Die klagende Anlegerin hatte 2006 und 2007 von der beklagten Meinl Bank insgesamt 1500 MEL-Papiere erworben, im Vertrauen auf den guten Namen Meinl und den Werbeprospekt, der die Anlage als "besonders sichere österreichische" Aktie und Immobilieninvestment darstellte. Sie stützte die begehrte Rückabwicklung der Kaufverträge auf Irrtumsanfechtung und Schadenersatz.
Das OLG Wien bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung, wonach der Irrtum der Anlegerin über Risiko und Charakter der Papiere als Geschäftsirrtum zu qualifizieren sei, der durch die irreführenden und falschen Angaben in der Werbebroschüre veranlasst wurde. Dass dem Erwerb eine (zusätzliche) Fehlberatung durch die Meinl Success voranging, eine 100 %-Tochter der Meinl-Bank, ändere daran nichts. Obiter führt das OLG Wien vielmehr aus, dass die Fehlberatung aufgrund des wirtschaftlichen Naheverhältnisses und der ständigen Vertriebsbeziehung nach neuer OGH-Judikatur (4 Ob 129/12t) der Meinl-Bank ohnehin zurechenbar wäre.
Dass die Beklagte bewusst vermied, die Papiere als Zertifikate zu bezeichnen, sei eine vorsätzliche Täuschung, die - unabhängig davon, ob damit im Vergleich zum Erwerb von Aktien Nachteile für die Anlegerin einhergehen - schon deshalb zur Arglistanfechtung berechtigt, weil die Anlegerin die Papiere "aufgrund ihrer komplizierten Konstruktion und Unübersichtlichkeit nachvollziehbar abgeschreckt" nicht erworben hätte.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das OLG Wien hat die ordentliche Revision nicht zugelassen.
OLG Wien 23.07.2013, 5 R 272/12z
Klagsvertreter: RA Mag. Erich Breiteneder
Anmerkung: 1. Die rechtliche Konstruktion von Aktien und Zertifikaten (ADC - Austrian Depositary Certificates) unterscheidet sich grundlegend: Aktien begründen ein unmittelbares Mitgliedschaftsverhältnis zur Gesellschaft. Die von der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) ausgegeben Zertifikate dagegen bilden die Anteilseignerstellung nur auf schuldrechtlichem Weg nach und ermöglichen die Handelbarkeit ausländischer Namensaktien an der österr Börse (dazu zB Kalss, ÖBA 2009, 350; Schima, RdW 2008, 572).
2. Zur Frage, ob Zertifikate ein aliud im Vergleich zu Aktien darstellen, deren Lieferung die Meinl Bank als Verkäuferin in Verzug setzt und damit dem Anleger als Käufer die Geltendmachung mittels Rücktritt für 30 Jahre (oder überhaupt unbefristet) eröffnet, hatte der OGH bereits Ende 2011 Stellung genommen und dies im Ergebnis verneint mit der Begründung, schon nach der Vertragsauslegung seien Zertifikate geschuldet (4 Ob 93/11x). In der Literatur war die Frage strittig: vgl Riedler, ÖJZ 2011/79 und Wilhelm, ecolex 2011, 1073 einerseits; Schauer, RdW 2011, 3 andererseits; differenzierend Vonkilch, RdW 2011, 718; Leupold, Zak 2012, 23; Geroldinger/Radler, JBl 2012, 175.
Mit dieser Jud steht die vorliegende E des OLG Wien nicht im Widerspruch: Ob der Vertrag wegen Irrtums über den Charakter des Wertpapiers (Zertifikat vs Aktie) angefochten werden kann, hängt weder zwingend davon ab, ob ein aliud vorliegt bzw Verzugs- oder Gewährleistungsrecht anwendbar ist, noch davon, was nach der Auslegung des Vertrags geschuldet ist.
3. Im konkreten Einzelfall sind sowohl die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur Kausalität der Aktieneigenschaft für den Erwerbsentschluss der Anlegerin als auch zum Vorliegen von Arglist nach Verwerfung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht nicht mehr revisibel: Beides sind Tatfragen, die vom OGH nicht überprüft werden können (§ 503 ZPO).
4. Die Zurechnung der Meinl Success als sog "Pseudoberater" an die den Kaufauftrag ausführende und depotführende Meinl-Bank analog § 43a VersVG hatte das OLG Wien unter Verweis auf 4 Ob 129/12t ua bereits zu 4 R 326/12h = VRInfo 2013, H3, 2 bejaht.