Sachverhalt:
In den verbundenen Rechtssachen C‑80/21 bis C‑82/21 entschied der EuGH über die Auslegung von Art 6 Abs 1 und Art 7 der RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Die Anlassfälle betrafen polnische Verbraucher, die Hypothekendarlehen in Schweizer Franken (CHF) aufgenommen hatten, welche in CHF verbucht, jedoch in polnischen Zloty (PLN) zur Verfügung gestellt wurden. Zur Umrechnung wurde der Ankaufskurs CHF-PLN herangezogen, bei der ersten Darlehensrate jedoch der Verkaufskurs CHF-PLN berücksichtigt.
Vorlagefragen:
Im Verfahren ging es ua um die Vorlagefrage, ob die RL einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der ein nationales Gericht nichtige Klauseln, die zur Nichtigkeit des Vertrags insgesamt führt, entweder durch eine Auslegung der Willenserklärungen der Vertragspartner oder durch die Anwendung einer dispositiven Vorschrift des nationalen Rechts ersetzen kann, selbst wenn der Verbraucher den Vertrag nicht aufrecht erhalten möchte.
Weiters um die Frage, ob sich das nationale Gericht, nach Aufhebung einer missbräuchlichen Klausel, auf die Aufhebung lediglich des tatsächlich missbräuchlichen Klauselteils beschränken oder die gesamte Klausel aufheben muss.
Zudem ging es um Fragen zum Beginn der Verjährungsfrist, die auf den Rückzahlungsanspruch des Verbrauchers nach der Aufhebung einer missbräuchlichen Klausel anzuwenden ist.
Entscheidung:
Der EuGH betonte in diesem Zusammenhang in seiner Entscheidung abermals, dass die ausnahmsweise mögliche Ersetzung einer missbräuchlichen Klausel durch dispositives nationales Recht, auf solche Fälle beschränkt ist, in denen der Wegfall dieser missbräuchlichen Klausel zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags führen würde und für Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte. Wird der Verbraucher hingegen über die Folgen des nichtigen Vertrags informiert und stimmt er diesen zu, dann ist laut EuGH nicht von dieser besonderen Nachteiligkeit auszugehen.
Die Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der RL erlauben es nicht, eine nationale Rechtsprechung anzuwenden, wonach ein nationales Gericht nach der Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags als Folge einer nichtigen missbräuchlichen Klausel, durch eine gerichtliche Auslegung zu ersetzen, da die nationalen Gerichte eine missbräuchliche Klausel nur für unanwendbar zu erklären haben, ohne deren Inhalt abändern zu dürfen und ebenso wenig diese missbräuchliche Klausel, durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen, selbst wenn der Verbraucher dem widerspricht, und er über die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags in Kenntnis gesetzt wurde und diese akzeptiert hat.
Auch wenn eine nichtige Klausel nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags führt, darf das nationale Gericht die missbräuchliche Klausel nicht durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts ersetzen.
Darüber hinaus entschied der EuGH, dass die Art 6 Abs 1 und Art 7 der RL 93/13 einer solchen nationalen Rechtsprechung entgegenstehen, nach der das nationale Gericht nur den tatsächlich missbräuchlichen Teil einer Klausel aufheben und sie im Übrigen wirksam lassen kann, sofern eine solche Aufhebung daraus hinausliefe, den Inhalt der Klausel grundlegend zu ändern.
Der EuGH entschied weiters, dass eine für Ansprüche eines Verbrauchers geltende Verjährungsfrist nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor diese Frist zu laufen beginnt oder abgelaufen ist.
Wenn einer Klage eines Verbrauchers auf Rückerstattung von – auf Grundlage einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos gezahlten – Beträgen eine zehnjährige Verjährungsfrist entgegengehalten wird, die mit dem Zeitpunkt jeder erbrachten Leistung in Lauf gesetzt wird, auch wenn der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt die Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel nicht selbst beurteilen konnte oder keine Kenntnis von ihrer Missbräuchlichkeit hatte, ohne zu berücksichtigen, dass der Vertrag einen Rückzahlungszeitraum (hier 30 Jahre) vorsah, der weit über die gesetzliche Verjährungsfrist von 10 Jahren hinausgeht, wird dem Verbraucher kein wirksamer Schutz gewährleistet. Eine solche Frist erschwert somit die Rechte des Verbrauchers und verstößt somit gegen den Effektivitätsgrundsatz.