Wien (APA) - Sammelklagen kennt man hierzulande praktisch nur aus amerikanischen Gerichtsfilmen - nun soll diese Möglichkeit auch in Österreich geschaffen werden. Ein von Justizministerin Maria Berger (S) vorgelegter Gesetzesentwurf sieht sowohl "Gruppenverfahren" (also echte Sammelklagen) als auch "Musterprozesse" mit Verjährungs-Unterbrechung vor. Im Vergleich zur schon derzeit möglichen "Verbandsklage" sollen diese Gruppenverfahren ab 2008 unkomplizierter und vor allem billiger werden. "Amerikanische Verhältnisse" drohen nach Meinung des Justizministeriums trotzdem nicht.
Für Justizministerin Berger bringt die Gruppenklage einen "großen Fortschritt für die Rechtssicherheit der Betroffenen". "Das Verfahren kann insgesamt schneller abgeschlossen werden, und am Ende steht ein für alle beteiligten Personen und Ansprüche einheitliches Urteil. Das ist ein weiterer großer Fortschritt für die Rechtssicherheit der Betroffenen", so die Ministerin gegenüber der APA.
Hintergrund der Reform (es handelt sich um eine Novelle zur Zivilprozessordnung, die Begutachtungsfrist läuft bis Ende Juli) sind in den vergangenen Jahren angefallene Monsterprozesse: So haben nach der Seilbahnkatastrophe von Kaprun fast 100 Hinterbliebene Schadenersatz eingeklagt, im Zusammenhang mit dem Salzburger WEB-Skandal haben sich über 3.000 geschädigte Anleger ans Gericht gewandt. Das Problem dabei: Obwohl es immer wieder um die selben Fragen geht, muss jeder einzelne Schadenersatzanspruch in einem eigenen Verfahren abgehandelt werden, was die Prozesskosten in die Höhe treibt.
Zwar ist eine Art Sammelklage schon jetzt möglich - allerdings nur über den komplizierten Umweg der so genannten "Verbandsklage". Dabei müssen alle am Verfahren Beteiligten ihre Schadenersatzansprüche an einen "Klagsverband" abtreten (etwa den Verein für Konsumenteninformationen), der die Forderungen dann gesammelt bei Gericht einklagt.
Nach den Plänen des Justizministeriums sollen nun auch echte Sammelklagen möglich werden, bei denen mehrere Geschädigte ihre Ansprüche in einem einzigen Gerichtsverfahren geltend machen können - und zwar direkt und ohne Einschaltung eines Klagsverbandes. Voraussetzung: Das Gruppenverfahren muss von mindestens drei Geschädigten beantragt werden, die zumindest 50, auf "gleichen Tat- und Rechtsfragen" basierende Ansprüche gegen dieselbe Person (oder das selbe Unternehmen) anmelden. Außerdem muss das Gericht zur Ansicht kommen, dass ein Gruppenverfahren einfacher und billiger abzuwickeln wäre als Einzelklagen.
Der Vorteil für das Gericht: Egal wie viele Kläger dem Gruppenverfahren beitreten, zur Klärung der Schuldfrage muss nur ein einziges Beweisverfahren durchgeführt werden, weil ja "gleiche Tat- und Rechtsfragen" geklärt werden müssen. Es kommt somit zu einer deutlichen Reduktion der Verwaltungskosten (die individuelle Höhe des Schadenersatzes müsste freilich im Streitfall weiterhin gesondert festgelegt werden). Der Vorteil für die Kläger: Das Gruppenverfahren kommt deutlich billiger als die Verbandsklage oder gar mehrere Einzelklagen, denn Anwalts- und Gerichtskosten werden gesetzlich begrenzt.
Grundsätzlich hängt die Höhe des Stundensatzes für Rechtsanwälte nämlich vom Streitwert des Verfahrens ab - und der kann bei Sammelklagen schnell in die Millionen gehen. Als Beispiel nennt Hartmut Haller vom Justizministerium 3.000 Klagen auf jeweils 1.200 Euro Schadenersatz - macht einen gesamten Streitwert von 3,6 Mio. Euro. Würden die 3.000 Geschädigten ihre Ansprüche in jeweils eigenen Verfahren vertreten, müssten sie ihrem Anwalt für zwei Verhandlungsstunden fast 300 Euro bezahlen. Könnten sie die Ansprüche von ein und dem selben Anwalt im selben Verfahren einklagen lassen (was in bestimmten Fällen schon jetzt möglich ist), müssten sie dafür pro Person rund 3,5 Euro bezahlen (in Summe also über 10.000 Euro) und bei einer Verbandsklage wären es immerhin noch 2,4 Euro pro Person.
Im nun vorgeschlagenen Gruppenverfahren wird die Bemessungsgrundlage für die Anwaltshonorare jedoch - unabhängig vom tatsächlichen Streitwert - bei zwei Mio. Euro gedeckelt, außerdem entfällt der so genannte "Streitgenossenzuschlag", den Anwälte für die Vertretung mehrerer Kläger normalerweise kassieren dürfen. Laut Haller würden die Anwaltskosten damit nur noch rund 1,6 Euro pro Person betragen. Zehn Prozent der Anwaltskosten wären außerdem an den von den Klägern zu wählenden "Gruppenvertreter" zu bezahlen, der für die Kläger sprechen und sie über den Verfahrensstand informieren soll.
Dass mit der Gruppenklage auch in Österreich "amerikanische Verhältnisse" einziehen könnten, weist Haller zurück. Eine Klagsflut wird nach Meinung des Justizministeriums schon dadurch verhindert, dass im Fall einer Niederlage im Prozess der Verlierer die Anwaltskosten des Siegers tragen muss. Erfolgsabhängige Anwaltshonorare - etwa in Form einer "Gewinnbeteiligung" - sind in Österreich ohnehin nicht zulässig. Und außerdem müssen sich die Kläger bei der österreichischen Gruppenklage freiwillig und bewusst zur Teilnahme entscheiden, während bei der amerikanischen Sammelklage ("class action") alle Geschädigten automatisch mit einbezogen werden (es sei denn, sie verweigern dies in Form eines "opting out").
Erleichtert wird in der Zivilprozessnovelle auch die Durchführung von so genannten "Musterverfahren". Diese sind zwar schon jetzt möglich: Dabei wird bei Vorliegen vieler gleichartiger Ansprüche (z.B. in einem arbeitsrechtlichen Streit der Belegschaft mit einem Unternehmen) ein einzelnes Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof durchgefochten, um die Rechtslage vorweg abzuklären. Bis das Ergebnis dieses "Musterprozesses" vorliegt, warten die anderen potenziellen Kläger ab und entscheiden dann - mit dem Urteil des OGH im Rücken - wie sie weiter vorgehen. Das Problem dabei ist allerdings die Verjährungsfrist.
Wenn sich der Musterprozess über Jahre zieht, könnte es nämlich passieren, dass die Ansprüche der anderen Geschädigten in der Zwischenzeit verjähren und damit verfallen (für den im Musterprozess eingeklagten Anspruch besteht diese Gefahr natürlich nicht). Ein freiwilliger "Verjährungsverzicht" ist zwar grundsätzlich möglich - dem müssen aber beide Parteien zustimmen - und nach Angaben des Justizministeriums haben in den letzten Jahren immer mehr finanzstarke Beklagte diesen Verjährungsverzicht verweigert.
Der Entwurf des Justizministeriums sieht nun vor, dass bei "Musterklagen" die Verjährungsfrist künftig unterbrochen wird. Dazu muss zuerst eine Musterklage eingebracht werden (und zwar durch einen berechtigten Klagsverband, also einen der Sozialpartner oder den VKI). Danach können andere Klags-Interessenten ihre Ansprüche in einem eigenen Register anmelden. Ab dem Zeitpunkt der Anmeldung ruht die Verjährungsfrist. Eine allfällige Klage muss dann bis spätestens drei Monate nach Abschluss des Musterverfahrens eingebracht werden.