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EuGH: Beginn der Verjährungsfrist für Rückforderungsansprüche aufgrund missbräuchlicher Vertragsklauseln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußerte sich kürzlich zur Zulässigkeit nationaler Bestimmungen zum Beginn von Verjährungsfristen für Rückzahlungsansprüche von Verbraucher:innen. Die Entscheidungen vom 25. April 2024 (C-484/21, Caixabank; C-561/21, Banco Santander) betreffen spanische Vorlageverfahren; die Aussagen des Gerichtshofs sind jedoch auch für Ansprüche österreichischer Verbraucher:innen relevant.

Ausgangssachverhalt

Die Ausgangsverfahren betrafen Hypothekarkredite von Verbraucher:innen, die vor längerer Zeit abgeschlossen wurden (1999 bzw 2007). In den entsprechenden Hypothekarkreditverträgen waren Klauseln betreffend die Kostentragung enthalten, die missbräuchlich iSd Art 6 Abs 1 Klausel-RL 93/13/EWG waren. 

In weiterer Folge stellte sich die Frage, ob die Rückforderungsansprüche der Verbraucher:innen bereits verjährt waren. Nach dem anwendbaren spanischen (C-561/21) bzw katalanischen (C-484/21) Zivilrecht kommt auf derartige Rückforderungsansprüche eine 15- bzw 10-jährige Verjährungsfrist zur Anwendung. Fraglich war in beiden Fällen der Beginn des Fristenlaufes. Das spanische Recht sieht als Grundregel vor, dass die Verjährungsfrist ab dem Tag, an dem die Klage erhoben werden kann, beginnt. Nach dem katalanischen Recht beginnt die Frist zu laufen, wenn der Anspruch entstanden und fällig ist und der Anspruchsinhaber die Umstände, auf denen er beruht und die Person, gegen die er geltend gemacht werden kann, kennt oder vernünftigerweise kennen kann.

EuGH: Verjährung von Rückforderungsansprüchen per se nicht unzulässig

Im Allgemeinen unterliegt die Regelung der Verjährung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie. Allerdings dürfen die nationalen Regelungen die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). 

Die Festlegung einer Verjährungsfrist für die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen durch Verbraucher:innen verstößt per se nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz. Im Vorhinein festgelegte und bekannte Fristen von – wie hier – 15 Jahren sind grundsätzlich auch ausreichend, um die Rechte der Verbraucher:innen zu wahren.

Verjährungsbeginn: Möglichkeit zur Kenntnisnahme entscheidend

Damit die Rechte der Verbraucher:innen gewahrt werden, ist es maßgeblich, dass der Lauf der Verjährungsfrist erst beginnt, wenn die betroffenen Verbraucher:innen vernünftigerweise Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Klausel haben können. Dementsprechend ist es nach dem EuGH grundsätzlich zulässig, wenn die Verjährungsfrist mit dem Tag beginnt, an dem die Entscheidung, mit der die Missbräuchlichkeit der Klausel festgestellt wird, Rechtskraft erlangt, sofern der Unternehmer die Möglichkeit hat, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Verbraucher vor der Entscheidung vernünftigerweise Kenntnis von der Missbräuchlichkeit der Klausel haben konnte.

Kein Verjährungsbeginn aufgrund einschlägiger Vorjudikatur

Gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt hingegen die Festsetzung des Beginns der Verjährungsfrist auf den früheren Zeitpunkt, in dem das oberste nationale Gericht in getrennten Rechtssachen Urteile verkündet hat, mit denen die entsprechenden Klauseln für missbräuchlich erkannt wurden. Dies würde nämlich dem Unternehmer in vielen Fällen erlauben, die aufgrund der missbräuchlichen Klausel zu Unrecht vereinnahmten Beträge zu behalten, und würde – ohne dem Unternehmer eine Hinweis- und Informationspflicht gegenüber dem Verbraucher aufzuerlegen – die schwächere Position des Verbrauchers noch verstärken. Verbraucher:innen ist es aber nicht zumutbar, sich eigenständig regelmäßig über die Rechtsprechung zu Standardklauseln zu informieren. Aus demselben Grund ist auch der Beginn der Fristenlaufs bereits bei Vorliegen von EuGH-Rechtsprechung zur grundsätzlichen Vereinbarkeit von Verjährungsfristen für Erstattungsansprüche mit dem Unionsrecht, unzulässig.

Ebenfalls gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt es, wenn die Verjährungsfrist – unabhängig von der Frage, ob der individuelle Verbraucher zum Zeitpunkt der Zahlung vernünftigerweise Kenntnis von der Missbräuchlichkeit der entsprechenden Kostenklausel haben konnte bzw bevor die Nichtigkeit dieser Klausel durch eine Gerichtsentscheidung festgestellt wurde – bereits ab der Zahlung der Kosten beginnt.

EuGH 25.04.2024, C-484/21, Caixabank 

EuGH 25.04.2024, C-561/21, Banco Santander 

Anmerkung:

Der EuGH bestätigt seine bisherige ständige Rechtsprechung, wonach die Ansprüche von Verbraucher:innen auf Rückzahlung der auf Basis missbräuchlicher Klauseln - und damit unzulässig - verrechneten Entgelte nicht kenntnisunabhängig (zB ab Zahlung, ab Vertragsabschluss, ab Vertragserfüllung) verjähren dürfen (Unzulässigkeit sog "objektiver" Verjährungsfristen).

Erstmals klargestellt wird in den aktuellen Urteilen, dass im Fall einer kenntnisabhängigen ("subjektiven") Ausgestaltung des Fristenregimes eine fristauslösende - vom Unternehmer nachzuweisende - "Möglichkeit zur Kenntnisnahme" durch den konkreten Verbraucher jedenfalls nicht damit begründet werden darf, dass in anderen, früheren Verfahren die Unzulässigkeit der jeweiligen Vertragsklausel bereits rechtskräftig und höchstgerichtlich festgestellt wurde. 

In Österreich wird diese Klarstellung derzeit für Bereicherungsansprüche nicht schlagend: Die Ansprüche von Verbraucher:innen auf Rückzahlung der zu Unrecht verrechneten Entgelte verjähren nach geltender Rechtslage innerhalb einer objektiven Frist von 30 Jahren (§§ 1478 f ABGB). Eine (analoge) Anwendung der kurzen dreijährigen Frist (§§ 1480, 1486 ABGB) scheidet in unionsrechtskonformer Auslegung aus. 

Für eine etwaig alternativ mögliche Rückforderung der zu Unrecht verrechneten Entgelte aus dem Titel des Schadenersatzes könnten die Urteile des EuGH dagegen von Relevanz sein: Schadenersatzansprüche verjähren nach § 1489 Satz 1 ABGB in 3 Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger. Für den Verjährungsbeginn soll nach Teilen der bisherigen Literatur und einzelnen Entscheidungen des OGH aufgrund einer Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten auch eine "verdichtete Medienberichterstattung" über einschlägige Vorjudikatur ausreichend sein. 

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