Im März 2007 erwarb die Klägerin über Vermittlung durch das beklagte Wertpapierdienstleistungsunternehmen 738 Zertifikate der damaligen Meinl European Land Ltd (kurz: MEL-Zertifikate). Die Klägerin begehrte die Zug-um-Zug-Rückabwicklung wegen systematischer Irreführung durch die Beklagte und ihren Erfüllungsgehilfen; der Klägerin wurden die Wertpapiere nämlich als absolut risikofreie Immobilieninvestition und mündelsichere Anlage beworben.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin hatte keinerlei Erfahrungen im Wertpapiergeschäft und wollte ein risikoarmes und konservatives Wertpapier erwerben. Der Vermittler - er war im Namen und auf Rechnung der Beklagten tätig - bewog die Klägerin mit dem Argument zum Ankauf, dass es sich um eine mündelsichere und risikolose Anlage handelte, deren Wert schlechtestenfalls auf derselben Höhe stehen bleiben würde. Tatsächlich sind MEL-Zertifikate eine risikoreiche Veranlagungsform. Er hat damit grob fahrlässig gegen §§ 13 und 14 Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG) verstoßen. Ohne fehlerhafte Beratung hätte die Klägerin die MEL-Zertifikate nicht erworben. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht gegeben, weil alle wesentlichen Formulare vom Vermittler selbst ausgefüllt und die Unterlagen der Klägerin erst einige Tage später überreicht wurden. Die Klägerin hat nicht annehmen müssen, dass sich die Inhalte der schriftlichen Risikohinweise nicht mit den Beratungsgesprächen decken würden. Ein Unterzeichnen zuvor nicht gelesener Risikohinweise falle bei fehlerhafter Anlageberatung nicht ins Gewicht.
Das OLG Linz (als Berufungsgericht) bestätigte das Ersturteil. Die Beklagte machte in der Berufung ua geltend, dass im von der Klägerin unterschriebenen Anlegerprofil mittleres Risiko angekreuzt war. Der Vermittler selbst sagte aber aus, dass die Klägerin etwas Konservatives und Risikoloses wollte. Außerdem ergaben die Zeugenvernehmungen verschiedener Anleger, dass die Erfüllungsgehilfen der Beklagten - ihren Weisungen entsprechend - die Anleger nicht nach deren Risikobereitschaft fragten und darauf ihre Beratung abstellten, sondern ein Produkt empfahlen, nach dessen vermeintlichem Risiko das Risikoprofil ausfüllten und vorgaben, dass dies verwaltungstechnisch notwendig und für den Verkauf des angepriesenen Produktes erforderlich sei. Der Vermittler selbst sagte aus, die Klägerin "fiel in die Zeit, in der wir ´mittel ´ankreuzen mussten…".
Der Vermittler sprach beim Beratungsgespräch absichtlich nicht von Aktien, um die Klägerin nicht zu verunsichern - dies wurde ihm bei der Schulung durch die Beklagte aufgetragen. Vielmehr sprach er von einem Immobilieninvestment, welches in dieselbe Risikoklasse wie ein Sparbuch falle und ein mündelsicheres Wertpapier darstelle; dabei führte er ua den Namen "Meinl" als besondere Reputation in Treffen.
Das Berufungsgericht kam zu dem Schluss, dass es sich um eine besonders schwerwiegende Verletzung von Aufklärungspflichten handelte. Schon die Schulung der Erfüllungsgehilfen der Beklagten stellte darauf ab, Bedenken der Anleger durch bewusst manipulative Wortwahl gar nicht erst aufkommen zu lassen. Der Zweck des Anlegerprofils wurde geradezu vereitelt, indem sich die Erfüllungsgehilfen der Beklagten beim Ausfüllen nicht am Kunden, sondern am Produkt orientieren sollten. Darüber hinaus wurde seine Bedeutung zur Formsache erklärt und das Kreuz bei der von der Beklagten - entsprechend der Anlageform - für richtig erachteten Risikobereitschaft gemacht. Auf diese Weise setzten die Erfüllungsgehilfen der Beklagten die Anleger systematisch in ungleich höherem Maß dem Risiko eines Verlustes durch die "ungewollte" Anlage aus. Im konkreten Fall kam das Gericht nicht zu einem Mitverschulden der Klägerin; selbst wenn man aber eine Sorglosigkeit der Klägerin annehmen würde, müsste diese gegenüber dem Verhalten der Beklagten, die ihre Sorgfaltspflichten systematisch und massiv verletzte, vernachlässigt werden.
Bei der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten kann der Anleger verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater oder -vermittler pflichtgemäß gehandelt, ihn also ordnungsgemäß aufgeklärt hätte. Hätte die Klägerin bei richtiger Beratung die MEL-Zertifikate nicht gekauft und ist sie noch im Besitz der Zertifikate, so kann sie - im Rahmen der Naturalrestitution - den Erwerbspreis zzgl der mit den Kauf verbundenen üblichen Kosten Zug-um-Zug gegen Übertragung der Zertifikate geltend machen. Dass die Klägerin aufgrund Vermittlung durch die Beklagte von einem Dritten erworben hat, ist kein Grund, hinsichtlich ihres Schadens zu differenzieren. Einem Anlagevermittler oder -berater ist die Übernahme eines Papiers, das er in freier Entscheidung nach Übernahme sofort verkaufen oder solange wie gewünscht halten kann, zwecks Schadenswiedergutmachung zumutbar. Das künftige Risiko dieses "ungewollten" Papiers ist dem fehlerhaft Beratenden und nicht dem fehlerhaft Beratenen zuzuweisen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
OLG Linz 08.07.2010, 4 R 90/10y
Klagevertreter: Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in Salzburg