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Unzulässige Ausschlussklauseln in ARAG-Rechtsschutzversicherung

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die ARAG SE Direktion für Österreich (ARAG) wegen Klauseln geklagt, auf die sich Rechtsschutzversicherer stützen, um Deckungen bei COVID-19-bedingten Rechtsstreitigkeiten nach beispielsweise Reiserücktritten, Flugausfällen oder Veranstaltungsabsagen abzulehnen. Das Handelsgericht (HG) Wien erklärte diese Klauseln nun für gesetzwidrig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der VKI ging ua gegen die Ausnahmesituationsklausel und die Katastrophenklausel in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung der ARAG vor und bekam vom HG Wien Recht. Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu derartigen Ausschlussklauseln beurteilte auch das HG Wien diese Klauseln als unzulässig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Klausel 1 (Ausnahmesituationsklausel):

Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind ...

Wie das HG Wien ausführte, qualifizierten sowohl das OLG Wien (4 R 184/21i – nicht rk) als auch das OLG Linz (12 R 10/22k) vergleichbare Klauseln als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG und unter Heranziehung der verbraucherfeindlichsten Auslegung auch als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.

Der durch die Verwendung von unbestimmten Begriffen geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es laut HG Wien aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann.

Im Hinblick auf das Kriterium der „Ausnahmesituation“ enthält die Klausel keine nähere Definition oder Präzisierung dahingehend, was unter der angeführten „Ausnahmesituation“ zu verstehen ist. Der Risikoausschluss hat dabei – wie das HG Wien näher ausführte – offenbar solche Fälle vor Augen, in denen der Anlass für das Tätigwerden des staatlichen Organs so außergewöhnlich war, dass er als „Ausnahmesituation“ beschrieben werden kann. Wie sehr und nach welchen Kriterien sich dieser Anlass nun von einer „Regelsituation“, für welche im Rahmen der Rechtsschutzversicherung Deckung besteht, abheben muss, um als vom Deckungsumfang ausgenommene Ausnahmesituation zu gelten, lässt die Klausel nach Ansicht des HG Wien völlig offen, zumal auch die „Regelsituation“ nicht terminisiert wird.

Durch das zweite Tatbestandsmerkmal wird laut HG Wien zwar klar gestellt, dass ein Zusammenhang mit einer solchen hoheitlichen Anordnung bestehen muss, die sich an eine Personenmehrheit richtet, eine maßgebliche Konkretisierung wird jedoch auch auf diese Weise nicht erreicht. Der Wortlaut der Klausel scheint prima facie individuelle Verwaltungsakte (z.B. einen Bescheid, mit dem über den VN eine Verwaltungsstrafe verhängt wird) vom Anwendungsbereich des Risikoausschlusses auszunehmen, jedoch basieren auch solche Bescheide naturgemäß auf generellen Rechtsakten (z.B. einem Gesetz oder einer Durchführungsverordnung, das allgemeine Verhaltensmaßnahmen vorsieht, deren Verletzung dem VN im Bescheid vorgeworfen wird), sodass wohl immer noch ein ausreichender Zusammenhang mit der generellen hoheitlichen Maßnahme vorliegen würde. Das HG Wien beurteilte die Klausel daher als intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG.

Unter Zugrundelegung der verbraucherfeindlichsten Auslegung erachtete das HG Wien die Klausel auch unter dem Gesichtspunkt des § 879 Abs 3 ABGB als problematisch, weil sie aufgrund der fehlenden Umschreibung einer Ausnahmesituation potentiell auch Sachverhalte erfassen kann, die weit über den eigentlichen Zweck der Klausel zum Ausschluss von außergewöhnlichen Kumulschäden hinausgehen.

Klausel 2:

Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit ... Akten der Hoheitsverwaltung wie insbesondere Enteignungs-, Flurverfassungs-, Raumordnungs-, Grundverkehrs- oder Grundbuchsangelegenheiten.

Da die Klausel einleitend nur von „Akten der Hoheitsverwaltung“ spricht und die nachfolgende Aufzählung einiger Rechtsmaterien bloß demonstrativ ist, wären laut HG Wien unter Zugrundelegung der kundenfeindlichsten Auslegung sämtliche Verwaltungsakte – unabhängig von der Rechtsmaterie und der Art des Verwaltungsaktes – vom Versicherungsschutz ausgenommen. Auch wenn der durchschnittliche Kunde nicht darauf vertrauen kann, dass sämtliche Rechtsbereiche des Verwaltungsrechts von seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag erfasst wären, widerspricht es umgekehrt nach Ansicht des HG Wien eklatant den berechtigten Deckungserwartungen eines Kunden, wenn das gesamte Verwaltungsrecht vom Versicherungsschutz ausgenommen ist. Insoweit ist die inkriminierte Klausel für das HG Wien jedenfalls gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.

Es ist nach Ansicht des HG Wien nicht ersichtlich, welche grundlegenden Gemeinsamkeiten die demonstrativ aufgezählten Rechtsmaterien aufweisen und inwieweit sich diese von anderen Verwaltungsmaterien, für die nach Ansicht der beklagten Partei offenbar doch Versicherungsschutz bestehen soll, abgrenzen. Hinzu kommt, dass die Aufzählung in sich selbst inkonsistent ist, weil auch Grundbuchangelegenheiten, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind, als Teil der vom Risikoausschluss umfassten Hoheitsverwaltung angeführt werden. Einem durchschnittlichen Verbraucher kann daher laut HG Wien keinesfalls zugemutet werden, aufgrund der zusammenhangslosen und widersprüchlichen Aufzählung einiger weniger Rechtsmaterien ein klares Bild darüber zu haben, welche Verwaltungsmaterien vom Risikoausschluss erfasst sind.

Klausel 3 (Katastrophenklausel):

Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Katastrophen. Eine Katastrophe liegt vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht.

Eine Katastrophe iSd beanstandeten Klausel liegt daher vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Was den ersten Teil der Definition anbelangt hielt das HG Wien zunächst fest, dass dieser dem Begriff keinerlei Klarheit gibt: Da neben einem „Naturereignis“ auch ein „sonstiges Ereignis“ tatbestandsmäßig ist, bleibt völlig offen, ob und inwieweit auch technische Ereignisse (z.B. ein schweres Zugunglück oder eine Explosion) oder sogar politische bzw. wirtschaftliche Verwerfungen vom Katastrophenbegriff erfasst sind.

Auch nach dem zweiten Satzteil bleibt laut HG Wien völlig unklar, inwieweit sich das Schadensereignis von einem gewöhnlichen versicherten Ereignis abheben muss, um als außergewöhnliche Schädigung zu gelten und daher von der gegenständlichen Katastrophenklausel erfasst zu sein. Das HG Wien beurteilte die Klausel daher als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Bei kundenfeindlichster Auslegung liegt es nach Ansicht des HG Wien zudem im Belieben des Versicherers wann und ob ein versichertes Ereignis vorliegt.

Neben dem außergewöhnlichen Schadensereignis sind – wie das HG Wien ausführt – keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen angeführt, und das Schadensereignis muss gar nicht tatsächlich eintreten, sondern es reicht bereits dessen unmittelbares Bevorstehen aus. In Verbindung mit der weiten und gleichzeitig intransparenten Definition der Katastrophe sah das HG Wien die inkriminierte Klausel bei kundenfeindlichster Auslegung auch als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB an, wobei unerheblich ist, ob die beklagte Partei diese Klausel bereits viele Jahre in Verwendung hat.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand: 29.11.2022).

HG Wien 07.11.2022, 24 Cg 28/22h

Klagsvertreter: Dr. Stefan LANGER, Rechtsanwalt in Wien

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