Im deutschen Anlassfall schloss eine Konsumentin Kreditverträge mit einer Bank. Nach den Bestimmungen der Verträge war jede Vertragspartei berechtigt, nach einer gewissen Zeit die Anpassung des ursprünglich vereinbarten Zinssatzes zu verlangen. Gemäß diesen Bestimmungen schlossen die Parteien in den Jahren 2008 bis 2010 unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln Anschlusszinsvereinbarungen zu den Verträgen. Beim Abschluss dieser Vereinbarungen unterrichtete die Bank den Kreditnehmer nicht über ihr Widerrufsrecht. 2015 teilte die Konsumentin der Bank mit, dass sie die Anschlusszinsvereinbarungen widerrufe. Sie vertrat die Auffassung, dass diese Vereinbarungen jeweils Fernabsatzverträge darstellten, und machte geltend, dass sie, da sie nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sei, weiterhin zum Widerruf berechtigt sei.
Der EuGH verneinte ein Widerrufsrecht:
Die Fern-Finanzdienstleistungs-RL 2002/65 ist anwendbar auf "Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag", die im Fernabsatzweg geschlossen werden. Nach Art 1 Abs 2 Unterabs 1 der Fern-Finanzdienstleistungs-RL 2002/65 gelten die Bestimmungen der RL bei Verträgen über Finanzdienstleistungen, die eine "erstmalige Dienstleistungsvereinbarung" mit anschließenden Vorgängen umfassen, nur für die erste Vereinbarung.
Als "erste Dienstleistungsvereinbarung" gelten zB eine Kontoeröffnung, der Erwerb einer Kreditkarte oder der Abschluss eines Portfolioverwaltungsvertrags; als "Vorgänge" gelten zB Einzahlungen auf das eigene Konto oder Abhebungen vom eigenen Konto, Zahlungen per Kreditkarte oder Transaktionen im Rahmen eines Portfolioverwaltungsvertrags (Erwägungsgrund 17 der RL). Im Erwägungsgrund 17 Satz 2 der RL 2002/65 heißt es hierzu, dass die Erweiterung einer ersten Vereinbarung um neue Komponenten nicht ein "Vorgang", sondern ein Zusatzvertrag ist, auf den diese Richtlinie Anwendung findet.
Angesichts der angeführten Beispiele ist davon auszugehen, dass die Festlegung eines neuen Zinssatzes durch eine Anschlusszinsvereinbarung in Erfüllung einer bereits im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Neuverhandlungsklausel, weder einen "Vorgang" iSv Art 1 Abs 2 Unterabs 1 der RL noch eine Erweiterung der erstmaligen Vereinbarung darstellt.
Unter einem "Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag" iSv Art 2 lit a der Fern-Finanzdienstleistungs-RL 2002/65 ist daher ein Vertrag zu verstehen, der die Erbringung solcher Dienstleistungen vorsieht. Diese Bedingung ist aber nicht erfüllt, wenn, wie im Ausgangsverfahren, die betreffende Änderungsvereinbarung lediglich bezweckt, den als Gegenleistung für eine bereits vereinbarte Dienstleistung geschuldeten Zinssatz anzupassen.
Zusammenfassung: Wird Im Anwendungsbereich der Fern-Finanzdienstleistungs-RL 2002/65 bei einem Kreditvertrag lediglich der ursprünglich vereinbarte Zinssatz geändert, ohne die Laufzeit des Darlehens zu verlängern oder dessen Höhe zu ändern, hat der Kreditnehmer kein eigenes Rücktrittsrecht von der Zinssatzänderungsvereinbarung.
Der Konsumentin stand daher kein Widerrufsrecht für die Anschlusszinsvereinbarungen zu.
EuGH 18.6.2020, C-639/18 (KH/ Sparkasse Südholstein)