Zum Inhalt

Amtswegige Klauselprüfung

Ein Gericht, das mit einer Klausel in einem Verbrauchervertrag befasst ist, hat die Klausel auf ihre Missbräuchlichkeit zu prüfen, wenn es Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich ist, auch wenn eine nationale Vorschrift (hier eine polnische) vorsieht, dass das Gericht die Ausführungen des Klägers als wahr anzusehen hat, hier weil der Beklagte nicht zum Prozess erschien.

Ein Inkassounternehmen klagte einen Konsumenten wegen behaupteter Forderungen aus einem Verbraucherkreditvertrag. Das polnische Gericht stellte fest, dass die vom Kläger vorgelegten Unterlagen und Beweise das Bestehen der fraglichen Forderung nicht belegten. Obwohl der Konsument nicht erschienen war, wies das Gericht die Klage durch Versäumnisurteil ab.

Eine polnische Zivilverfahrensvorschrift sieht vor, dass bei Nichterscheinen des Beklagten die Ausführungen des Klägers zum Sachverhalt in der Regel als wahr angesehen werden. Im Verfahren vor dem EuGH ging es um die Vereinbarkeit dieser polnischen Regelung mit dem von der Klausel-RL 93/13 geforderten Verbraucherschutzstandard, insbesondere im Hinblick auf die Pflicht des Gerichts, die mögliche Missbräuchlichkeit der Klauseln in Verbraucherverträgen von Amts wegen zu prüfen.

Der den Verbrauchern durch die Klausel-RL gewährte Schutz erstreckt sich auf alle Fälle, in denen sich ein Verbraucher bei einem Vertrag mit einem Gewerbetreibenden, der eine missbräuchliche Klausel enthält, ua nicht darauf beruft, dass die fragliche Klausel missbräuchlich ist, weil er entweder seine Rechte nicht kennt oder durch die Kosten, die eine Klage verursachen würde, von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird. Ohne eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der in dem betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln kann die Einhaltung der durch die Klausel-RL verliehenen Rechte nicht garantiert werden. Nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden kann die zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem bestehende Ungleichheit ausgeglichen werden. Daher muss das nationale Gericht nach stRsp die Missbräuchlichkeit einer in den Anwendungsbereich der Klausel-RL 93/13 fallenden Vertragsklausel von Amts wegen prüfen.

Im gegenständlichen Fall muss es dem Gericht, auch wenn der Verbraucher nicht erscheint, möglich sein, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die potenzielle Missbräuchlichkeit der Klauseln zu prüfen, damit der Schutz der Verbraucherrechte gewährleistet wird. Wäre das Gericht nach einer nationalen Vorschrift verpflichtet, den Tatsachenvortrag des Gewerbetreibenden als wahr anzusehen, würde das nach der Klausel-RL bei Verträgen erforderliche positive Eingreifen des Gerichts unterbunden.

Zusammenfassung:
Art 7 Abs 1 der Klausel-RL 93/13 ist folglich auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein Gericht, das mit einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher befasst ist und ein Versäumnisurteil erlässt, wenn der Verbraucher trotz Ladung nicht zur Verhandlung erscheint, daran hindert, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende sein Begehren gestützt hat, von Amts wegen zu prüfen, wenn das Gericht Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich iSd Richtlinie sind.

EuGH 4.6.2020, C-495/19 (Kancelaria Medius SA/RN)

Das Urteil im Volltext.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark gibt Unterlassungserklärung ab

Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark gibt Unterlassungserklärung ab

Das Lipizzanergestüt Piber betreibt auf dem Gelände des Lipizzanergestüts Piber einen Kletterpark.
Anlässlich einer Verbraucher:innenbeschwerde hat der VKI die AGB dieses Kletterparks geprüft und die Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark, im Auftrag des Sozialministeriums, wegen zwei unzulässigen Klauseln in diesen Teilnahmebedingungen für den Kletterpark abgemahnt. Betroffen sind eine Haftungsfreizeichnungsklausel und eine Klausel, welche die Verwendung von aufgenommenen Fotos und Videos während der Aktivitäten im Kletterpark ohne weitere Zustimmung und auch für Werbezwecke erlaubt hätte.

Die Spanische Hofreitschule – Lipizzanergestüt Piber Kletterpark hat am 25.06.2024 eine außergerichtliche strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Unterlassungserklärung von Temu

Unterlassungserklärung von Temu

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat im Auftrag des BMSGPK die Whaleco Technology Limited (Temu) wegen unzureichender Zurverfügungstellung von Kontaktinformationen (konkret: Telefonnummer) auf ihrer Website abgemahnt. Die Homepagegestaltung von Temu entsprach nach Auffassung des VKI nicht den Vorgaben des FAGG. Temu hat am 24.06.2024 eine Unterlassungserklärung abgegeben.

zupfdi.at: VKI informiert über mögliche Rückforderungsansprüche betroffener Verbraucher:innen

zupfdi.at: VKI informiert über mögliche Rückforderungsansprüche betroffener Verbraucher:innen

Der OGH hat mit Beschluss vom 25.01.2024 (4 Ob 5/24z) das Geschäftsmodell der gewerblichen „Besitzschützer“ hinter der Website www.zupfdi.at für rechtswidrig erkannt. Das HG Wien hat in VKI-Verbandsverfahren ua die Unzulässigkeit von Klauseln über die Abtretung der Besitzschutzansprüche und die Einräumung von Mitbesitz an den bewachten Liegenschaften bestätigt. Nach Rechtsauffassung des VKI ergeben sich aus diesen Entscheidungen Rückforderungsansprüche der betroffenen Verbraucher:innen, die Zahlungen an „Zupf di“ getätigt haben.

Unterlassungserklärung der Sanag Health Care GmbH

Der VKI hat – im Auftrag des Sozialministeriums – die Sanag Health Care GmbH wegen acht Klauseln in ihrem Mietvertrag für ein Leihgerät abgemahnt. Die Sanag Health Care GmbH hat zu allen Klauseln eine Unterlassungserklärung abgegeben.

EuGH: keine Tragung von Verfahrenskosten durch Verbraucher:innen bei missbräuchlichen Vertragsklauseln

EuGH: keine Tragung von Verfahrenskosten durch Verbraucher:innen bei missbräuchlichen Vertragsklauseln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußerte sich kürzlich zu offenen Auslegungsverfahren der Klausel-Richtlinie (RL 93/13/EWG) und der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008 (RL 2008/48/EG). Das Urteil vom 21.03.2024 (C-714/22, Profi Credit Bulgaria) betrifft ein bulgarisches Vorlageverfahren; die Aussagen des Gerichtshof sind jedoch auch für österreichische Verbraucher:innen von Relevanz.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang