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Gerichte belastet - Gerichte entlasten

In den Verfahren rund um die Anlageskandale "Madoff", "MEL - Meinl" und "Immofinanz - AWD" tun die Beklagten alles, um die Verfahren aufzublähen, zu verteuern und die Justiz lahm zu legen.

Das Handelsgericht Wien weist darauf hin, durch massenhafte Klagen rund um die genannten Anlage-Skandale (1500 solcher Klagen allein beim HG Wien) überlastet zu werden. Gleichzeitig kündigen Anwälte, Prozessfinanzierer Advofin und der VKI (mit Prozessfinanzierer FORIS im Rücken) weitere Massen von Einzelklagen bzw Sammelklagen an. Allein der VKI wird bis Ende Jänner 2010 für weitere rund 2200 geschädigte Immofinanz- und Immoeast-Anleger Klage gegen den AWD einbringen.
Es ist nachvollziehbar, dass derart viele Klagen das Gericht und die 22 Richter zu überlasten drohen. Das HG Wien ruft daher nach mehr Personal - mehr Richter und auch mehr Kanzleipersonal. Auch das ist nachvollziehbar und zu unterstützen.

Es sollte aber nicht übersehen werden, dass diese Überlastung des HG Wien auf die bewusste Strategie der jeweiligen Beklagten zurückgeht, die - wie der AWD - Musterprozesse konsequent zu verhindern trachten und die Zulässigkeit von - prozessökonomischen Sammelklagen - mit Vehemenz bekämpfen.
Die Strategie der Beklagten läuft darauf hinaus, die Gerichtsverfahren für die Geschädigten so lang, so teuer und so unvorhersehbar wie möglich zu gestalten. Dabei wird damit kalkuliert, dass sich nicht nur die Geschädigten diese Verfahren nicht leisten können, sondern dass auch die Prozessfinanzierer und die Rechtsschutzversicherer ob explodierender Kosten aussteigen müssen. Daher verweigern sich die Beklagten - bislang - jeder Strategie, die gerichtliche Klärung von allgemeinen Streitfragen durch musterhafte Einzelverfahren oder (kleine) Sammelklagen zuzulassen.

Der Beklagte kann, verweigert er den Verzicht auf den Einwand der Verjährung von Ansprüchen für die Dauer von Musterprozessen, diese wirksam verhindern. Der Richter kann derzeit die Masse der Verfahren - ohne Zustimmung des Beklagten - weder unterbrechen, noch mit den Verfahren "innehalten". Tut er das doch, müsste der Kläger - wiewohl an Musterprozessen interessiert - diesen Beschluss durch die Instanzen anfechten, um nicht später den Einwand der Verjährung der Ansprüche zu riskieren.

Dazu kommt, dass die jeweils Beklagten reihum anderen Beteiligten unter dem Motto "Haltet den Dieb" jeweils den Streit verkünden. So verkündet der AWD in den Verfahren des VKI in der Regel der Immofinanz, der Immoeast, der Constantia Privatbank und Herrn Petrikovits jeweils den Streit. Für jeden Nebenintervenienten erhöht sich das Prozesskostenrisiko; das führt im schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Kostenkalkulation um 50%. Auch hier liegt das Kalkül klar auf der Hand: Für die Kläger und ihre Finanzierer soll das Kostenrisiko möglichst erhöht werden; vielleicht fallen dann Kläger weg und die Flucht in die Verjährung gelingt.

Zuletzt wird auch noch der Trick angewendet, die Verfahren wegen allen möglichen anderen Verfahren unterbrechen zu lassen. So will der AWD über Schadenersatz für Anleger vor dem Zivilgericht lieber solange nicht verhandeln, bis nicht die Strafverfahren gegen Petrikovits und Co abgeschlossen sind. Das Ziel ist klar: Möglichst lange kein Urteil abbekommen, das die "systematische Fehlberatung" feststellt und Schadenersatz zuspricht. Bis dahin kann man von der "ungerechten Kampagne" des VKI reden und sich abputzen.

Dem Gesetzgeber sind alle diese Probleme rund um Massenschäden spätestens seit dem WEB-Verfahren in Salzburg wohl bekannt. Damals bereits gab es gewichtige Stimmen, die für die Richter bessere Gestaltungsmöglichkeiten bei Massenverfahren gefordert haben. Das Bundesministerium für Justiz schlug eine kleine, aber wirkungsvolle Veränderung der Zivilprozessordnung vor: Richter sollten in Massenverfahren durch Teilurteile gemeinsame Fragen rasch entscheiden und mit der Masse der Verfahren "innehalten" können, bis der OGH die gemeinsamen Fragen entschieden hat. Diese Änderung wurde - von der Wirtschaft - heftig kritisiert und ist bis heute nicht in Kraft getreten.

Der Justizausschuss beschloss nach dem WEB-Verfahren einstimmig, das Bundesministerium für Justiz möge ein Modell einer Gruppenklage ausarbeiten. Seit 2007 liegt ein Entwurf vor; befürwortet von Konsumentenschützern, abgelehnt von der Wirtschaft. Bis heute ist dieser Entwurf nicht in Gesetzestext umgesetzt worden. Dieser Entwurf enthält auch eine Entspannung der Situation bei den Prozesskosten. Da soll eine Deckelung des Streitwertes von 2 Mio Euro die Kosten limitieren (eine Lösung, die man sich im WEB-Verfahren aus der Praxis abgeschaut hatte). Damit wären Massenverfahren führbar und die Vorwürfe rasch und ökonomisch klärbar. Eine Überlastung der Gerichte wäre verhinderbar. Doch dazu bedarf es rascher legistischer Maßnahmen.

In der Diskussion kommen auch Stimmen auf, deren Meinung darauf hinausläuft, dass Geschädigte, die sich keine individuelle Vertretung durch einen Anwalt leisten können, eben auch nicht klagen können sollen. Das sei ein Regulativ der Zivilprozessordnung - es sei halt nicht jeder Anspruch durchsetzbar. Richtigerweise müsste es aber lauten: Es ist jeder Anspruch durchsetzbar, wenn man genug Geld in die Durchsetzung investieren kann. Ein Reicher, der investiertes Kapital verloren hat, kann sich wehren; tausende Kleinanleger, die zusammen ebenso hohe Schäden erlitten haben, sollen diese nicht geltend machen können? Das kann nicht Ziel einer demokratischen Justizpolitik sein. Daher muss man wohl trachten, dass bei Massenschäden alle Geschädigten ihre Ansprüche geltend machen können und gleichzeitig die Gerichte nicht überlastet werden.

Auch aus diesem Gesichtspunkt ist die vom VKI - zusammen mit dem Prozessfinanzierer FORIS und dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Alexander Klauser - "erfundene" Sammelklage nach österreichischem Recht eine durchaus taugliche Krücke. Geschädigte, die ansonsten ihre Ansprüche fallenlassen müssten, können sich ohne Kostenrisiko anschließen und gehen dafür mit dem Prozessfinanzierer die Vereinbarung ein, vom Erfolg eine Quote abzugeben. Das führt zu mehr Gleichheit vor Gericht. Schließlich hat ja der Beklagte nicht etwa ein "Recht" darauf, durch die Organisation der Gerichtsbarkeit, vor Klagen von Geschädigten "geschützt" zu werden.

Die Sammelklage nach österreichischem Recht ist dennoch nur eine "Krücke". Erst eine sinnvoll geregelte Gruppenklage würde die Teilnahme an Massenverfahren endgültig demokratisieren. Es bedürfte nicht mehr eines Sammelklägers, dass ein solches Verfahren zustande kommt. Die Geschädigten hätte vielmehr ein Mittel in Händen, ihre Rechtsdurchsetzung selbst zu organisieren.

"Mehr Richter" ist also in diesem Augenblick ein Akt der Notwehr gegen einen Einbruch der Gerichtsbarkeit am HG Wien; mit Blick auf die Zukunft sind rasche (überfällige) Reformen der ZPO dringender denn je.

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