Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) ging im Auftrag des Sozialministeriums gegen die Lebenshilfe Tirol wegen ihrer gesetzwidrigen Praxis - keine schriftlichen Verträge mit den Heimbewohnern abzuschließen - mit einer Verbandsklage vor.
Die Beklagte vertrat den Rechtsstandpunkt, dass die Bestimmungen des KSchG weder teilweise noch zur Gänze Anwendung finden würden. Sie sei eine gemeinnützige Einrichtung für geistig und mehrfach behinderte Menschen, die aufgrund der Bestimmungen des Tiroler Rehabilitationsgesetzes (TRG) vom Land Tirol mit einem verwaltungsrechtlichen Vertrag beauftragt worden sei, bestimmte Aufgaben im Rahmen der Rehabilitation zu übernehmen. Sie betreibe keine Alters- und Pflegeheime. Es liege kein klassischer Heimvertrag vor, das Entgelt und die Dauer der Maßnahme würden von der Behörde hoheitlich per Bescheid bestimmt.
Das OLG Innsbruck ist diesen Einwänden - wie bereits das LG Innsbruck in erster Instanz - nicht gefolgt und hat die Beklagte zur Errichtung von schriftlichen Heimverträgen verurteilt.
Das OLG Innsbruck stellte klar, dass mit der Aufnahme in den "Wohnbereich" ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen der Lebenshilfe Tirol und dem Heimbewohnen (Leistungsempfänger) zustande kommt, der den Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes unterliegt. Dass das Land Tirol die Kosten des Heimaufenthaltes übernimmt, führt nicht zur Unanwendbarkeit der §§ 27b ff KSchG.
Verhältnis Tiroler Rehabilitationsgesetz und §§ 27b ff KSchG:
Das OLG führte zum Verhältnis TRG und KSchG folgende Erwägungsgründe aus. Bei der gegebenen Konstellation liegen drei rechtlich unterschiedliche Rechtsbeziehungen vor.
Die erste Rechtsbeziehung besteht zwischen Land Tirol und der Beklagten, indem das Land Tirol die Lebenshilfe zur Übernahme von bestimmten Aufgaben im Rahmen der Rehabilitation beauftragt. Hier handelt es sich nicht um einen verwaltungsrechtlichen sondern um einen zivilrechtlichen Vertrag, den das Land im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (und nicht durch Hoheitsakt) abgeschlossen hat.
Die zweite Rechtsbeziehung besteht zwischen Land Tirol und dem jeweiligen Behinderten, die dem Regime des Verwaltungsrechts unterliegt. Die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen nach § 25 ABs 1 TRG ist im Verwaltungsweg zu entscheiden. Dementsprechend erlässt das Land Tirol einen Bescheid darüber, welche Leistungen der Behinderte der Beklagten in Anspruch nehmen darf. Dies stellt zweifelsfrei einen hoheitlichen Akt dar.
Die dritte Rechtsbeziehung in Bezug auf das "Begleitete Wohnen" besteht zwischen Lebenshilfe Tirol und Behinderter, wenn der Behinderte die bescheidmäßig zuerkannte Leistung bei der Beklagten in Anspruch nimmt. Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei, dass der Behinderte nur mit seiner Zustimmung oder der seines Vertreters in den "Wohnbereich" der Beklagten aufgenommen werden darf (und nicht etwa durch Einweisung in ein Heim auch gegen seinen Willen).
Mit der Aufnahme in den "Wohnbereich" kommt nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen Heimbewohner und dem Heimträger zustande, der den Bestimmungen §§ 27b ff KSchG unterliegt. Dass das Land Tirol die Kosten des Heimaufenthaltes (Grundversorgung) übernimmt, führt nicht zur Unanwendbarkeit der §§ 27b ff KSchG.
Behindertenheime sind in den in § 27b Abs 1 KSchG alternativ aufgezählten drei Arten von Einrichtungen (Altenheime, Pflegeheime und andere Einrichtungen) nicht ausdrücklich genannt. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass Einrichtungen der Behindertenhilfe im Begriff "andere Einrichtungen" inkludiert sind. Auch das "Betreute Wohnen" fällt darunter, wenn neben der Unterkunft Pflege- und Betreuungsleistungen erbracht werden (Grundversorgung). Darüber hinaus erbringt die Beklagte vom Heimbewohner gewählte und vom Bescheid des Landes Tirol nicht umfasste, über die Grundversorgung hinausgehende Zusatzleistungen.
Ausnahmetatbestand greift nicht:
Die Beklagte konnte sich nicht begründet darauf stützen, stationäre Einrichtungen für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne des Ausnahmetatbestandes des § 27b Abs 1 KSchG zu betreiben. Es fehlten u.a. der ursächliche und zeitliche Zusammenhang mit der akutmedizinischen Versorgung und die zeitliche Begrenzung der Rehabilitation. Die Beklagte biete Dauerwohnplätze, welcher Umstand mit den Grundsätzen der Rehabilitation nicht vereinbar ist.
Die Vorgangsweise der Lebenshilfe Tirol, mit Bewohnern ihrer Wohneinrichtungen keine schriftlichen Verträge zu errichten, widerspricht daher § 27d Abs 5 KSchG. Das OLG Innsbruck verweist auch darauf, dass es nicht nur um die Form des Heimvertrages geht, sondern vorallem um dessen Inhalt nach § 27d KSchG.
Das OLG-Urteil iS Lebenshilfe Tirol ist seit 4. September 2015 rechtskräftig.
OLG Innsbruck 29.4.2015, 1 R 33/15k
Volltextservice
Klagevertreter: Dr. Stefan Langer, RA in Wien
Anmerkung:
Auch der OGH stellte bereits fest, dass im Zuge der Erbringung von frei gewählte Zusatzleistungen, die über die Grundversorgung hinausgehen, die Bestimmungen der §§ 27b ff KSchG anzuwenden sind (4 Ob 188/06k, 3 Ob 180/08d, 7 Ob 91/09x).
Das OLG Innsbruck stellt nun erstmals klar, dass schon bei der Grundversorgung ein privatrechtlicher Vertrag entsteht, der alle Voraussetzungen eines Heimvertrages iSd § 27 b Abs 1 KSchG erfüllt. Dass das Land Tirol die Kosten der Grundversorgung übernimmt, führt nicht zur Unanwendbarkeit der §§ 27b ff KSchG.
Urteil: OLG Innsbruck zu Lebenshilfe Tirol: Leistungen der Grundversorgung unterliegen - trotz Kostenübernahme durch das Land Tirol - dem KSchG
Lebenshilfe Tirol ist zur Errichtung von schriftlichen Heimverträgen verpflichtet.
Lesen Sie mehr:
OLG Innsbruck bestätigt: Lebenshilfe Tirol verstößt gegen das Schriftformgebot bei Heimverträgen - 14.7.2015
https://verbraucherrecht.at/cms/index.php?id=49&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3426