Zum Inhalt

HG Wien bejaht Bankenhaftung bei Swap-Geschäft

Nach Ansicht des HG Wien liegt ein haftungsauslösender Beratungsfehler vor, wenn die Bank den Kunden bei strukturierten Finanzprodukten (Zinsswaps) nicht über den anfänglich negativen Marktwert aufklärt.

Im konkreten Fall schlossen die klagende Gemeinde (Bruck/Leitha) und die beklagte Bank im Jahr 2004 einen Rahmenvertrag ab, auf dessen Basis ein Zinsswap (CHF Reducer Quanto Swap) auf 2 Jahre abgeschlossen wurde, der einige Monate später bei positivem Marktwert - mit Gewinn der Gemeinde - gekündigt wurde. 2006 wurde ein weiterer Zinsswap abgeschlossen (CMS Spread Swap), mit einer Laufzeit von 5 Jahren und einer Kündigungsmöglichkeit der Bank nach dem ersten Jahr sowie einer Ausstiegsmöglichkeit der Gemeinde zum jeweiligen Marktwert.

Die Gemeinde wurde nicht darüber informiert, dass der Marktwert bei Abschluss des Geschäfts für sie negativ war; dies erfolgte erstmals 2008. Wenig später wurde die Vereinbarung von der Bank aufgekündigt, weil eine für sie ungünstige Zinsentwicklung prognostiziert war. Im Jahr 2011 holte die klagende Gemeinde ein Sachverständigen-Gutachten ein, aus dem der schon zu Beginn des Geschäfts negative Marktwert und die Bedeutung der einseitigen Kündigungsmöglichkeit für die Risikoverteilung hervorging, sowie, dass der Ausspruch der Kündigung nicht wie gedacht zu ihrem Vorteil war. Wäre sie über den anfänglich negativen Marktwert aufgeklärt worden, hätte sie das Geschäft nicht abgeschlossen.

Das HG Wien hat der Schadenersatzklage stattgegeben: Bei strukturierten Finanzprodukten mit einem der Höhe nach nicht begrenzten Verlustrisiko setze eine ordnungsgemäße Beratung voraus, dass der Anleger in Bezug auf das Risiko den gleichen Wissensstand habe wie die beratende Bank. Bei einem Geschäft, wo dem Gewinn des einen Vertragspartners spiegelbildlich der Verlust des anderen gegenübersteht, ist die Bank nach Ansicht des HG Wien notwendig in einem - grundsätzlich offenzulegenden - Interessenkonflikt. Das gilt unabhängig davon, ob sie das Risiko selbst übernimmt oder - wie hier - durch Gegengeschäfte auf Dritte verlagert, deren Interessen sie wirtschaftlich vertritt. Der negative Marktwert als Ausdruck eines solchen schwerwiegenden Interessenkonflikts begründet die Gefahr, dass die Empfehlung nicht allein im Kundeninteresse abgegeben wird.

Dementsprechend wäre über den anfänglich negativen Marktwert des Produkts aufzuklären. Daraus hätte sich nicht nur ergeben, dass das Geschäft im Anfangsstadium eine für den Kunden nachteilige Risikostruktur aufweist, sondern auch, dass und welchen Vorteil die Bank aus dem Abschluss gezogen hat.

Die Klägerin ist schadenersatzrechtlich so zu stellen, als hätte sie das Geschäft nicht abgeschlossen und kann daher die geleisteten Zahlungen zurückfordern. Der Gewinn aus dem ersten Swap-Geschäft ist nach Ansicht des HG Wien nicht anzurechnen, weil zwei getrennte Geschäfte vorliegen. Dass mit hypothetischen Alternativveranlagungen, die bei ordnungsgemäßer Aufklärung statt des Swaps abgeschlossen worden wären, auch Verluste verbunden gewesen wären, wurde vom HG Wien - weil von der Bank weder behauptet noch bewiesen - nicht berücksichtigt. Kenntnis vom negativen Marktwert habe die Gemeinde erst im Jahr 2011 erlangt; daher ist der Schadenersatzanspruch auch nicht verjährt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand 9.7.2014)

HG Wien 2.7.2014, 19 Cg 171/11k
Klagsvertreter: Mag. Lukas Aigner, Kraft & Winternitz Rechtsanwälte GmbH

Anmerkung:
Beim Swap handelt es sich iW um eine Vereinbarung, an zukünftigen Zeitpunkten vertraglich bestimmte Zahlungsströme (Zinsen) auszutauschen, wobei die Bank ihre Rolle als Wettgegner typischerweise durch den Abschluss von Gegengeschäften an bestimmte Dritte weitergibt und solcherart den für sie positiven Marktwert sofort realisiert (Hedge-Geschäfte). Der Differenzeinwand (Unklagbarkeit von Wettschulden, § 1267 iVm § 1271 ABGB) ist gem § 1 Abs 5 BWG ausgeschlossen.

Das HG Wien stützt sich in der E-Begründung auf die - "überzeugende und auf die österr Rechtslage übertragbare" - Zinswette-Entscheidung des BGH zu XI ZR 33/10 (CMS Spread Ladder Swap), wonach die Bank verpflichtet ist, dem Kunden bei der Beratung alle Interessenkonflikte offenzulegen und daher auch über den für den Kunden negativen Marktwert aufzuklären. Vgl bereits obiter OGH 8 Ob 11/11t (Quanto Snowball Swap), wonach die Bank den Kunden (konkret: Gebietskrankenkasse) über den anfänglichen Marktwert nach § 13 WAG aF (nunmehr: § 38 WAG: Interessenwahrungspflicht) hätte aufklären müssen.

Näher zum Thema zB Dullinger, Rechtliche Möglichkeiten bei Swap-Geschäften, ecolex 2014, 310; Karollus, Aufklärungspflicht über den anfänglichen negativen Marktwert bei strukturierten Finanzprodukten? ÖBA 2013, 306; Oppitz, Aktuelle Rechtsfragen des Derivatgeschäfts, ÖBA 2013, 321; Wilhelm, Über Zins-Swapping - das "Tauschen" von Zinsen, ecolex 2012, 280; zur OGH-E s die Anmerkungen von Kapsch, GesRZ 2012, 191 und Vonkilch, ÖBA 2012/1796.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

OLG Wien: unzulässige Klausel eines Restschuldversicherers

OLG Wien: unzulässige Klausel eines Restschuldversicherers

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums den Versicherer CNP Santander Insurance Europe DAC in einem Verbandsverfahren geklagt. Es handelt sich um eine Klausel, wonach die Leistung im Falle der Arbeitsunfähigkeit erstmalig an dem Fälligkeitstermin der Kreditrate erbracht wird, welcher dem Ablauf einer Frist von 6 Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit folgt (=Karenzzeit). Die Klausel, auf die sich der Versicherer auch im Einzelfall berufen hat, um die Versicherungsleistung zu verweigern, wurde im Verbandsverfahren vom OLG Wien als unzulässig beurteilt, nachdem zuvor schon das HG Wien dem VKI recht gegeben hat. Das Urteil ist rechtskräftig.

VKI: Restschuldversicherer zahlt nach Klagseinbringung

VKI: Restschuldversicherer zahlt nach Klagseinbringung

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums den Versicherer CNP Santander Insurance Europe DAC in einem Musterprozess geklagt. Eine Verbraucherin hatte für den Fall der Arbeitsunfähigkeit für einen Kreditvertrag eine Restschuldversicherung bei der CNP Santander Insurance Europe DAC abgeschlossen. Nachdem sie wegen Long Covid eine Zeit lang arbeitsunfähig war, zahlte der Versicherer nicht alle Kreditraten. Der Versicherer zahlte jedoch kurz nach der Klagseinbringung durch den VKI den gesamten Klagsbetrag. Die Klausel, auf die sich der Versicherer im Einzelfall berufen hat, um die Versicherungsleistung zu verweigern, wurde im Verbandsverfahren rechtskräftig für unzulässig erklärt.

OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

47 Klauseln von Lyconet gesetzwidrig

47 Klauseln von Lyconet gesetzwidrig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat – im Auftrag des Sozialministeriums – eine Verbandsklage gegen die Lyconet Austria GmbH (Lyconet) geführt. Lyconet, ein im Netzwerk-Marketing tätiges Unternehmen, vertrieb unter anderem das „Cashback World Programm“. Dabei handelt es sich um eine Einkaufsgemeinschaft, die es Mitgliedern ermöglichen sollte, durch den Bezug von Waren und Dienstleistungen bei Partnerunternehmen Vorteile zu erhalten. Gegenstand der Klage waren 47 Vertragsklauseln, die Bestandteil von Lyconet-Vereinbarungen und sogenannten Lyconet Compensation-Plänen waren. Diese wurden vom VKI unter anderem aufgrund zahlreicher intransparenter Regelungen und damit einhergehender Unklarheiten kritisiert. Nachdem bereits die Unterinstanzen alle beanstandeten 47 Klauseln als gesetzwidrig beurteilt hatten, erkannte auch der Oberste Gerichtshof (OGH) sämtliche Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang