In einer Zeitung stand als Tipp, dass die Auflage von frisch gerissenen Kren bei Rheumaschmerzen helfen kann. Diese Auflage könne "zwei bis fünf Stunden" oben gelassen werden. Tatsächlich waren Minuten gemeint. Eine Abonnentin der Zeitung ließ den Kren etwa drei Stunden auf ihrem Fuß, wodurch es aufgrund einer toxischen Kontaktreaktion zu starken Schmerzen kam. Die Klägerin begehrte Schadenersatz. Die Beklagte ist Medieninhaberin und Verlegerin der Zeitung.
Im Verfahren vor dem OGH geht es um die Frage, ob hier ein Anspruch nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) besteht:
Ob eine Verlegerin oder Medieninhaberin einer Tageszeitung, die die Veröffentlichung eines Artikels veranlasste, nach der Richtlinie 85/374/EWG (und nach dem PHG) für den unrichtigen Inhalt der Zeitung haftet, ist strittig.
Gemäß Art 2 Satz 1 der RL 85/374/EWG gilt bei Anwendung dieser Richtlinie als "Produkt" jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Gemäß § 4 PHG ist Produkt jede bewegliche körperliche Sache, auch wenn sie ein Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist, einschließlich Energie.
Ein Teil der Literatur beschränkt die Haftung für Informationsträger auf jene Schäden, die durch ihre Körperlichkeit (zB giftiger Einband eines Buches oder giftige Druckfarbe) verursacht wurden. Andere bejahen die Produkthaftung auch wegen der fehlerhaften geistigen Leistung. Als Haftpflichtige sollen der Verlag, der Autor und die Druckerei in Frage kommen.
Für die Haftung nach PHG spricht nach der Lehre:
Nach der Verkehrsanschauung wird ein Druckwerk nicht als Stapel Papier, sondern wegen seines Inhalts gekauft und die Erwartungen der Verbraucher an das Produkt seien nicht nur, dass aus dem Druckwerk keine Klammern herausstehen, an denen sie sich verletzen können, sondern dass es den beworbenen Inhalt vermittelt (vgl auch Handbücher, Anleitungen, Wanderkarten, Kochrezepte)
Gegen eine Haftung für eine falsche Information wird in der Lehre angeführt:
- der Schutzzweck der Produkthaftung, wonach für die Gefährlichkeit der Sache und nicht des Rates gehaftet wird;
- der Umstand, dass geistige Leistungen keine Produkte iSd § 4 PHG (Art 2 der RL 85/374/EWG) seien, weil sie als solche keine körperlichen Sachen seien;
- dass die Anknüpfung der Produkthaftung an die Verkörperung der Information willkürlich sei und Informationen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374/EWG auszunehmen seien;
- die "Sorge vor der Grenzenlosigkeit" eines solch weitgehenden Produktverständnisses, das letztlich jegliche Verschriftlichung geistigen Inhalts einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwürfe-
Da die Lösung der Frage, ob der Inhalt einer Tageszeitung als Produkt anzusehen ist, anhand des Wortlauts von Art 2 der RL 85/374/EWG, dessen Auslegung wiederum für § 4 PHG maßgeblich ist, nicht klar und eindeutig möglich ist, hat der OGH die Klärung dieser Rechtsfrage an den EuGH herangetragen.
OGH 21.1.2020, 1 Ob 163/19f
Update 15.4.2021:
Der Generalanwalt des EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht, nicht als „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) anzusehen ist.
Aus dem Wortlaut, den Zielen und dem Zusammenhang der Richtlinie ergebe sich, dass sie nur auf körperliche Merkmale von Produkten anwendbar sei. Die Klage betreffe keinen Schaden, der sich aus einem dem Produkt innewohnenden körperlichen Fehler ergibt. Die Aufbürdung einer Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie in einem solchen Fall würde womöglich auch Dienstleistungserbringer einer potenziell unbegrenzten verschuldensunabhängigen Haftung gegenüber einer großen Gruppe möglicher Kläger aussetzen.
Schlussantrag des Generalanwalts Hogan 15.4.2021 C-65/20 (VI gegen Krone)
Update 10.6.2021:
Auch der EuGH selbst führt aus, dass es sich hier nicht um ein fehlerhaftes Produkt iSd Produkthaftungsrichtlinie handelt.