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Urteil: Ablehnung der Rechtsschutzdeckung für Passivprozess

Das vom Versicherungsnehmer in einem gegen ihn geführten Passivprozess bestrittene Klagsvorbringen ist in der Rechtsschutzversicherung für die Beurteilung, wann der Versicherungsfall eingetreten ist, zu berücksichtigen.

Der Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen Kläger und beklagter Rechtsschutzversicherung besteht seit 20.9.2013. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2011) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

"Artikel 2 - Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
… Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. …

Artikel 3 - Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)
1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten. …"

Im zugrundeliegendem Prozess begehrt der Bruder der Klägerin - gestützt auf Alleineigentum an einer Liegenschaft aufgrund eines Übergabsvertrags vom 24. 5. 2012 - mit Klage vom 17. 6. 2015 von der (hier) Klägern die Räumung einer Liegenschaft wegen titelloser Nutzung; schon der im Jahr 2010 verstorbene Vater der Klägerin habe diese Wohnungsinanspruchnahme untersagt. Dem hält die Klägerin insb entgegen, dass ihr ein (dingliches oder obligatorisches) Gebrauchsrecht zustehe, das erstmals durch die Klagsführung bestritten worden sei.

Die Klage auf Deckung für den Räumungsprozess gegen die Rechtsschutzversicherung wurde abgewiesen.

Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist Art 2.3. ARB 2011 maßgeblich. Die Kläger wendeten sich dagegen, dass das von ihnen im Ausgangsverfahren bestrittene Vorbringen der Klagsseite zur Beurteilung der Vorvertraglichkeit heranzuziehen sei.

Zu beurteilen ist hier eine Rechtsschutzdeckung für einen Passivprozess des Versicherungsnehmers. Die Klagsbehauptungen sind für die Abgrenzung des Streitgegenstands von maßgeblicher Bedeutung. Diese sind Grundlage für den Rechtsstreit. Regelmäßig wird zwar im Bestreitungsfall - so auch hier - vom Beklagten ein eigenes Sachvorbringen entgegengehalten. Würde man allein dieses als maßgeblich ansehen, hätte es der Versicherungsnehmer in der Hand, in einem gegen ihn geführten Rechtsstreit den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu beeinflussen. Damit bestünde aber die Gefahr von Zweckabschlüssen in der Rechtsschutzversicherung, die zeitliche Risikoausschlüsse gerade verhindern sollen. Das vom Versicherungsnehmer in einem gegen ihn geführten Passivprozess bestrittene Klagsvorbringen ist in der Rechtsschutzversicherung für die Beurteilung, wann der Versicherungsfall eingetreten ist (Art 2.3. ARB 2011) zu berücksichtigen. Es kommt daher in einem solchen Passivprozess für die Beurteilung der Vorvertraglichkeit nicht allein auf das Prozessvorbringen des Beklagten an. Zu prüfen ist, ob nach den Klagsbehauptungen im Ausgangsverfahren der Versicherungsfall vor Beginn des Versicherungsverhältnisses eingetreten ist.

Erschöpft sich der Rechtsschutzfall nicht in einem punktuellen Vorgang, dann tritt der Versicherungsfall nach Art 2.3. Satz 1 ARB 2011 mit dem Beginn des jeweiligen Zeitraums ein. Bei Dauerverstößen beginnt demnach der Versicherungsfall mit dem Eintritt des Zustands oder in dem Moment, in dem der Versicherungsnehmer oder sein Gegner die Möglichkeit erlangt, den Zustand zu beseitigen; der Zeitpunkt der Beseitigungsaufforderung ist irrelevant.

Die Klagsbehauptungen im Ausgangsverfahren werfen den Versicherten die titellose Benützung der Liegenschaft von Anbeginn oder eine solche nach Widerruf des Prekariums durch den Rechtsvorgänger vor. Da - wie hier - ein Einzelrechtsnachfolger mangels Anwendbarkeit des § 1120 ABGB nur bei entsprechender Vereinbarung an ein Prekarium gebunden ist und eine solche Vereinbarung im Zuge des Liegenschaftserwerbs im Jahr 2012 im Widerspruch zu den Klagsbehauptungen steht, ist der den Versicherten vorgeworfene Dauerverstoß der titellosen Benützung der Liegenschaft jedenfalls vor Beginn des Versicherungsverhältnisses am 20.9.2013 eingetreten. Die beklagte Rechtsschutzversicherung kann sich daher zu Recht auf ihre Leistungsfreiheit infolge Vorvertraglichkeit berufen.

OGH 28.9.2016, 7 Ob 127/16a

Das Urteil im Volltext.

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