Unzulässige Klauseln:
Klausel 4 (Artikel 6.1.10. RVB 2018): 'Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen werden;'
Es bleibt für den/die durchschnittlich verständige/n VN völlig offen, welche „Ereignisse aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen“ werden und an wen diese „behördlichen Verfügungen“ adressiert sein müssen. Die Klausel ist daher intransparent (§ 6 Abs 3 KSchG).
Klausel 5 (Artikel 6.1.11. RVB 2018): 'Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] entstehen, wenn die versicherte Person einem erhöhten Unfallrisiko durch körperliche Arbeit, Arbeit mit Maschinen, Umgang mit ätzenden, giftigen, leicht entzündlichen, explosiven oder gesundheitsgefährdenden Stoffen sowie elektrischer oder thermischer Energie ausgesetzt ist (gilt nicht für Reisestorno).'
Bei gebotener kundenfeindlichster Auslegung sind zahlreiche auf Reisen typische Tätigkeiten erfasst, da bei ihnen aufgrund einer der aufgezählten – weit gefassten – Ursachen ein erhöhtes Unfallrisiko besteht. Auch ist der Klausel nicht zu entnehmen, dass von thermischer und elektrischer Energie ein ähnliches Gefahrenpotential ausgehen müsste wie von ätzenden, giftigen und explosiven Stoffen, damit der Risikoausschluss verwirklicht ist. Die Klausel verstößt die Klausel gegen § 879 Abs 3 ABGB.
Klausel 7 (Artikel 6.2. RVB 2018): 'Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange diesem auf die Vertragsparteien direkt anwendbare Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen. Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.'
Bei Lektüre des ersten Satzes von Art 6.2. RVB 2018 bleibt für den/die durchschnittliche/n VN zunächst völlig unklar, inwiefern „Embargos“ der EU oder Österreichs dem Versicherungsschutz einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung „entgegenstehen“ können. Der/die durchschnittliche VN kann jedenfalls anhand dieser Klausel nicht ansatzweise gesichert einschätzen, wann und in welchem Umfang es zum Entfall des Versicherungsschutzes kommen könnte. Gleiches gilt für den zweiten Satz von Art 6.2. RVB 2018. Auch die Reichweite dieses Ausschlusses bleibt für den/die VN im Dunkeln. Hinzu kommt, dass der zweite Satz eine (nach § 6 Abs 3 KSchG) unzulässige salvatorische Klausel enthält.
Klausel 8 (Artikel 8.1. RVB 2018): 'Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:'
In 7 Ob 148/21x [Pkt 2.6.] qualifizierte der OGH eine nahezu wortgleiche Klausel als intransparent, weil bloß auf § 6 Abs 3 VersVG verwiesen werde, ohne dem/der VN im Klauselwerk auch nur ansatzweise zu eröffnen, dass an anderer Stelle der AUVB die gesetzliche Bestimmung abgedruckt sei und warum er/sie sich diese (zum Erkennen von Einschränkungen) durchlesen sollte. Dies gilt im Ergebnis auch hier.
Klausel 10 (Artikel 8.1.5. erster Halbsatz RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben: […] Schadenersatzansprüche gegen Dritte form- und fristgerecht sicherzustellen [...];'
Abgesehen davon, dass der Begriff „sicherstellen“ im gegebenen Zusammenhang völlig unklar ist, kann die Klausel bei kundenfeindlichster Interpretation dahin verstanden werden, dass der/die VN auf eigene Kosten Klagen bzw Beweissicherungsanträge einzubringen hat, um das Kriterium der form- und fristgerechten Sicherung zu erfüllen. Die Klausel verstößt daher sowohl gegen § 6 Abs 3 KSchG als auch gegen § 879 Abs 3 ABGB.
Klausel 13 (Artikel 16.3. RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] bei Erkrankung oder Unfall unverzüglich eine entsprechende Bestätigung des behandelnden Arztes (bei Reiseabbruch vom Arzt vor Ort) ausstellen zu lassen;'
Gemäß § 34 Abs 2 VersVG kann der Versicherer Belege insoweit fordern, als die Beschaffung dem/der VN billigerweise zugemutet werden kann. Anders als § 34 Abs 2 VersVG enthält Art 16.3. RVB 2018 keine Einschränkung auf die Zumutbarkeit der Einholung des ärztlichen Attests, obwohl die unverzügliche Einholung einer ärztlichen Bestätigung, welche bei Reiseabbruch noch dazu durch einen Arzt vor Ort auszustellen ist, den Versicherungsnehmer im Ausland vor erhebliche Mühen und Schwierigkeiten stellen, im Extremfall sogar eine unüberwindbare Hürde darstellen kann. Damit verstößt diese Klausel aber gegen § 34a VersVG, wonach sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von (ua) § 34 Abs 2 VersVG zum Nachteil des/der VN abweicht, nicht berufen kann und ist daher unzulässig.
Klausel 14 (Artikel 16.4. RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] unverzüglich folgende Unterlagen an den Versicherer zu senden: - bei Erkrankung oder Unfall: Detailliertes ärztliches Attest/Unfallbericht (bei psychischen Erkrankungen durch Facharzt der Psychiatrie), Krankmeldung bei der Sozialversicherung und Bestätigung über verordnete Medikamente;'
Von der Belegobliegenheit nach § 34 Abs 2 VersVG (s. oben) erfasst sind nach der Rsp grundsätzlich alle Dokumente, über die der/die VN selbst verfügt oder die er/sie von Dritten besorgen kann (die also bereits existieren). Aus der Klausel geht keineswegs zweifelsfrei hervor, dass lediglich bereits vorhandene Unterlagen übermittelt werden müssen. Darüber hinaus enthält die Klausel auch keine Einschränkung in Bezug auf die Zumutbarkeit der Belegbeschaffung. Damit verstößt diese Klausel gegen § 34a VersVG.
Klausel 15 (Artikel 16.5. RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] sich auf Verlangen des Versicherers durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte untersuchen zu lassen.'
Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung erlaubt es Art 16.5. RVB 2018 der Bekl – unabhängig von einem begründeten Missbrauchsverdacht oder sonstiger berechtigter Gründe – die Untersuchung durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte vornehmen zu lassen. Eine derartige Klausel ist bei einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung – anders als etwa bei einer Kranken- oder Unfallversicherung – unüblich. Auf sie wird auch nicht besonders hingewiesen, sondern sie befindet sich im Fließtext unter der Überschrift „Was ist zur Wahrung des Versicherungsschutzes zu beachten (Obliegenheiten)?“, sodass ein/e durchschnittliche/r VN vernünftigerweise nicht damit zu rechnen braucht. Überdies ist diese Regelung – unabhängig von der Frage der Kostentragung – für den/die VN zweifellos nachteilig, stünde sie/er doch ohne die Klausel besser da.
Zulässige Klauseln:
Klausel 1 (Artikel 6.1.1. RVB 2018): 'Dem Vorsatz wird gleichgehalten eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss, jedoch in Kauf genommen wird;'
Rsp und L verstehen eine vergleichbare Regelung in den AHVB einhellig dahin, dass sich – anders als beim eigentlichen Vorsatzausschluss – das Bedenken und der Beschluss des/der VN nicht auf den Schadenserfolg selbst, sondern nur auf einen diesem Erfolg vorgelagerten Umstand beziehen muss, der eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass es wirklich zum Eintritt des Schadens kommen kann. Die Klausel erweitert den Risikoausschluss daher nicht auf Fälle, bei denen kein Vorsatz vorliegt. Vielmehr setzt die Klausel ein vorsätzliches Verhalten des VN voraus. Im Übrigen führt hier – anders als im Haftpflichtversicherungsrecht – auch die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls zur Leistungsfreiheit des Versicherers (§ 61 VersVG).
Klausel 2 (Artikel 6.1.4. RVB 2018): 'Wenn die versicherte Person während der versicherten Reise von einem dieser Ereignisse überrascht wird, besteht Versicherungsschutz bis zur unverzüglichen Ausreise, längstens aber bis zum 14. Tag nach Beginn des jeweiligen Ereignisses.'
Die Entscheidung zu dieser Klausel wurde bereits nach der 2.Instanz rechtskräftig.
Klausel 3 (Artikel 6.1.5. RVB 2018): 'Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] durch Gewalttätigkeiten anlässlich einer öffentlichen Ansammlung oder Kundgebung entstehen, sofern die versicherte Person aktiv daran teilnimmt;'
Die Entscheidung zu dieser Klausel wurde bereits nach der 2.Instanz rechtskräftig.
Klausel 6 (Artikel 6.1.19. RVB 2018): 'Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] bei Ausübung einer Extremsportart auftreten (gilt nicht für Reisestorno);'
Der Begriff „Extremsportart“ hat einen ausreichend bestimmten Begriffsinhalt. Darunter versteht der/die durchschnittliche VN Sportarten, die schon ihrer Art nach mit einer sehr hohen Gefahr für Leib und Leben verbunden sind (zB Wingsuit Fliegen, Paragleiten, Apnoetauchen oder Free Solo Klettern). In diesen Fällen ist ein Risikoausschluss auch sachlich gerechtfertigt. Selbst bei kundenfeindlichster Auslegung kann der Begriff Extremsportart – ohne eine ergänzende Definition – nicht dahin verstanden werden, dass davon auch die intensive Ausübung einer an sich ungefährlichen Sportart oder die kombinierte Ausübung mehrere Sportarten (zB Laufen und Schwimmen) umfasst sein soll. Da das der Klausel vom Verwender der AGB beigelegte Verständnis im Verbandsprozess nicht maßgeblich ist, ist die von der Bekl vorgenommene Auslegung, wonach vom Begriff „Extremsportart“ auch an sich ungefährliche Sportarten umfasst seien, die in „besonders intensivem Ausmaß“ betrieben und dadurch „gefährlich“ würden, unbeachtlich.
Klausel 9 (Artikel 8.1.1. RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben: […] Versicherungsfälle nach Möglichkeit abzuwenden, den Schaden möglichst gering zu halten, unnötige Kosten zu vermeiden und dabei allfällige Weisungen des Versicherers zu befolgen;'
Gemäß § 62 Abs 1 VersVG ist der VN verpflichtet, beim Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und dabei die Weisungen des Versicherers zu befolgen; er hat, wenn die Umstände es gestatten, solche Weisungen einzuholen.
Bei der Klausel handelt es sich lediglich um die Klarstellung der allgemeinen Schadensminderungsobliegenheit nach § 62 Abs 1 VersVG ohne eigenständige Bedeutung, also um einen „normativen Pleonasmus“. Die Klausel ist ausreichend bestimmt; sie verstößt auch nicht gegen § 879 Abs 1 ABGB, weil dadurch kein Abweichen vom Gesetz erfolgt.
Klausel 10 (Artikel 8.1.5. zweiter Halbsatz RVB 2018): 'Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben: […] Schadenersatzansprüche [...] bis zur Höhe der geleisteten Entschädigung an den Versicherer abzutreten;'
Die Entscheidung zu diesem Teil der Klausel wurde bereits nach der 2.Instanz rechtskräftig.
Klausel 11 (Artikel 14.2. RVB 2018): 'Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann, eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht nutzen kann […]'
und
Klausel 18 (Artikel 17.3. RVB 2018): 'Der Versicherer ersetzt bis zur vereinbarten Versicherungssumme […] wenn eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht genutzt werden kann, die vertraglich geschuldeten Stornokosten.'
Die Klauseln sind weder ungewöhnlich noch überraschend iSd§ 864a ABGB; sie sind auch nicht intransparent.
Gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB liegt im Versicherungsvertragsrecht nicht nur dann vor, wenn der Vertragszweck geradezu vereitelt oder ausgehöhlt wird, sondern bereits dann, wenn die zu prüfende Klausel eine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard bringt, den der/die VN von einer Versicherung dieser Art erwarten kann (RS0128209 [insb T2]). Der/Die durchschnittliche VN einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung kann grundsätzlich nicht erwarten, dass sämtliche mit einer Reise verbundenen Kosten vom versicherten Risiko umfasst sind und dass die Bekl im Fall der Durchführung der Reise jede auch nur teilweise nicht in Anspruch genommene touristische Leistung deckt. Durch die Klauseln werden die berechtigten Deckungserwartungen des/der VN einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung nicht beeinträchtigt. Ein Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB liegt somit nicht vor.
Was schließlich die Beschränkung in Klausel 18 auf die vertraglich geschuldeten Stornokosten anbelangt, so liegt auch darin keine gröbliche Benachteiligung. Unter dem Begriff „Stornokosten“ in Art 17.3. RVB 2018 sind nämlich aus Sicht des/der durchschnittlich verständigen VN jene Kosten zu verstehen, die der/die VN für die gesondert gebuchte touristische Leistung zu bezahlen hat, obwohl er/sie diese während der Reise zur Gänze nicht nutzen konnte, wobei dies auch die gesamten Kosten der Leistung sein können. Dass der Versicherer dabei nur eine „Stornoquote“ zu ersetzen hätte, kommt in der Klausel gerade nicht zum Ausdruck.
Klausel 12 (Artikel 14.2.5. RVB 2018): 'Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann […] bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge Elementarereignis (Hochwasser, Sturm usw.), Feuer, Wasserrohrbruch oder Straftat eines Dritten, der ihre Anwesenheit dringend erforderlich macht;'
Die Klausel stellt auf den Wohnsitz der versicherten Person ab, ohne eine nähere Differenzierung zu treffen. Daher ist jeder Wohnsitz der versicherten Person erfasst (- anders als in Art 3.2. RVB 2018 – keine Unterscheidung zwischen „Wohnsitz“ und „Zweitwohnsitz“).
Klausel 16 (Artikel 17.1. RVB 2018): 'Der Versicherer ersetzt bis zur vereinbarten Versicherungssumme […] bei Stornierung der versicherten Reise jene Stornokosten, die zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles vertraglich geschuldet sind, und jene amtlichen Gebühren, die die versicherte Person nachweislich für ihre Visumerteilung bezahlen musste.'
Die Entscheidung zu dieser Klausel wurde bereits nach der 2.Instanz rechtskräftig.
Klausel 17 (Artikel 17.2.1. RVB 2018): 'Der Versicherer ersetzt bis zur vereinbarten Versicherungssumme […] bei Reiseabbruch die bezahlten, aber nicht genutzten Teile der versicherten Reise (exkl. Rückreisetickets);'
Die Entscheidung zu dieser Klausel wurde bereits nach der 2.Instanz rechtskräftig.