Zum Inhalt

Geschlossene Fonds: Verjährungsfrage zugunsten der Anleger entschieden

OLG Wien stellt in einem ausführlich und dogmatisch konzis begründeten Urteil klar, dass Schadenersatzansprüche aufgrund mehrerer unterschiedlicher Beratungsfehler - hier: gegen die beratende Bank iZm der Vermittlung von Anteilen an "geschlossenen Fonds" - jeweils gesonderten Verjährungsfristen unterliegen.

Im Anlassfall hatte der klagende Anleger im Jahr 2006 über Beratung seiner Hausbank eine Beteiligung am Schifffonds HCI Shipping Select XV in Höhe von EUR 65.000 erworben (zuzügl Agio in Höhe von rund EUR 3.000). Er war vom Bankberater weder ausreichend über das mit der Beteiligung einhergehende Totalverlustrisiko aufgeklärt worden, noch über die erhaltenen Kick-back-Provisionen oder den Charakter der jährlichen Ausschüttungen als teilweise Einlagenrückzahlungen, die im Rahmen der Außenhaftung gegebenenfalls von Gläubigern rückgefordert werden können. Jeder einzelne dieser Umstände hätte dazu geführt, dass der Kläger - wäre er ordnungsgemäß informiert worden - die Beteiligung nicht gezeichnet hätte.

Die beklagte Bank wandte Verjährung des Schadenersatzanspruchs ein, weil bereits seit 2009 keine Ausschüttungen mehr erfolgten und dem Anleger damit hätte klar sein müssen, dass die Anlage nicht risikolos ist. Im Jahr 2014, wo der Anleger die Klage eingebracht hatte, sei der Anspruch daher bereits verjährt gewesen.

Das LG Korneuburg als Erstgericht war dieser Argumentation gefolgt, unter Verweis auf die mangelnde Abgrenzbarkeit der Beratungsfehler und den Gedanken der Rechtssicherheit, der einer gesonderten Verjährung mehrerer Beratungsfehler entgegen stehe. Das OLG Wien hat der Berufung des Klägers dagegen stattgegeben:

  • Ein Schaden im Rechtssinne liegt nicht nur darin, dass eine "risikoreiche" anstelle einer "risikolosen" Veranlagung erworben wurde. Vielmehr kann der Schaden - wie hier - auch darin bestehen, dass eine Anlage erworben wird, die nicht regelmäßige Erträge bringt, sondern rückforderbare Rückzahlungen der Kommanditeinlage ausschüttet. Darüber wäre aufzuklären gewesen (RIS-Justiz RS0123046; 4 R 27/14s).

  • Die Verjährung bezieht sich auf den jeweils geltend gemachten Anspruch, der durch die zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen konkretisiert wird. Stützt der Anleger sein Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten, liegen mehrere Ansprüche vor, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind. Selbst wenn man aber vom Vorliegen einer bloßen Anspruchsnormenkonkurrenz ausgehen wollte (ein Anspruch, mehrere Anspruchsgrundlagen), käme im Rahmen der dann einheitlichen Verjährung die für den Anleger günstigste Verjährungsregel zur Anwendung.

  • Warum die Kenntnis über Schaden, Schädiger und Schadensursache (§ 1489 S 1 ABGB) hinsichtlich einer Produkteigenschaft auch den Beginn der Verjährung für andere Produkteigenschaften betreffende Beratungsfehler markieren sollte, ist nicht nachvollziehbar. Insb der Gedanke der Rechtssicherheit kann nicht ausreichen, um den Gläubiger ohne Kenntnis des vollständigen Sachverhalts mit der Verjährung aller seiner Ansprüche zu belasten, nur weil alle auf dieselbe bzw deckungsgleiche Leistungspflicht abzielen.

  • Jedenfalls in Bezug auf den Beratungsfehler betreffend die Außenhaftung des Anlegers (Rückforderbarkeit der erhaltenen Ausschüttungen) ist durch die Einladung zum Nachschuss oder die Mitteilung der Insolvenz einer der Gesellschaften (des Dachfonds) (beide Informationsschreiben aus 2009) weder Kenntnis iSd § 1489 S 1 ABGB eingetreten noch eine diesbezügliche Erkundigungsobliegenheit ausgelöst worden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand: 18.6.2015). Die ordentliche Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zugelassen. Eine ao Revision der Bekl ist möglich.

OLG Wien 29.5.2015, 1 R 43/15y
Volltextservice
Klagsvertreter: Dr. Sebastian Schumacher

Anmerkung:
Dass unterschiedliche Beratungsfehler jeweils gesondert verjähren, entspricht seit Jahren der ständigen Rechtsprechung des deutschen BGH (sog verjährungsrechtliche Trennungsthese; zB V ZR 25/07, III ZR 169/08). Auch der OGH hat in neueren Entscheidungen in Anlegerschadensfällen dahingehende Ansätze erkennen lassen (zB 4 Ob 102/13y); das Urteil des OLG Wien nimmt zu dieser Frage aber nun für Österreich erstmals eindeutig Stellung (anders aber - jeweils nicht rk - OLG Wien 34 R 159/14y, 4 R 183/14g).

Für die österr Rechtslage ergibt sich der gesonderte Verjährungsbeginn in Ansehung unterschiedlicher Beratungsfehler richtigerweise bereits aus dem subjektiven Fristbeginn nach § 1489 S 1 ABGB und dem materiell-rechtlichen Anspruchsbegriff. Ausf zum Thema M. Leitner, Schiffs- und Immobilienfonds: Verjährung bei mehreren Beratungsfehlern, ecolex 2015, 452.

Für die Schadensfälle rund um Geschlossene Fonds hat die Verjährungsfrage in der Praxis besondere Bedeutung, weil der Erwerb der Beteiligungen typischerweise bereits um die Jahrtausendwende stattgefunden hat, seinerzeit aber in vielen Fällen gleich über mehrere Umstände - wie die Rückforderbarkeit der Ausschüttungen, das Totalverlustrisiko und kick-back-Zahlungen - nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurde.

Bedeutung hat das vorliegende Urteil potentiell auch für bereits rechtskräftig entschiedene causen. Erlangt der Anleger erst jetzt Kenntnis über etwaige weitere Tatsachen und Umstände, die ebenfalls eine Fehlberatung begründen und kausal für seinen Veranlagungsentschluss waren, ist sein Ersatzanspruch noch nicht verjährt. Er kann daher - je nach Streitgegenstandsbegriff - entweder neuerlich Klage einbringen (in diesem Sinn obiter das OLG Wien, Pkt 1.4.1.) oder aber bei unverschuldetem Nichtvorbringen im Vorprozess eine Wiederaufnahmsklage anstrengen.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

OLG Wien: unzulässige Klausel eines Restschuldversicherers

OLG Wien: unzulässige Klausel eines Restschuldversicherers

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums den Versicherer CNP Santander Insurance Europe DAC in einem Verbandsverfahren geklagt. Es handelt sich um eine Klausel, wonach die Leistung im Falle der Arbeitsunfähigkeit erstmalig an dem Fälligkeitstermin der Kreditrate erbracht wird, welcher dem Ablauf einer Frist von 6 Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit folgt (=Karenzzeit). Die Klausel, auf die sich der Versicherer auch im Einzelfall berufen hat, um die Versicherungsleistung zu verweigern, wurde im Verbandsverfahren vom OLG Wien als unzulässig beurteilt, nachdem zuvor schon das HG Wien dem VKI recht gegeben hat. Das Urteil ist rechtskräftig.

VKI: Restschuldversicherer zahlt nach Klagseinbringung

VKI: Restschuldversicherer zahlt nach Klagseinbringung

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums den Versicherer CNP Santander Insurance Europe DAC in einem Musterprozess geklagt. Eine Verbraucherin hatte für den Fall der Arbeitsunfähigkeit für einen Kreditvertrag eine Restschuldversicherung bei der CNP Santander Insurance Europe DAC abgeschlossen. Nachdem sie wegen Long Covid eine Zeit lang arbeitsunfähig war, zahlte der Versicherer nicht alle Kreditraten. Der Versicherer zahlte jedoch kurz nach der Klagseinbringung durch den VKI den gesamten Klagsbetrag. Die Klausel, auf die sich der Versicherer im Einzelfall berufen hat, um die Versicherungsleistung zu verweigern, wurde im Verbandsverfahren rechtskräftig für unzulässig erklärt.

OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

47 Klauseln von Lyconet gesetzwidrig

47 Klauseln von Lyconet gesetzwidrig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat – im Auftrag des Sozialministeriums – eine Verbandsklage gegen die Lyconet Austria GmbH (Lyconet) geführt. Lyconet, ein im Netzwerk-Marketing tätiges Unternehmen, vertrieb unter anderem das „Cashback World Programm“. Dabei handelt es sich um eine Einkaufsgemeinschaft, die es Mitgliedern ermöglichen sollte, durch den Bezug von Waren und Dienstleistungen bei Partnerunternehmen Vorteile zu erhalten. Gegenstand der Klage waren 47 Vertragsklauseln, die Bestandteil von Lyconet-Vereinbarungen und sogenannten Lyconet Compensation-Plänen waren. Diese wurden vom VKI unter anderem aufgrund zahlreicher intransparenter Regelungen und damit einhergehender Unklarheiten kritisiert. Nachdem bereits die Unterinstanzen alle beanstandeten 47 Klauseln als gesetzwidrig beurteilt hatten, erkannte auch der Oberste Gerichtshof (OGH) sämtliche Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang