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Anlageberatung - Mangelnde Aufklärung über Eigeninteresse führt zu Schadenersatz der Bank

Das Landgericht Hamburg verurteilt eine Bank zur Haftung für falsche Anlageberatung bei Lehman-Anleihe, weil Kunde nicht über die eigene Gewinnmarge aufgeklärt hat.

Der Kläger begehrt von der beklagten Sparkasse Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen einer Anlageberatung über den Erwerb von Zertifikaten der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers.

Der Kläger ist pensionierter Lehrer. Er verfügt über eine gewisse Erfahrung im Bereich der Geldanlage, hat jedoch in der Vergangenheit - bis auf den Erwerb einer Anleihe der niederländischen Rabobank und einer Weihnachtszinsanleihe der Deutschen Bank - eine als konservativ zu bezeichnende Anlagestrategie verfolgt, d.h. er hat sein Geld überwiegend festverzinslich oder in Immobilienfonds angelegt. Daneben verfügt er über einige Aktien der Telekom AG. Ende 2006 wurde ein Betrag von € 40.000,00, den der Kläger zuvor festverzinslich angelegt hatte, zur Wiederanlage frei. Davon ließ der Kläger € 20,000,00 seinem Sohn zukommen und legte € 10.000,00 festverzinslich an. Für weitere € 10.000,00 zuzüglich eines Ausgabeaufschlags von € 100,00 erwarb der Kläger auf Empfehlung einer Kundenberaterin der Beklagten im Dezember 2006 Zertifikate der Investmentbank Lehman Brothers, die in Deutschland in größerem Umfang u.a. von der Beklagten vertrieben wurden.

Bei dem vom Kläger erworbenen Zertifikat handelt es sich um die so genannte "ProtectExpress"-Anleihe. Emittentin dieses Zertifikats ist die niederländische Lehman Brothers Treasury Co. B. V. mit Sitz in Amsterdam. Diese Gesellschaft ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Lehman Brothers UK Holdings (Delaware) Inc. Dieses Unternehmen wiederum befindet sich im 100%igen Anteilsbesitz der Muttergesellschaft des Lehman-Konzerns, der Lehman Brothers Holdings Inc., New York. Die Kreditwürdigkeit der Lehman Brothers Holdings Inc. wurde zum Emissionszeitpunkt des streitgegenständlichen Zertifikats im November 2006 von allen bekannten Rating-Agenturen als gut im Sinne einer hohen Bonität beurteilt (Standard & Poor's: A+, Moody's: A1, Fitch: A+). Da die Emittentin, die Lehman Brothers Treasury Co. B.V., über kein eigenes Rating verfügte, übernahm die Lehman Brothers Holdings Inc. gegenüber allen Inhabern der Schuldverschreibung eine Garantie für die Rückzahlung der Anleihe.

Dem Erwerb der Wertpapiere durch den Kläger liegt ein Kaufvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zugrunde. Die Beklagte hatte die streitgegenständliche ProtectExpress-Anleihe ihrerseits zuvor selbst von der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co. B.V. gekauft, und über ihren Eigenbestand an den Kläger weiter veräußert. Sie hat dabei das wirtschaftliche Risiko der Platzierung der Anleihe sowie das Risiko eines Wertverlusts der Anleihe zwischen Ankauf und Weiterveräußerung übernommen. Das streitgegenständliche Zertifikat wurde - wie es bei variabel verzinslichen Anleihen und Zertifikaten die Regel ist - von der Emittentin im Einvernehmen mit der Beklagten strukturiert. Für den Fall, dass die Beklagte die von der Emittentin übernommenen Zertifikate nicht an ihre Kunden veräußern konnte, durfte sie das Zertifikat an die Emittentin zurückgeben und musste es nicht in den Eigenbestand nehmen. Der hierfür von der Emittentin zu zahlende Preis hätte jedoch einen Abschlag vom Einstandspreis der Beklagten enthalten.

Im September 2008 musste zunächst die Lehman Brothers Holdings Inc. und in der Folge auch die Emittentin, die Lehman Brothers Treasury Co. B.V., Insolvenz anmelden. Infolge der Insolvenz von Lehman Brother ist fraglich, ob der Kläger sein Kapital zurückerhalten wird. Der Kläger begehrt deshalb von der Beklagten Ersatz des ihm entstandenen Schadens, den er auf €10.100,00 bezifferte.

Das Gericht sieht den Anleger in zwei Punkten falsch beraten:

Zum einen habe die Bank ihre Pflicht zur objektgerechten Beratung dadurch verletzt, dass sie den Kläger nicht darüber aufgeklärt habe, dass das Zertifikat nicht von einem Einlagensicherungssystem gedeckt ist und er somit von einer "gesicherten" Anlage in eine "ungesicherte" wechselte.

Zum anderen hat es aber die Bank auch verabsäumt, den Kläger über die für die Bank verbundene Gewinnmarge aufzuklären. Das Gericht wendet die "Kick-Back" - Rechtssprechung des BGH auch für diesen Fall an ((BGH, Urteil vom 19,12.2000, XI ZR 349/99 BGHZ 146, 235 = NJW 2001, 962 - "Kick Back l"; BGH, Urteil vom 19.12.2006, XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 = NJW 2007, 1876 - "Kick Back II"; BGH, Beschluss vom 20,01.2009, XI ZR 510/07, NJW 2009, 1416 - "Kick Back III"). Nach dieser Rechtsprechung ist die Aufklärung über die Rückvergütung notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) offen zu legen. Erst durch die Aufklärung werde der Kunde in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen und zu beurteilen, ob die Bank ihm einen bestimmten Titel nur deswegen empfiehlt, weil sie selbst daran verdient. Wenn eine Bank einem Kunden ohne Zwischenschaltung eines Vermögensverwalters berät, Anlageempfehlungen abgibt und dabei an den empfohlenen Fonds durch Rückvergütungen verdient, seien die Kundeninteressen durch die von der Bank erhaltenen Rückvergütungen gefährdet. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass die Bank Anlageempfehlungen nicht allein im Kundeninteresse nach den Kriterien anleger- und objektgerechter Beratung abgibt, sondern zumindest auch in ihrem eigenen Interesse, möglichst hohe Rückvergütungen zu erhalten (BGH, NJW 2007,1876,1878). Bei der Offenlegung von Rückvergütungen gehe es um die Frage, ob eine Gefährdungssituation für den Kunden geschaffen werde. Deshalb sei es geboten, den Kunden über etwaige Rückvergütungen aufzuklären und zwar unabhängig von der Rückvergütungshöhe (BGH, Beschluss vom 20.01.2009, XI ZR 510/07, NJW 2009, 1416, 1417).

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Zwar geht es vorliegend nicht um die Zahlung einer bestimmten Provision durch einen Dritten. Sinn und Zweck der BGH-Rechtsprechung gebieten jedoch eine Ausdehnung der "Kick Back"-Rechtsprechung auf die Aufklärungspflicht einer Bank in Bezug auf eine Gewinnmarge beim Eigenvertrieb von Finanzmarktprodukten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Anleger über ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse seines Beraters aufgeklärt werden, um beurteilen zu können, ob die Beratung ausschließlich im Kundeninteresse passierte oder ob eigene Interessen des Beraters oder der Bank ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Dieser Gedanke passt auf die Aufklärungspflicht über die Höhe einer Marge in gleicher Weise wie hinsichtlich der Zahlung von Provisionen. Dass es hierbei nicht um eine Zuwendung von Dritten - wie bei der Zahlung verdeckter Innenprovisionen - geht, sondern nur eine: Zweierbeziehung Bank-Kunde vorliegt, steht dem nicht entgegen, weil das Schutzbedürfnis des Kunden das gleiche ist und es wirtschaftlich keinen Unterschied macht, ob die Bank ein Papier schon erworben hat und mit Gewinn weiterveräußert, oder ob dieses erst noch bei einem Drittem zu erwerben ist und dann für die Bank eine Provision fällig wird. Würde man dies anders sehen wäre eine Umgehung der Gründsätze aus der "Kick Back"-Rechtsprechung des BGH ganz einfach dadurch möglich, dass Provisionen als Margen ausgestaltet würden.

Durch die gewählte Gestaltung der vollständigen Übernahme des Zertifikats durch die Beklagte und der Veräußerung im Festpreisgeschäft auf eigenes wirtschaftliches Risiko besteht in besonderer Weise ein wirtschaftliches Interesse der Beklagten und ihrer Mitarbeiter am Vertrieb gerade des streitgegenständlichen Zertifikats. Zwar durfte die Beklagte nicht verkaufte Zertifikate an die Emittentin zurückgeben und musste sie nicht in den Eigenbestand nehmen. Der hierfür von der Emittentin zu zahlende Preis enthielt jedoch einen Abschlag vom Einstandspreis der Beklagten. Dadurch bestand - unabhängig von der konkreten Größenordnung des möglichen Verlusts - ein Anreiz und ein damit korrespondierender Druck zum Absatz der Lehman-Zertifikate. Daran ändert sich - entgegen der Rechtsansicht der Beklagten - auch nichts dadurch, dass diese bei Eigenemissionen ein gleiches oder möglicherweise sogar noch größeres Platzierungsinteresse hat. Entscheidend ist, dass ein solcher Anreiz im vorliegenden Fall bestand. Hinsichtlich der - wie die Beklagte meint - jederzeitigen Wiederveräußerbarkeit über die Börse war zumindest unsicher, zu welchem Preis dies möglich sein würde. Der damit verbundene Interessenkonflikt der Beklagten begründet im Rahmen eines Beratungsgesprächs in besonderer Weise eine Pflicht zur Aufklärung, um so den Kunden in die Lage zu versetzen, das Umsatzinteresse der Bank einschätzen und beurteilen zu können, insbesondere, ob die Beklagte und ihre Berater das Zertifikat nur deshalb empfahlen, weil sie selbst daran verdienten bzw. im Fall des nicht vollständigen Abverkaufs mit einem Verlust hätten rechnen müssen (so auch der BGH, Beschluss vom 20.01.2009, XI ZR 510/07, NJW 2009,1416,1417 - "Kick Back IIl").

Das Gericht sprach den begehrten Schadenersatz zu.

LG Hamburg 23.6.2009, AZ 310 O 4/09

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