Punkte aufgeklärt: Gebühren/Verwaltungskosten, Kursschwankungen, Bindefrist-, Verfügbarkeit, Renditeerwartung, Ausgabeaufschlag, Euro-Umstellung, Währungsrisiko, steuerliche Behandlung von Kapitalerträgen, Belastungen bei vorzeitiger Beendigung, Produktemittent (Insolvenzrisiko), Rückkaufswert.
2. Mündliche Zusagen wurden nicht getroffen.
3. Mein Wirtschaftsberater hat mich über das mir gesetzlich zustehende Rücktrittsrecht aufgeklärt, wonach ich berechtigt bin, binnen einer Woche ab dem heutigen Vertragsabschluss von diesem Vertrag zurückzutreten.
4. Allerdings haftet der AWD für solche Umstände, die sich auf meine persönlichen finanziellen Verhältnisse, auf mein persönliches Anlageverhalten und auf meine Anlageziele beziehen, nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, nicht jedoch auch für leichte Fahrlässigkeit. Auf eine diesbezügliche weiter gehende Nachforschungspflicht verzichte ich ausdrücklich.
5. (…) Über die nachstehend aufgelisteten Risiken wurde ich von meinem Wirtschaftsberater ausführlich und ausdrücklich aufgeklärt: Unternehmensrisiko (zB Managementfehler, Geschäftsentwicklung, Akquisitionen); Immobilienrisiko (zB Standort, Zustand, Vermietung, Erträge, Verwertbarkeit, Streuung); Liquiditätsrisiko (zB Börsencrash, keine Käufernachfrage); Zinsrisiko (zB höhere Finanzierungskosten infolge steigender Zinsen); Risiko des Teil- oder Totalverlustes des investierten Kapitals (zB Insolvenz); Währungsrisiko (zB niedrigere Erträge und höhere Finanzierungskosten in Fremdwährung); rechtliche Rahmenbedingungen (zB Besteuerung, sonstige gesetzliche Auflagen und Änderungen); politische Rahmenbedingungen (zB politischer Umsturz, revolutionäre Ereignisse, Krieg); wirtschaftliche Rahmenbedingungen (zB Osteuropa, Konjunktur); Risiko der zukünftigen Marktentwicklung, Wettbewerbsrisiko (zB höhere Anschaffungskosten bei höherer Nachfrage) (..)
6. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Beratung und Aufklärung bzgl der gewählten Kapitalanlage auf der Grundlage der von mir gegebenen Angaben, Wünsche und Bedürfnisse erfolgte.
7. Bevor ich diese Gesprächsnotiz unterschreibe, habe ich die Mandantenhinweise auf der Rückseite mit den erläuternden Hinweisen gelesen. Sie enthalten Informationen zum Rücktrittsrecht.
8. Mein Wirtschaftsberater hat mich über die von mir gewählte Kapitalanlage, unter Zugrundelegung der von mir gemachten Angaben umfassend aufgeklärt. Sämtliche von mir gestellte Fragen wurden von meinem Wirtschaftsberater zufriedenstellend beantwortet.
9. Mit meiner Unterschrift habe ich diese Mandantenhinweise zur Kenntnis genommen, verstanden und akzeptiert.
10. Mir wurden die genannten Risiken von meinem AWD Berater erklärt, und ich bestätige, diese verstanden zu haben.

Die Tatsachenbestätigungen
Eine Vielzahl dieser Klauseln sind sogenannte Tatsachenbestätigungen. Gemäß § 6 Abs 1 Z 11 KSchG sind Beweislastverschiebungen jedenfalls unzulässig. Strittig ist die Frage, ob auf Tatsachenbestätigungen, die einer Beweislastverschiebung gleichkommen bzw die Beweisführung erschweren, § 6 Abs 1 Z 11 KSchG analog anzuwenden ist. (In Deutschland gibt es dazu eine ausdrückliche gesetzliche Regelung!)

Der OGH hat dies in einer Reihe von Entscheidungen so gesehen (9 Ob 15/05d; 4 Ob 221/06p; 3 Ob 12/09z; 4 Ob 59/09v; 7 Ob 78/06f). In der vorliegenden Entscheidung kommt der OGH zum gegenteiligen Ergebnis.
Die erwähnten Vorentscheidungen seien "in (umfangreiche) Texte aufgenommen worden, die zahlreiche den Vertrag gestaltende Bedingungen - also Willenserklärungen - enthielten. Das seien aus der Sicht des Konsumenten "klassische AGB". Es sei dort auch keine Möglichkeit gewesen, das Formblatt handschriftlich zu gestalten.

Dagegen sei die hier vorliegende (4 Seiten Keingedrucktes - Anm.) als "Gesprächsnotiz" betitelt und es bestünde die Möglichkeit individuelle Daten wie Kundendaten, Einkommen, Risikobereitschaft einzutragen bzw anzukreuzen. Daher würde der Konsument nicht den Eindruck haben können, dass durch diese Urkunde (wie in AGB oder Vertragsformblättern) das Vertragsverhältnis geregelt werde.

Der OGH beruft sich zum einen auf eine bislang vereinzelt gebliebende Entscheidung des OGH, wonach eine Bestätigung des vollständigen Erhaltes einer Ware wirksam sei (6 Ob 140/06s) und zum anderen darauf, dass das deutsche Recht auch gesondert unterschriebene Empfangsbekenntnisse zulasse (§ 309 Nr. 12 BGB). Dem hält der OGH die "Dokumentation" der Beklagten gleich, weil diese nach dem WAG dazu verpflichtet sei.
Die umfassenden Dokumentationspflichten des WAG dienten nach Lehre und Judikatur der Einhaltung der Wohlverhaltensregeln durch die zuständigen Behörden, nicht aber dem Schutz des Kunden vor unrichtiger/unvollständiger Information.

Die in den "Gesprächsnotizen" enthaltenen Tatsachenbestätigungen (insbesondere im Zusammenhang mit der Beratung und Belehrung über Risken oder dem Kunden nach dem Gesetz zustehende Rechte) unterliegen daher nicht der Kontrolle durch Verbandsklage nach § 28 Abs 1 KSchG. Ob diese Klauseln daher mit § 6 Abs 1 Z 11 KSchG vereinbar sind, sagt der OGH nicht ausdrücklich; er geht aber offenbar davon aus.

Schon im nächsten Absatz widerspricht der OGH seiner Beurteilung der Gesprächsnotizen als reine Dokumentation. Findet sich dort doch eine gesetzwidrige Willenserklärung - ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit, den der OGH nach § 6 Abs 3 KSchG für intransparent erkennt (siehe oben Pkt 4).


OGH 6.7.2010, 1 Ob 46/10m
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Klagevertreter: Dr. Alexander Klauser


Kritik an der Entscheidung:

1. Der OGH geht auf den Inhalt der Klauseln in keiner Weise ein. Er stellt nur darauf ab, in welchem "Umfeld" die Klauseln Verwendung finden. In AGB wären die Klauseln gesetzwidrig, in einer "Dokumentation" nicht. (Ein inhaltlicher Unterschied der Klauseln zu den vom OGH in einer Reihe von Urteilen als gesetzwidrig beurteilten lässt sich auch nicht argumentieren!)

2. Der OGH stützt sich auf zwei Pfeiler:
- In Deutschland seien Tatsachebestätigungen zum einen ausdrücklich verpönt, zum anderen gebe es die Ausnahme der "gesondert unterschriebenen Empfangsbekenntnisse" (§ 309 Nr. 12 BGB - nicht wie fälschlich im Urteil AGBG).

- In 6 Ob 140/06s habe der OGH die gesonderte Bestätigung des vollständigen Erhaltes einer Ware als wirksam angesehen.
Insbesondere der Verweis auf die deutsche Rechtslage überzeugt nicht. Gesetz, Judikatur und Lehre betonen, dass die Ausnahme nur anzuwenden sei, wenn:
- der Empfang der geschuldeten Leistung quittiert werde
- sich diese Klausel außerhalb des Textes von AGB in einer gesonderten Urkunde oder drucktechnisch getrennt deutlich abhebe und vom Kunden unterzeichnet werde.
Klauseln wie "Mündliche Zusagen wurden nicht getroffen", Bestätigungen ausführlich aufgeklärt worden zu sein oder Bestätigungen der Aufklärung über gesetzliche Rücktrittsrechte fallen in Deutschland unter das Verbot und nicht unter die Ausnahme.

3. Der OGH erklärt die "Gesprächsnotiz" des AWD zur Dokumentation und grenzte diese von AGB ab. Das erscheint an den Haaren herbeigezogen. Der Beratervertrag mit dem AWD wird ausschließlich durch diese Gesprächsnotiz verschriftlicht. Es gibt keinen gesonderten Vertrag oder gesonderte AGB. Die Gesprächsnotiz enthält auch eine Reihe von Willenserklärungen; nicht nur die vom OGH selbst als gesetzwidrig beurteile Haftungsbeschränkung, sondern auch Klauseln zum Datenschutz u.s.w.. Diese Gesprächsnotizen waren Voraussetzung für die Vermittlung von Anlagen durch den AWD, die Berater waren gedrillt, diese jedenfalls unterzeichnen zu lassen. Wer nicht unterschreibt, bekommt auch keine Vermittlungsleistung. Der AWD selbst geht - in seinen Anträgen in den Sammelklagen - davon aus, dass es sich um "Vertragsunterlagen" handle. Und aus der Sicht des Kunden: Er bekommt vier Seiten Kleingedrucktes vorgelegt und nicht  ein gesondertes Schriftstück mit der überschaubaren Bestätigung, ein Formular oder eine Ware erhalten zu haben. Im Gegenteil: Es wird ihm - versteckt im Kleingedruckten - in den Mund gelegt, dass er nicht nur richtig belehrt wurde, sondern dass er auch alles verstanden habe.
Eine solche "Dokumentation" von der Kontrolle konsumentenfeindlicher Klauseln auszunehmen ist ein schwerer Schlag gegen den Verbraucherschutz.

4. Der OGH ist in seiner Entscheidung von der Angst getragen, dass sich das Schutzkonzept des WAG 2007 sonst ad absurdum führen würde. Schließlich könne man nicht alles handschriftlich festhalten.

Das WAG 2007 sieht - vorgeblich zum Verbraucherschutz - umfassende Informations- und Dokumentationspflichten für Wertpapierdienstleister (WPDLU) vor. Das Konzept lautet: Der Verbraucher wird mit Informationen zugeschüttet - Pech wenn er diese nicht liest oder versteht. Der OGH bringt es noch stärker auf den Punkt: Die Dokumentation diene der Aufsicht zur Überwachung der "Wohlverhaltensregeln" und diene "nicht dem Schutz der Kunden vor unrichtigen/unvollständigen Informationen". Damit stellt der OGH klar: Das WAG 2007 ist in diesem Punkt ein Anlageberater-Schutzgesetz.

Man organisiert aufwendig eine "Formularkontrolle", wobei die Aufsicht prüft, ob die Rechtsanwälte der Unternehmen auch wirklich an alle Tücken gedacht haben. Das schützt die Kunden nur zum Schein.

In der Realität behaupten zehntausende Anleger von verschiedenen Beratern - sei es AWD oder andere Finanzdienstleister, seien es auch Banken - falsch beraten worden zu sein und einen guten Teil ihrer Ersparnisse verloren zu haben. In den Sammelklagen des VKI gegen den AWD wird an vielen Punkten aufgezeigt: Zwischen Schein  für die Aufsicht) und Sein (für die Kunden) lagen Welten. (Ein Beispiel? Die AWD Berater sollten dem WAG gemäß beraten und so auch niemanden unaufgefordert telefonisch keilen. Bei Kapitalerhöhungen bei Immofinanz und Immoeast fanden dann "Telefonwettkämpfe" der Direktionen statt; wer mehr Kunden keilen konnte war Sieger und wurde belobigt.)

Dieses Schutzkonzept ist für die Geschädigten - so wie der OGH es weitertreibt - sogar gefährlich. Man kann nun - so der OGH - den Kunden seitenweise Klauseln vorlegen und sich darin versteckt immer wieder versichern lassen, richtig beraten zu haben und auch "richtig verstanden" worden zu sein. Im Konfliktfall zieht der Unternehmer - siehe AWD - diese Klauseln aus der Tasche und behauptet richtig beraten zu haben. Der Kunde muss nun gegen dieses Beweismittel ankämpfen. Dokumentation in diesem Stil schadet den Konsumenten. Der OGH entzieht diese Methoden der Kontrolle durch das KSchG.

Statt sich damit auseinanderzusetzen, wie man Dokumentationspflichten nach WAG und KSchG in Einklang bringen könnte (zB Ausfolgung klarer und übersichtlicher Informationen - davon getrennt die einfache schriftliche Bestätigung des Kunden, diese Informationen erhalten zu haben) hat der OGH der Branche eine Freibrief gegeben, sich von den Kunden "Gott und die Welt" bestätigen zu lassen.

(Diese Vorgangsweise des OGH erinnert an die Entscheidungen zur Verjährung des Rückforderungsanspruches von Kreditnehmern für zuviel bezahlte Zinsen bei Verbraucherkrediten. Zur Vermeidung des Zusammenbruches der Banken und zur Vermeidung der Überlastung der Gerichte wurden - zum Entsetzen der Lehre - Anleihen beim Kleingartengesetz (!!) genommen und - entgegen der generellen Verjährungszeit von 30 Jahren - nur 3 Jahre angenommen.)

5. Dieses Ergebnis ist - noch dazu nach den Ereignissen der Finanzkrise - unhaltbar. Der Gesetzgeber ist gefordert.
Zum einen sollte auf gesetzlicher Ebene die deutsche Situation hergestellt werden: Tatsachenbestätigungen verbieten - gesonderte Empfangsbestätigungen zulassen.

Zum anderen muss nach  den Erfahrungen der letzten Jahre zu einer formalen "Formularkontrolle" eine Kontrolle der Praxis kommen. Erst wenn die FMA under cover die Beratungspraxis in Augenschein nehmen darf und kann, kann von einem wirksamen Schutz der Anleger gesprochen werden.
Bis dahin muss man Anlegern raten, derartige "Dokumentationen" zu meiden - denn man unterzeichnet in vielen Fällen nur  den Freibrief für den Anlageberater.

6. Die Entscheidung des OGH in der Verbandsklage hat keinerlei Auswirkungen auf die Prozesschancen bei den Sammelklagen.

Peter Kolba

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