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OGH: Unzulässige Klauseln in Unfallversicherungs-bedingungen

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) klagte im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Wiener Städtische Versicherung AG Vienna Insurance Group (Wiener Städtische) wegen Klauseln in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB Unfallvorsorge Premium). Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab dem VKI nun fast zur Gänze Recht und erklärte 9 von 10 eingeklagten Klauseln für unzulässig.

Die Wiener Städtische legte bei Vereinbarungen über eine Unfallversicherung ihre Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB Unfallvorsorge Premium) zu Grunde. Der VKI beanstandete 10 Klauseln in den AUVB Unfallvorsorge Premium. Der OGH pflichtete dem VKI großteils bei und beurteilte 9 der eingeklagten Klauseln als unzulässig.

Folgende 9 Klauseln sah der OGH als gesetzwidrig an:

Klausel 1:

„Ein Herzinfarkt oder Schlaganfall gilt in keinem Fall als Unfallfolge.“

Der OGH schloss sich der Entscheidung 7 Ob 113/19x an, in der der Senat eine wortgleiche Klausel in einem Individualprozess als gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB beurteilte. „Folgenklauseln“ im Allgemeinen hätten – wie der OGH in 7 Ob 113/19x bereits ausführte – nur einen Zweck, nämlich zu verhindern, dass der Versicherer „Unfallfolgen“ tragen soll, die zwar möglicherweise durch den Unfall ausgelöst werden, früher oder später aber ohnehin aufgetreten wären, weil im Körper des Versicherten bereits entsprechende degenerative Veränderungen „angelegt“ waren. Vor diesem Hintergrund erweise sich aber – wie vom OGH bereits in der Entscheidung 7 Ob 113/19x dargelegt – der sehr weite Ausschluss, nämlich Herzinfarkt und Schlaganfall kategorisch selbst bei ausschließlicher Ursächlichkeit des versicherten Unfallereignisses und ohne jegliche Mitwirkung eines degenerativen Geschehens undifferenziert nicht unter Versicherungsschutz zu stellen, als gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB, weil dieser unbedingte Ausschluss über das aufgezeigte legitime Interesse des Versicherers hinausgehe und deutlich von den Erwartungen der Versicherungsnehmer:innen abweiche. Der OGH betont nunmehr, dass es zwar sein mag, dass die durchschnittlichen Versicherungsnehmer:innen Herzinfarkt und Schlaganfall typischerweise als Krankheitsfolgen werten, nichtsdestotrotz weicht es deutlich von ihren berechtigten Deckungserwartungen ab, wenn für Herzinfarkt und Schlaganfall auch bei ausschließlicher Ursächlichkeit eines Unfallereignisses kein Versicherungsschutz besteht. Der OGH bestätigte daher die Judikatur zur wortgleichen Klausel.

Klausel 3:

„Die Invaliditätsleistung zahlen wir

- als Kapitalbetrag bei Unfällen der versicherten Person vor Vollendung des 75. Lebensjahres;

- als Rente – sofern nichts anderes vereinbart ist – nach der im Anhang beigefügten Rententafel bei Unfällen nach diesem Zeitpunkt. Kapitalwert dieser Rente ist jener Betrag, der bei Kapitalzahlung zu erbringen wäre.“

Der OGH führte hierzu aus, dass der Senat in der Entscheidung 7 Ob 156/20x (Klausel 4 = RS0133389 [T1]) eine inhaltsgleiche Klausel als objektiv ungewöhnlich und nachteilig gemäß § 864a ABGB beurteilte und schloss sich dieser Rechtsansicht an. Eine Klausel, wonach statt der Kapitalleistung eine Rentenleistung erbracht wird, wenn die versicherte Person im Zeitpunkt des Unfalls das 75. Lebensjahr bereits vollendet hat, weicht laut OGH von den Erwartungen der durchschnittlichen Unfallversicherungsnehmer:innen schon insoweit erheblich ab, als üblicherweise die – vom Invaliditätsgrad abhängige – Auszahlung eines Kapitalbetrags erwartet wird, zumal die Versicherungssumme für dauernde Invalidität in der Versicherungspolizze auch regelmäßig als eine (einmalige) Kapitalleistung ausgewiesen ist. Die Versicherungsnehmer:innen rechnen – wie der OGH ausführt – daher nicht damit, dass von einer in der Polizze konkret vereinbarten Kapitalleistung in den Allgemeinen Bedingungen – allein aufgrund des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze – abgegangen wird. Schon darin liegt für den OGH der „Überrumpelungseffekt“ für die Versicherungsnehmer:innen, sodass es auf den Regelungsort gar nicht ankommt. Die Nachteiligkeit der Klausel für die Versicherungsnehmer:innen ist laut OGH evident, erhalten sie doch nach jahre- oder jahrzehntelanger Prämienzahlung nun nicht die erwartete Kapitalleistung, sondern bloß eine Rente bis zum Eintritt des Todes, wodurch vom vereinbarten Leistungsumfang überraschend abgewichen wird.

Klausel 4:

„Übt die versicherte Person im Zeitpunkt des Unfalles keine Erwerbstätigkeit im Beruf oder der Beschäftigung aus, dann ist der Versicherungsschutz für Taggeld trotz Prämienzahlung nicht gegeben.“

Beim Anspruch auf Taggeld handelt es sich um eine Summenversicherung, weil die Leistung unabhängig vom Nachweis eines konkreten Vermögensnachteils in voller Höhe gebührt (RS0081358 [T3]). Die Klausel verwehrt den im Unfallzeitpunkt nicht (mehr) erwerbstätigen Versicherungsnehmer:innen diesen Anspruch und erfasst dabei auch Fälle, in denen sie die Versicherungsprämie jahre- oder jahrzehntelang bezahlt haben und nach dem Unfall auch weiterhin bezahlen. Dies beurteilte der OGH jedenfalls als gröblich benachteiligend.

Klausel 5:

„Welche Leistungen sind bei Kinderlähmung und Erkrankung durch Zeckenbiss vereinbart?

[…]

Eine Leistung wird von uns nur für Tod oder dauernde Invalidität erbracht und bleibt mit der Höhe der vereinbarten Versicherungssummen begrenzt.“

Der OGH bestätigte die Entscheidung 7 Ob 182/19v, in der der Senat eine inhaltsgleiche Klausel als den berechtigten Deckungserwartungen der Versicherungsnehmer:innen widersprechend beurteilte. Aus der Klausel geht für den OGH nicht mit der aus Sicht durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer:innen erforderlichen Deutlichkeit hervor, ob mit „dauernde Invalidität“ eine Anspruchsvoraussetzung oder eine Beschränkung auf bestimmte Versicherungsleistungen gemeint ist. Sie wurde vom OGH daher schon aus diesem Grund als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG angesehen.

Klauseln 6 und 7:

Klausel 6: „Als Obliegenheiten, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 3 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Krankenanstalt sowie diejenigen Ärzte oder Krankenanstalten, von denen die versicherte Person aus anderen Anlässen behandelt oder untersucht worden ist, sind zu ermächtigen und aufzufordern, die von uns verlangten Auskünfte zu erteilen und Berichte zu liefern. Ist der Unfall einem Sozialversicherer gemeldet, so ist auch dieser im vorstehenden Sinne zu ermächtigen.“

Klausel 7: „Als Obliegenheiten, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 3 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

Die mit dem Unfall befassten Behörden sind zu ermächtigen und zu veranlassen, die von uns verlangten Auskünfte zu erteilen.“

Der OGH verwies auf die Entscheidung 7 Ob 216/11g (= RS0014676 [T34a] = RS0014627 [T7] = RS0016914 [T49a]), in der der Senat eine Klausel, in der der Verweis auf § 6 Abs 3 VersVG in Form eines bloßen Klammerzitats erfolgte, als intransparent beurteilte, weil dieser nach dem Klauselwortlaut nicht erkennen lasse, dass dort Ausnahmen von der aufgrund von Obliegenheitsverletzungen gegebenen Leistungsfreiheit des Versicherers statuiert seien. Auch könne – wie der OGH bereits in 7 Ob 216/11g betonte – nicht davon ausgegangen werden, durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer:innen würden jeweils das gesamte Regelwerk durchlesen, damit auch auf den im Anhang abgedruckten Text des § 6 Abs 3 VersVG stoßen und die dort normierten Ausnahmen von der Leistungspflicht des Versicherers erkennen.

Auch hier wird laut OGH bloß auf § 6 Abs 3 VersVG verwiesen, ohne Versicherungsnehmer:innen im Klauselwerk auch nur ansatzweise zu eröffnen, dass an anderer Stelle der AUVB die gesetzliche Bestimmung abgedruckt ist und warum sie sich diese (zum Erkennen von Einschränkungen) durchlesen sollten. Die Klauseln wurden vom OGH somit als intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG beurteilt.

Klausel 8:

„Nach Eintritt des Versicherungsfalles können wir kündigen, wenn wir den Anspruch auf die Versicherungsleistung dem Grunde nach anerkannt oder die Versicherungsleistung erbracht haben, […]

Die Kündigung ist innerhalb eines Monats

- nach Anerkennung dem Grunde nach;

- nach erbrachter Versicherungsleistung;

[…]

von uns vorzunehmen.“

Wie der OGH ausführt, ist das Kündigungsrecht imparitätisch ausgestaltet, weil die Versicherungsnehmer:innen gemäß Art 29.1.1. AUVB nach Eintritt des Versicherungsfalls nur kündigen können, wenn der Versicherer einen gerechtfertigten Anspruch auf die Versicherungsleistung abgelehnt oder dessen Anerkennung verzögert hat. Ist das Kündigungsrecht imparitätisch ausgestaltet, müssen dessen Voraussetzungen für den Versicherer laut OGH besonders genau präzisiert und objektivierbar sein, um beurteilen zu können, ob es im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB auch sachlich gerechtfertigt ist (vgl RS0128803 zu Art 15.3.2. ARB 2010 und Art 15.3.2. Fall 1 ARB 2005). Davon kann nach Ansicht des OGH hier keine Rede sein, wird die Kündigung doch ohne objektivierbare Kriterien in das freie Ermessen des Versicherers gestellt und räumt die Klausel dem Versicherer die Möglichkeit ein, Prämien während eines beliebig langen Zeitraums zu lukrieren und beim ersten – noch so geringen – Versicherungsfall den Vertrag zu kündigen. Die Klausel wurde vom OGH daher als gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB beurteilt.

Klausel 9:

„Haben wir mit Rücksicht auf die vereinbarte Vertragszeit eine Ermäßigung der Prämie vereinbart, so können wir bei einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages die Nachzahlung des Betrages fordern, um den die Prämie höher bemessen worden wäre, wenn der Vertrag nur für den Zeitraum geschlossen worden wäre, während dessen er tatsächlich bestanden hat.“

Das Erstgericht beurteilte die Klausel als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG. Für Versicherungsnehmer:innen sei völlig unklar, in welcher Höhe eine Rückzahlung zu leisten sei. Das Berufungsgericht schloss sich dieser Beurteilung an. Für Versicherungsnehmer:innen sei unklar, wann eine Prämiennachzahlung und in welcher Höhe diese fällig werde.

Der OGH erachtete die Revision der Beklagten in diesem Punkt als nicht gesetzmäßig ausgeführt, da sich die Beklagte mit der Beurteilung der Vorinstanzen (Intransparenz) in keiner Weise auseinandersetzt und keine Argumente gegen deren rechtliche Erwägungen vorbringt.

Klausel 10:

„Alle Mitteilungen und Erklärungen sind nur in schriftlicher Form verbindlich.“

Die Vereinbarung der Schriftform bedarf – wie der OGH ausführt – sowohl im Fall der elektronischen Kommunikation (§ 5a Abs 2 VersVG) als auch im Übrigen (§ 15a Abs 2 VersVG) der ausdrücklichen Zustimmung der Versicherungsnehmer:innen, die gesondert erklärt werden muss. Die Vereinbarung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist laut OGH daher nicht zulässig (vgl RV 1632 BlgNR 24. GP 9, 13). Außerdem sind nach dem Wortlaut der Klausel („alle Mitteilungen und Erklärungen“) auch Rücktrittserklärungen nach § 5c VersVG erfasst. Seit 1.1.2019 (BGBl 2018/51) ist die Vereinbarung der Schriftform für Rücktrittserklärungen nach § 5c VersVG jedoch unzulässig. Da die Klausel gegen zwingendes Recht verstößt, beurteilte der OGH die Klausel als unzulässig.

Lediglich eine der eingeklagten Klauseln sah der OGH als zulässig an:

Klausel 2:

„Voraussetzung für die Leistung ist:

- […]

- Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes, aus dem Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit dauernden Invalidität hervorgeht und innerhalb von 24 Monaten ab dem Unfalltag gerechnet bei uns schriftlich geltend gemacht worden.“

Der OGH verwies im Wesentlichen auf die jüngst ergangene Entscheidung 7 Ob 156/20x (Klausel 3 = RS0122119 [T7] = RS0109447 [T8] = RS0082292 [T19]) und war der Ansicht, dass die 24-Monatsfrist weder gegen § 864a ABGB noch gegen § 879 Abs 3 ABGB oder § 6 Abs 3 KSchG verstoße.

OGH 24.11.2021, 7 Ob 148/21x

Klagsvertreter: Dr. Stefan Langer, Rechtsanwalt in Wien

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