Jeden Tag finden sich in niederösterreichischen Postkästen Einladungen zu Werbeverkaufsveranstaltungen. Getarnt als "Gewinnübergaben", nette Ausflüge zu beliebten Reisezielen oder attraktiven Veranstaltungen wie "Holiday on Ice". Tatsächlich geht es immer nur darum, vornehmlich älteren Menschen mit falschen Versprechungen teure Wunderkuren oder medizinische Produkte unterzujubeln. Das Geschäft mit der Gesundheit blüht. Allein in Niederösterreich dürfte der Jahresumsatz rd. 15 Millionen Euro betragen. Geld, das vor allem der regionalen Wirtschaft entzogen wird. Zu den Verlierern zählt auch der Finanzminister - ihm entgehen durch die unseriösen Praktiken der Werbeverkaufsveranstalter Steuern in Millionenhöhe.
Das Phänomen Werbefahrten ist mittlerweile zu einem boomenden Zweig der Schattenwirtschaft geworden. Um diese Entwicklung einzudämmen fordert die AKNÖ Änderungen in der Gewerbeordnung und bessere Rahmenbedingungen für jene, die dieses Treiben stoppen könnten. Denn: "Weder die Finanz-, noch die Gewerbebehörden oder die Exekutive haben jene personellen Ressourcen, die nötige wären, um dieses Geschäft wirksam zu kontrollieren oder ihm durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit nachhaltig den Boden zu entziehen", meint Dr. Eva Schreiber, Leiterin der Konsumentenberatung der NÖ Arbeiterkammer.
Das Geschäft mit der Gesundheit
Wunderkuren und Heilsversprechen. Auf Werbefahrten werden vor allem überteuerte Gesundheitsprodukte verkauft. Vor allem Magnetfeld-Produkte wie Matratzenauflagen, Matratzen, Unterbetten und Schlafsysteme, Abschirmsysteme gegen Elektrosmog und Wunderkuren (Aloe Vera, Q10) werden gerne im Hinterzimmer verkauft. Glaubt man den Versprechen der fast durchwegs aus Deutschland anreisenden Präsentatoren, wären längst nahezu alle gesundheitlichen Probleme der Menschheit gelöst. Krebs, Demenz, hoher Blutdruck, Diabetes, Migräne, Übersäuerung, Entgiftung, Übergewicht, Herzkrankheiten, Schmerzen und Nagelpilz sind nur einige der Krankheiten, für die die bisher angebotenen Produkte angeblich Heilung versprechen.
Ärztesöhne und Naturmediziner. Fast schon obligatorisch ist, dass sich die Präsentatoren mit medizinischen Ausbildungen schmücken, um ihren Ausführungen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der "Heilpraktiker", der "Naturmediziner", oder der "Mitarbeiter einer Krebsstation im Ausland", zumindest aber der "aus einer Ärztefamilie" stammende "medizinisch umfassend gebildete" Sohn untergraben bei Veranstaltungen dieser Art zuerst systematisch das Vertrauen der TeilnehmerInnen in Schulmedizin, Pharmazie und Ärzteschaft und drängen dann den völlig verunsicherten und überrumpelten SeniorInnen ihre überteuerten Produkte auf.
Das Phänomen Werbefahrten in Zahlen
Werbefahrten boomen. "Alleine im letzten Jahr haben wir uns mit Einladungen zu 520 Werbefahrten auseinandergesetzt. Die Dunkelziffer liegt jedoch weit darüber. Wir gehen davon aus, dass wir nur von jeder zehnten Werbefahrt wissen. Wir gehen also von mindestens 5.000 Werbefahrten im Jahr allein in Niederösterreich aus", erklärt Schreiber. Österreichweit dürften es pro Jahr rd. 25.000 sein.
Zielgruppe PensionistInnen. Aus der Zielgruppe "PensionistInnen" ergeben sich für die Veranstalter klare Vorteile: Sie sind besonders empfänglich für Ausflüge, um Abwechslung außerhalb der eigenen vier Wänden zu erleben. Zudem hat nahezu jeder Besucher gesundheitliche Probleme - vom kleinen "Zipperlein" bis zur schweren Erkrankung. Teure Gesundheitsprodukte lassen sich hier besonders gut absetzen. "In vielen Fällen sind die Pensionistinnen und Pensionisten außerdem schlicht dem Verkaufsgeschick der Präsentatoren unterlegen. Auch das nutzen die Veranstalter rücksichtslos aus", meint Schreiber.
Wirtschaftszweig Werbefahrten. "Man kann davon ausgehen, dass auf einer Werbeveranstaltung im Durchschnitt 3.000 Euro Umsatz gemacht wird. Rechnet man diesen Wert auf die 5.000 Veranstaltungen hoch, die schätzungsweise jährlich in Niederösterreich stattfinden, so beträgt der Jahresumsatz der dubiosen Branche hierzulande rd. 15 Millionen Euro, österreichweit dürften es 75 Millionen Euro sein. - "Wir erleben gerade das Aufblühen eines eigenen Wirtschaftszweiges", so Schreiber. Es besteht der begründete Verdacht, dass bei diesem Geschäft massiv Steuern hinterzogen werden. Der AKNÖ liegt keine einzige Rechnung vor, auf der die Mehrwertsteuer ausgewiesen ist. Während der Veranstaltungen wird zudem ohne Rechnung jede Menge "Kleinzeug" verscherbelt: Cremen, Polster und Waschmittel werden zu "Okkasionspreisen" in Windeseile direkt am Wirtshaustisch verkauft. Die 20- oder 50-Euro-Scheine wandern direkt in die Hosentasche des Präsentators. Der so entstehende finanzielle Schaden dürfte ebenfalls Millionenhöhe betragen. Auf diesem Weg etabliert sich eine Schattenwirtschaft, an der viele mitnaschen - die großen Abkassierer sind jedoch die Veranstalter der Werbefahrten selbst. Grenzüberschreitend agierende Unternehmen mit wechselnden Namen, wechselnden Postfachadressen und immer neuen Werbeschmähs. Die Verlierer bei dieser Rechnung: Ältere Menschen, der Wirtschaftsstandort Niederösterreich, insbesondere die regionale Wirtschaft und aufgrund vorenthaltener Steuern der Staat.
Von Fall zu Fall
Wunderkur verjüngt Herzkranzgefäße
Mai 2006. In diesem Fall wurden den TeilnehmerInnen Bilder der Alterung des menschlichen Herzens vorgeführt. Zunächst ein Bild der Herzkranzgefäße eines Neugeborenen, dann jenes eines 85 Jahre alten Herzens. Danach wurden "Therapien" oder "Jahreskuren" zum Verkauf angeboten. Sie sollen den Alterungsprozess umkehren und damit im Stande sein, die Herzen der alten Menschen auf die eines Babys zu verjüngen. Das ist medizinisch unmöglich und völliger Humbug. Für das Nahrungsergänzungsmittel Vita Sanitas Q 10, das "praktischer Weise" bereits im Jahresvorrat angeboten wurde, wurden die Kunden mit 1800 Euro kräftig zur Kassa gebeten.
Körper-Detox-Elektrolyse-Fußbad zur Entgiftung über die "dritte Niere", die Füße
Juni 2006. Hier wurde ein Gerät angeboten, das der "Entgiftung" über die Füße dienen sollte. Das sündhaft teure Gerät mit dem klingenden Namen "Körper-Detox-Elektrolyse-Fußbad" wurde in einem Gasthaus um 1.100 Euro zum Verkauf angeboten. Vor den Augen der Versammelten durften zwei TeilnehmerInnen vor den Beweis zur Wirksamkeit des Geräts antreten, indem sie ein Fußbad nahmen. Dass sich das Wasser im Zuge des Bades bräunlich verfärbte, sollte beweisen, dass Schwermetalle und Giftstoffe über die Füße ausgeschwemmt und im Wasser gebunden wurden. Den Anwesenden blieb verborgen, dass sich das Wasser auch verfärbt hätte, wenn niemand seine "dritten Nieren" ins Fußbad gehalten hätte. Die Verfärbung entstand nämlich durch eine einfache chemische Reaktion. Eine der Elektroden löste sich auf, das salzhaltige Wasser und die abgelösten Metallteile bildeten Rost und damit verfärbte sich das Wasser braun.
Gesundheitsprodukte statt TV Bingo-Gewinn
September 2006. Ein der AKNÖ hinlänglich bekanntes Unternehmen verschickte im Herbst letzten Jahres erneut Lockbriefe an KonsumentInnen. Jedem "Gewinner" wird ein Rubbellosgewinn in der Höhe von 250 Euro in Aussicht gestellt. In Wahrheit wurden die NiederöstereicherInnen damit wieder einmal in ein Gasthaus gelockt, in dem völlig überteuerte Medizinprodukte zum Verkauf angeboten wurden. In diesem Fall versuchte die Firma sich durch die Nennung der Österreichischen Lotteriegesellschaften und "TV-Bingo" den Anschein der Seriosität zu geben.
Werbefahrten-Sprech: So werden die PensionistInnen unter Druck gesetzt
"Das letzte Hemd hat keine Taschen."
"Personen, die mir nicht glauben, die keine Produkte kaufen, die kein Niveau haben, werde ich das nächste Mal statt zur Promotion in ein Pflegeheim bringen."
"Jedem, der meinen Vortrag nicht ernst nimmt, wünsche ich eine schwere Krankheit."
"Und - was kostet ein Sarg?" (Reaktion auf den empörten Ausruf eines alten Herren hinsichtlich der hohen Kosten eines Gesundheitsproduktes.)
AKNÖ-Forderungen
Bisher ist es der AKNÖ in Zusammenarbeit mit den Gewerbebehörden und der Exekutive gelungen, etliche Werbeveranstaltungen zu unterbrechen und damit den Verkauf von Produkten zu verhindern. Zudem warnt die Niederösterreichische Arbeiterkammer fast jede Woche mit tatkräftiger Unterstützung der Medien vor aktuellen Veranstaltungen. So konnten viele KonsumentInnen rechtzeitig gewarnt werden. "Unsere Aufgabe ist die Bewusstseinsbildung hinsichtlich unseriöser Geschäftsmethoden und die Information der KonsumentInnen", meint Eva Schreiber. Darüber hinaus müsse es jedoch wirksame Maßnahmen der zuständigen Behörden geben. "Dazu ist es sicher notwendig, dass z.B. bei den Finanzbehörden personelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein wirksames grenzüberschreitendes Vorgehen ermöglichen." Die AKNÖ setzt sich zudem für Änderungen der Gewerbeordnung ein, um Konsumentinnen und Konsumenten besser zu schützen.
Neue Rechtslage
Für die betroffenen KonsumentInnen ist es derzeit meist aussichtslos, in Problemfällen zu ihrem Recht zu kommen, da die Firmenadresse üblicherweise nicht bekannt ist und das Rücktrittsrecht so nicht ausgeübt werden kann.
Um eine wirksame Kontrolle der Veranstaltungen zu ermöglichen und die Durchsetzung der Konsumentenrechte sicher zu stellen, könnten folgende Regelungen hilfreich sein:
Für Werbeverkaufsveranstaltungen soll es eine Anzeigepflicht bei der zuständigen Behörde geben. Die Anzeige ist zwei Wochen vor Beginn bei der für den Ort der Veranstaltung zuständigen Behörde einzureichen und muss neben dem Ort und dem Zeitpunkt der Veranstaltung, auch die Firmenbezeichnung (bei Einzelfirmen Vor- und Nachname des Unternehmers) enthalten. Ferner ist die Anschrift des Gewerbetreibenden anzugeben, in dessen Namen die Geschäfte abgeschlossen werden sollen.
Erfolgt die Anzeige nicht rechtzeitig, nicht wahrheitsgemäß, nicht vollständig oder entspricht die öffentliche Ankündigung nicht den genannten Vorschriften, soll die Behörde die Möglichkeit haben, Verwaltungsstrafen zu verhängen bzw. in besonderen Fällen bei Gefahr in Verzug die Veranstaltung zu untersagen.
Der Anzeige ist zudem ein Exemplar der Einladung bei zu legen. So kann rascher kontrolliert werden, ob unlautere Methoden angewandt werden.
In der öffentlichen Ankündigung (Werbezuschrift) ist die Art der vertriebenen Ware und der Veranstaltungsort und -zeitpunkt anzugeben. Außerdem ist in der Einladung explizit darauf hin zu weisen, dass im Rahmen der Veranstaltung keine Bestellungen entgegen genommen werden dürfen.
VerbraucherInnenbildung
Besonders wichtig ist jedoch auch, VerbraucherInnen über die Tücken des Geschäfts zu informieren. Entsprechend der aktuellen Kampagne des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz "Umsonst gibt´s nix" geht es darum, KonsumentInnen für dubiose Geschäfte zu sensibilisieren und ihnen klar zu machen, dass gesundes Misstrauen angebracht ist, wenn jemand überraschend Gewinne verspricht.