Ein Konsument hatte im Jahr 2006 Genussscheine der Erstbeklagten, AvW Gruppe AG, erworben. Die Genussscheine wurden über die Zweitbeklagte, AvW Invest AG, vertrieben. Der Konsument wurde zuvor von einem Finanzdienstleistungsassistenten der Zweitbeklagten beraten.
Die Genussscheine wurden als sicher, ertragreich und wertbeständig dargestellt. Der Kläger wurde nicht darauf hingewiesen, dass es auch zu einem Totalverlust der Anlage kommen könne. Auf Empfehlung des Beraters, der selbst AvW-Genussscheine gekauft hatte, entschloss sich der Kläger zum Kauf. Beim Kläger wurde der Eindruck erweckt (auch durch Hinweise auf Kaufaufträgen und in den Informationsfoldern) , er könne jederzeit aussteigen, indem er die Genussscheine an die Erstbeklagte verkaufen könne, die verpflichtet sei, die Genussscheine zum aktuellen Kurswert zurückzukaufen.
Im Jahr 2008 übermittelte der Kläger die Genussscheine an die Erstbeklagte und begehrte deren Rückkauf. Die Erstbeklagte erklärte, zum Rückkauf nicht verpflichtet zu sein und aufgrund eines Liquiditätsengpasses gar nicht zurückkaufen könne. Hätte der Kläger allerdings gewusst, dass keine Rücknahmeverpflichtung bestehe, hätte er die Genussscheine nicht gekauft.
Der Konsument klagte in weiterer Folge den für den Erwerb der Genussscheine bezahlten Kaufpreis samt Spesen ein.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, dass der Berater wie auch die Zweitbeklagte den Kläger dadurch in Irrtum geführt hätte, dass sie eine Aufklärung über die mangelnde Rückkaufsverpflichtung unterlassen hätten. Die Erstbeklagte habe ihre Geschäftsbedingungen so formuliert, dass bei Kunden der Eindruck einer Rückkaufspflicht entstehe. Der beim Kläger verursachte Irrtum sei kausal für seine Kaufentscheidung gewesen. Die Anfechtung wegen Irrtums führe zur Aufhebung des Vertrages ex tunc. Die Parteien hätten daher die vertragsgemäß erhaltenen Leistungen zurückzustellen. Nachdem der Kläger die Genussscheine bereits zurückgestellt hatte, müsse nunmehr die Erstbeklagte den Kaufpreis zurückzahlen.
Die Beklagten haben gegen das Urteil berufen; allerdings ohne Erfolg.
Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:
Das Berufungsgericht ging aufgrund der glaubwürdigen Aussage des Klägers davon aus, dass er nicht über die realistische Möglichkeit des Totalverlustes aufgeklärt wurde. Auch das angekreuzte Ausmaß der Risikobereitschaft in den Anlegerprofilen sprach dafür. Denn der Totalverlust wird nur bei den spekulativen Veranlagungen als Möglichkeit genannt.
Dem Kläger, ein mit Zahlen vertrauter Akademiker, schadete auch nicht, dass er die Genussscheinbedingungen nicht aufmerksam gelesen hatte. Es spreche keineswegs für mangelnde Kritikfähigkeit - so das Berufungsgericht - wenn man vom Experten beraten wird und es unterlässt, die Genussscheinbedingungen genauer zu prüfen, um die Richtigkeit der Anlageberatung zu hinterfragen. Überdies war das Gericht der Ansicht, dass von leichter Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Geschäftsbedingungen ohnehin keine Rede sein konnte. Selbst für viele Juristen seien sie schwer verständlich.
Der Kläger wurde einerseits durch die Gespräche mit dem Berater als auch durch die Broschüren der Beklagten (wie etwa durch den Hinweis "Sie können den AvW Index jederzeit zum aktuellen Kurs kaufen oder verkaufen") zur Ansicht gebracht, er könne die Wertpapiere jederzeit verkaufen. Es wäre Sache des Beraters gewesen, den Kläger auf die Problematik betreffend die Handelbarkeit der Genussscheine hinzuweisen.
Für den Berater war das extrem hohe Verwertungsrisiko (praktische Unverkäuflichkeit zu akzeptablen Kursen und damit ein dem Totalverlust nahe kommender Zustand) auch erkennbar. Es wurde nämlich nur ein kleiner Bruchteil (ein Zehntel) über eine Börse gehandelt, der Rest wurde - nur vom Willensentschluss der Erstbeklagten abhängig - zurückgekauft oder auch nicht. Darüber hätte der Berater den Kläger aufklären müssen.
Der geschädigte Anleger hat daher im Rahmen der Naturalrestitution Zug-um-Zug gegen Rückübertragung der Wertpapiere Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises. Den Mitverschuldenseinwand erachtete das Gericht als nicht stichhältig. Auch wenn der Kläger schon Erfahrung mit dem Erwerb von Wertpapieren hatte, schadete ihm das nicht. Er wandte sich an einen professionellen Ratgeber im Sinne eines Sachverständigen (§ 1299). Damit war er keineswegs verpflichtet, den Rat durch eigene Recherchen- wie etwa auch Nachlesen der nicht leicht verständlichen Genussscheinbedingungen- zu überprüfen. Vielmehr durfte er sich auf den Rat eines Profis, der noch dazu darlegte, selbst diese Wertpapiere gekauft zu haben, verlassen.
Gegenüber der Erstbeklagten bestand das Klagebegehren auch unter dem Titel irrtumsrechtlicher Rückabwicklung zu Recht. Hier wurde der Irrtum des Klägers über die tatsächlich nicht gegebene Risikoarmut der Wertpapiere durch die Verletzung der Aufklärungspflicht des Beraters veranlasst.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig; die Beklagten haben außerordentliche Revision erhoben.
OLG Graz 23.11.2009, 2 R 160/09f
Klagevertreter: Otto & Cabjolsky Rechtsanwälte OG in Wien