Nun liegen die Schlussanträge des Generalanwaltes (GA) vor, die für die endgültige Entscheidung des EuGH von großer Wichtigkeit sind, da der EuGH meistens, wenngleich nicht immer, Ausführungen des Generalanwalts übernimmt.
Im zugrundeliegenden Verbandsverfahren ging es um zwei Problemfelder:
Im ersten Problemkreis geht es um die Frage, welche Anforderungen an Zustimmungsfiktionsklauseln zu stellen sind.
Der Generalanwalt führte dazu aus, dass die Möglichkeit einer stillschweigenden Zustimmung zu den Änderungen der Bedingungen eines (Zahlungsdienste-)Rahmenvertrags, die nach Art 52 Nr 6 lit a der RL 2015/2366 (zweite Zahlungsdiensterichtlinie, PSD II) (vgl § 50 ZaDiG 2018) bei Vorliegen einer Vereinbarung zwischen dem Nutzer und dem Zahlungsdienstleister erlaubt ist, eng auszulegen ist und auf die Änderung der wesentlichen Bestandteile dieses Rahmenvertrags, wie solche, die die Aufnahme der NFC-Funktion in eine Zahlungskarte betreffen, nicht angewandt werden können.
Der Generalanwalt vertritt dabei die Ansicht, dass sich eine stillschweigende Zustimmung nicht auf sämtliche Bedingungen des Rahmenvertrags erstrecken kann, weil damit eine fast allumfassende und de facto einseitige Befugnis zur Änderung des Vertrags eingeräumt wird.
Der Generalanwalt führte aus, dass seiner Meinung nach die Möglichkeit einer stillschweigenden Zustimmung zu den Änderungen lediglich für nicht wesentliche Änderungen der Klauseln eines Rahmenvertrags statthaft sind, sofern die Garantien der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie eingehalten sind.
Der Generalanwalt hielt auch fest, dass mit der Integrierung der NFC-Funktion für die kontaktlose Zahlung von Kleinbeträgen in eine personalisierte multifunktionale Zahlungskarte ein neues Zahlungsinstrument hinzugefügt wird. Dies stellt entweder eine neue Dienstleistung dar, die Gegenstand eines neuen ergänzenden Vertrags sein müsste, oder eine wesentliche Änderung der Bedingungen des früheren Rahmenvertrags.
In beiden Fällen aber müsste ein Verbraucher zuerst über die allfälligen Vorteile und Risiken einer NFC-Funktion informiert werden und dann unzweideutig seine ausdrückliche Zustimmung zu diesem Zahlungsinstrument erteilen. Laut Generalanwalt ist dies aber mit einer stillschweigenden Zustimmung nicht vereinbar.
NFC-Funktion personalisierter Zahlungskarten als Zahlungsinstrument:
Der zweite Themenkomplex befasst sich mit Fragen rund um von der beklagten Bank verwendeten Klauseln ua für die Verwendung von Zahlungskarten, welche eine NFC-Funktion aufweisen. Mit diesen Zahlungskarten der Beklagten können an technisch dafür ausgerüsteten Kassen kontaktlos Kleinbeträge bis 25 Euro ohne Eingabe des PIN-Codes bezahlt werden. Die Zahlung höherer Beträge erfordert eine zusätzliche Authentifizierung durch Code. Die NFC-Funktion der Bankkarten wird automatisch aktiviert, wenn der Kunde die Karte zum ersten Mal verwendet.
Der Generalanwalt bejahte die Einordnung der NFC-Funktion einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte als anonymes Zahlungsinstrument iSd Art 4 Nr 14 der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie.
Verwendung von Karten mit NFC-Funktion als anonyme Zahlungsinstrumente ohne Möglichkeit einer Sperre:
Auch der Generalanwalt ging davon aus, dass sich ein Kreditinstitut, das Zahlungskarten mit NFC-Funktion ausgibt, sich auf mögliche Ausnahmen bezüglich der Sperre und Verhinderung der weiteren Verwendung, nur dann berufen könne, wenn es nachweisen kann, dass es technisch nicht möglich ist, die Karte zu sperren oder ihre weitere Nutzung zu verhindern.
Die Beweislast für diese - eng auszulegende - Unmöglichkeit der Sperre liegt beim Kreditinstitut. Der GA führte aus, dass für ihn alles darauf hindeutet, dass es nach dem Stand der Technik möglich ist, dass ein Kreditinstitut eine personalisierte multifunktionale Zahlungskarte sperrt und es für ihn daher nicht ersichtlich ist, dass diese Karten wegen der Integrierung der NFC-Funktion nicht gesperrt werden können. In einem solchen Fall würde Klausel 18 gegen Art 63 Abs 1 lit a der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie verstoßen.
Haftung der Ausgabebank bei anonymer Nutzung des Zahlungsinstruments:
Der GA ging davon aus, dass die kontaktlose Zahlung eines Kleinbetrags mit der NFC-Funktion als "anonyme" Nutzung einer personalisierten multifunktionalen Zahlungskarte im Sinne des Art 63 Abs 1 lit b der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie eingestuft werden kann. Er differenzierte zwischen der Identifikation des Karteninhabers (der durch die personalisierte Karte immer möglich ist) und der Autorisierung der Zahlung, die der Besitzer der Karte erteilt.
Die Autorisierung für die NFC-Zahlung erfordert lediglich eine einfache Authentifizierung, die durch den Besitz der Karte erfolgt. Es liegt laut GA daher eine anonyme Nutzung vor, bei der der Zahlungsdienstleister nicht nachweisen kann, ob die Zahlung tatsächlich vom Inhaber der Karte autorisiert wurde, oder sie ein Dritter, gestohlen, gehackt oder in unrechtmäßiger Weise verwendet hat.
Um die Gefahren unrechtmäßiger Verwendungen zu minimieren erlaubt die NFC-Funktion nur Zahlungen von Kleinbeträgen bis 30 Euro, für die auch immer eine Höchstgrenze von 150 Euro gilt.
Innerhalb dieser Grenzen findet die Ausnahme des Art 63 Abs 1 lit b der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie Anwendung, wenn der Inhaber einer personalisierten Zahlungskarte zustimmt, dass sie die NFC-Funktion enthält. Damit würde eine abgeschwächte Haftung des Zahlungsdienstleisters einhergehen.
Schlussanträge des Generalanwaltes vom 30.04.2020, C-287/19
Klagsvertreter: Dr. Stefan LANGER, Rechtsanwalt in Wien