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Akteneinsicht für Geschädigte im Kartellverfahren - § 39 Abs 2 KartG nach EuGH unionsrechtswidrig

§ 39 Abs 2 KartG, wonach am Kartellverfahren nicht beteiligte Personen in die Akten des Kartellgerichts nur mit Zustimmung der Parteien Einsicht nehmen können, verstößt gegen Unionsrecht.

Verstöße gegen das - nationale oder europäische - Kartellrecht können Schadenersatzansprüche geschädigter Marktteilnehmer nach sich ziehen (zuletzt 4 Ob 46/12m; EuGH Courage-Crehan). Die gerichtliche Durchsetzung dieser Schadenersatzansprüche ist in der Praxis schwer, weil die Geschädigten vor Gericht sowohl den Kartellrechtsverstoß beweisen müssen, als auch, dass ihnen daraus ein Schaden in bestimmter Höhe entstanden ist. Informations- und Beweismaterial, das die effektive Verfolgung der Ansprüche durch Geschädigte oft erst ermöglicht, ist zwar regelmäßig in den Akten aus einem vorangehenden Kartellverfahren enthalten. Der Akteneinsicht steht aber § 39 Abs 2 KartG entgegen, wonach am Kartellverfahren nicht als Partei beteiligte Personen in die Akten des Kartellgerichts nur Einsicht nehmen können, wenn alle Parteien zustimmen. Letzteres ist freilich in der Praxis selten der Fall, weil sie sich dadurch für den nachfolgenden Schadenersatzprozess in eine schlechtere Position bringen. 

Der EuGH hat nun entschieden, dass § 39 Abs 2 KartG mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist. Einerseits verstößt die kartellrechtliche Norm gegen den Äquivalenzgrundsatz, weil sie - anders als nach § 219 Abs 2 ZPO, der Dritten Akteneinsicht bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses auch ohne Zustimmung der Parteien im Einzelfall ermöglicht - eine Abwägung der widerstreitenden Interessen pauschal ausschließt. Zum Anderen kann die darin liegende Erschwerung der Rechtsdurchsetzung die praktische Wirksamkeit der unmittelbar aus Art 101 AEUV ableitbaren Schadenersatzansprüche beeinträchtigen, worin eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes liegt. 
Erforderlich ist nach dem EuGH, dass die nationalen Regelungen eine Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ermöglichen, die Verweigerung der Akteneinsicht demnach nicht per se möglich sein darf, sondern im konkreten Fall durch öffentliche Interessen - wie etwa an der Wirksamkeit der Kronzeugenregelungen - gerechtfertigt sein muss.

EuGH 06.06.2013, C-536/11, Donau Chemie ua

Anmerkung: Vgl bereits die gleichlautenden Schlussanträge des Generalanwalts (siehe Anhang) und EuGH 14.06.2011, C-360/09, Pfleiderer, wonach die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften die Erlangung von Schadenersatz nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen und die Kollision zwischen Effektuierung des Kartellverbots (Art 101 AEUV) durch private enforcement und Effektivität der Kronzeugenregelung eine alle Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung im Einzelfall erfordert.

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