Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg hat am Mittwoch der Nichtigkeitsklage des VKI gegen die Abweisung eines Ansuchens um Akteneinsicht durch die Europäische Kommission (EK) stattgegeben. Die Entscheidung der Kommission ist somit nichtig. Das Urteil, Geschädigten Zugang zu belastenden Unterlagen zu verschaffen, ist auch für künftige zivile Kartellrechts-Streitereien von zentraler Bedeutung: Damit können Verbraucher ihre Rechte selbst in die Hand nehmen, um Schäden aus Verstössen gegen das Wettbewerbsrecht zu beweisen.
Ausgang des Rechtsstreites war eine Entscheidung der EK im Sommer 2002, über acht österreichische Grossbanken wegen des "Lombard-Club-Kartells" empfindliche Bußgelder zu verhängen. Die EK sprach damals von einem im höchsten Maße institutionalisierten Preisfestsetzungssystem: Bei den Gesprächsrunden der Lombard-Club-Banker seien österreichweit und praktisch lückenlos die Einlagenzinssätze, Kreditzinsen und sonstige Sätze zum "Schaden der Unternehmer und der Verbraucher" in Österreich festgelegt worden. Ein funktionierender Wettbewerb zwischen den Banken sei damit praktisch ausgeschaltet gewesen.
Der VKI vertritt in zahlreichen Musterprozessen und Sammelklagen österreichische Kreditnehmer, deren variabel vereinbarte Kreditzinsen von den Banken in den Jahren ab 1992 künstlich hoch gehalten wurden. In diesen Zivilprozessen fordert der VKI im Interesse der Verbraucher die Rückzahlung überhöhter Zinsen. In den wenigen Dokumenten aus der umfangreichen Kartellverfahrensakte der EK, die der Öffentlichkeit bisher bekannt wurden, gab es Hinweise, dass die Weigerung der Banken, Zinssenkungen an Kreditnehmer weiterzugeben, systematischer Teil des „Lombard-Kartells“ gewesen ist.
Um daher die Klagsansprüche geschädigter Verbraucher auch auf Schadenersatz stützen zu können, hat der VKI noch im Sommer 2002 bei der EK einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt - schließlich lagern bei der EK in Brüssel rund 40.000 Seiten Aktenmaterial seit den Untersuchungen gegen die österreichischen Banken. Die EK hat den Antrag des VKI jedoch abgewiesen.
Zu Unrecht, wie heute der Gerichtshof erster Instanz entschieden hat. Aufgrund der vom VKI erhobenen Klage hat das EU-Gericht in Luxemburg den Beschluss der EK für nichtig erklärt. Die EK kann nun entweder den Beschluss des Gerichts erster Instanz beim Europäischen Gerichtshof anfechten, oder aber neuerlich in der Sache über den Antrag des VKI auf Akteneinsicht entscheiden.
Die EK verfolgt bei der Umsetzung des Kartellrechts zwei Ziele: Einerseits sollen - ähnlich wie in den USA - durch wettbewerbswidriges Verhalten geschädigte Verbraucher und Unternehmen mit Hilfe privater Schadenersatzklagen gegen am Kartell beteiligte Unternehmen Ersatz für erlittene Nachteile einklagen. Andererseits sollen diese Klagen auch den Regeln des Kartellrechts in der Praxis zum Durchbruch verhelfen ("private enforcement"). Die Antwort, wie dies in der Praxis möglich sein soll, wenn die Kommission Geschädigten keine Akteneinsicht gewährt, blieb die EK jedoch schuldig. Das Urteil des EU-Gerichts bedeutet im europäischen Zivilprozess, dass Unternehmen, die gegen Wettbewerbsregeln verstoßen, in Zukunft damit rechnen müssen, belastende Dokumente Geschädigten offen zu legen.
EuGH 13.4.2005, Rs T-2/03
Klagevertreter: Dr. Alexander Klauser, RA in Wien