Der Kläger begehrt Schadenersatz von der Raiffeisenbezirksbank Klagenfurt wegen mangelnder Aufklärung über den Inhalt der Abwicklungsrichtlinien - wonach ein Verkauf der Genussscheine außerhalb der Börse "nur im Wege" der AvW Invest AG möglich war - und über die fehlende Konzession der Emittentin (= AvW Gruppe AG).
Das Erstgericht gab dem Kläger Recht, das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz.
Der OGH bestätigte diese Entscheidung und führte in seiner rechtlichen Ausführung ua. aus, dass der Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben ist, wenn die AvW Gruppe AG einer (Bank-)Konzession bedurft hätte.
Der OGH urteilte, dass das Erstgericht die vermissten Feststellungen zu ergänzen hat und führte rechtlich aus:
Depotvertrag oder darüber hinausgehende Vertragsbeziehung (wegen Durchführung von Ankauf/Verkauf der Genussscheine)
Das (reine) Depotgeschäft, bei dem die Bank die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere übernimmt (§ 1 Abs 1 Z 5 BWG) ist nach hM mangels Nennung in §°11 Abs 1 WAG keine Dienstleistung, die den Wohlverhaltenspflichten des WAG 1997 unterliegt. Es handelt sich um ein aus Verwahrungs- und Auftragsvertrag kombiniertes Geschäft, bei dem keinem der beiden Elemente eine bloß untergeordnete Funktion zugemessen werden kann. Hauptpflicht des Verwahrers ist die Obsorge für die anvertraute Sache (6 Ob 253/07k). Die Depotbank hat die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte (Zinsen, Dividenden) geltend zu machen und jährliche Depotaufstellung zu übermitteln. Bei Existenz eines externen Vermögensverwalters sind Banken nach Auffassung von Kalss/Oppitz/Zollner nur für die Aufbewahrung und technische Administration der bei ihr hinterlegten Werte zuständig und nur in Sonderkonstellationen (wie etwa bei Vorliegen von Kick-back-Vereinbarungen) auch zur Aufklärung und Warnung des Kunden verpflichtet. Auch Knobl/Grafenhofer stellen für die Beurteilung der Pflichten der Bank darauf ab, ob ihre Aufgaben (bloß) auf die Führung des Depots beschränkt sind oder ob sie auch die vom Anlageberater oder Vermittler übermittelten Orders (so zB Kauf- bzw Zeichnungsaufträge) ausführt.
Hat die RBB auch den An- und Verkauf der Wertpapiere durchgeführt (oder hätte durchführen sollen, was noch Feststellungen bedarf), so wäre sie zur Einhaltung der Wohlverhaltensregeln des WAG 1997 verpflichtet gewesen.
Wohlverhaltenspflichten des WAG 1997
§ 11 WAG 1997 enthält Wohlverhaltensregeln für Rechtsträger, die in seinem Abs 1 Z 1 bis 3 genannte Dienstleistungen erbringen. § 11 Abs 1 Z 1 WAG 1997 verweist auf § 1 Abs 1 Z 7 lit b bis f BWG und damit auf den Handel mit Wertpapieren auf eigene oder fremde Rechnung (lit e: Effektengeschäfte). Bei Erbringung gewerblicher Dienstleistungen, die mit Wertpapieren oder der sonstigen Veranlagung des Vermögens von Kunden in Zusammenhang stehen, müssen die Interessen der Kunden bestmöglich gewahrt werden. § 13 WAG 1997 konkretisiert diese Wohlverhaltenspflichten. Nach Z 1 dieser Bestimmung müssen die Rechtsträger bei Erbringung der angeführten Dienstleistungen mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse der Kunden vorgehen. Sie müssen sich außerdem um die Vermeidung von Interessenkonflikten bemühen und dafür sorgen, dass bei unvermeidbaren Interessenkonflikten der Kundenauftrag unter der gebotenen Wahrung des Kundeninteresses durchgeführt wird (Z 2); schließlich müssen sie ihren Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitteilen, soweit dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist (Z°4).
Nach den Wohlverhaltensregeln des WAG 1997 sind Beratung und Aufklärung nicht vom Kunden nachzufragen, sondern von den in § 11 WAG 1997 genannten Rechtsträgern anzubieten.
Im Fall einer Verletzung der Pflichten nach den §§ 13 und 14 WAG 1997 kann der Kunde Schadenersatz verlangen (§ 15 Abs 1 WAG 1997).
Treffen die Tatsachenbehauptungen des Klägers zu, so hat die Beklagte bei Anwendbarkeit des WAG zwei Pflichtverletzungen zu verantworten:
(1) Die Information, dass jener Rechtsträger, der die in Aussicht genommenen Genussscheine emittiert, ohne die für seine Tätigkeit erforderliche Konzession handelt, trägt wesentlich zur Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Rechtssubjekts und der von ihm angebotenen Form der Vermögensveranlagung bei. Sie ist daher wesentlich iSd § 13 Z 4 WAG 1997. War die Beklagte als "Hausbank" wirtschaftlich eng mit der Invest AG und der Emittentin verbunden und in den Vertrieb von deren Finanzprodukten eingebunden, so war sie verpflichtet, sich über das Geschäftsmodell der Emittentin und das Vorhandensein der dafür erforderlichen Konzessionen zu informieren. Unkenntnis könnte sie daher nicht entlasten.
(2) Wesentlich ist auch die Information über die bei An- und Verkauf der Genussscheine anzuwendenden Abwicklungsrichtlinien. Sie bringen der Invest AG den Vorteil, über die außerbörslichen Verkäufe der Genussscheine informiert zu werden und daran mitwirken zu können. Indem die Abwicklungsrichtlinien eine Verständigung und Mitwirkung der Invest AG bzw der Emittentin vorschreiben, schränken sie die Verkehrsfähigkeit (Fungibilität) der Genussscheine ein. Eine derartige Einschränkung der Verkehrsfähigkeit läuft den Interessen des Anlegers zuwider, weshalb auch darüber grundsätzlich aufzuklären ist. Spruchreife liegt hier aber nicht vor.
Haftung aus § 1009 ABGB
War das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen auf einen Depotvertrag beschränkt, so kommt nach dem bereits Gesagten ein Schadenersatzanspruch nach WAG 1997 nicht in Betracht. Allerdings ergibt sich eine Verpflichtung der Bank zur bestmöglichen Wahrung der Interessen des anderen Vertragspartners auch aus den zivilrechtlichen Bestimmungen über Rechte und Pflichten des Gewalthabers (§ 1009 ABGB). Als Verwalterin fremden Vermögens hat die Beklagte auch als (bloße) Depotbank die Pflicht, die Interessen des Auftraggebers bestmöglich zu wahren und ihn über wichtige Umstände aufzuklären. Die Kollision eigener Interessen mit jenen des Vertragspartners zählt zu wichtigen Umständen, über die aufzuklären ist. Bei der Vermögensverwaltung kann eine solche Interessenkollision etwa darin liegen, dass der Verwalter von einem Dritten Provisionen für bestimmte Anlageentscheidungen erhält (Kick-back-Zahlungen).
Interessenkollisionen, die erhöhte Informationspflichten auslösen, können aus einer Reihe von Gründen entstehen. So etwa auch aus der hier behaupteten engen wirtschaftlichen Verflechtung der Beklagten mit der Emittentin und der Invest AG beim Vertrieb der Genussscheine. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte durch mit ihr vereinbarte Abwicklungsrichtlinien Teil eines Vertriebssystems wurde, es hinnahm, dass die A*****-Gruppe das Vertrauen in sie als seriöse Bank in der Werbung für sich verwendete, und als Hausbank der A*****-Gruppe und ausschließlich berechtigte Depotbank ein Eigeninteresse am Vertriebserfolg hatte. Trifft dies zu, so kollidierten ihre eigenen Interessen mit jenen des Anlegers als Depotkunden. Dieser Interessenkonflikt löste - als Ausfluss vertraglicher Sorgfalts- und Treuepflicht - eine erhöhte Aufklärungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger aus.
Diese Aufklärungspflicht bezöge sich nicht allein auf die Interessenkollision als solche (also insbesondere auf die nach dem Vorbringen des Klägers bestehenden "Abwicklungsrichtlinien"), sondern auch auf alle anderen Umstände der Vermögensanlage, die einen Einfluss auf die Anlageentscheidung der Kunden haben konnten und von denen die Beklagte redlicherweise annehmen musste, dass sie diesen Kunden aufgrund der für die Beklagte erkennbaren Vorgangsweise der Invest AG und der Emittentin unbekannt waren. Dazu zählte gegebenenfalls auch das Fehlen einer für das Kerngeschäft der Emittentin erforderlichen Konzession.
Auch hier bedarf es in Bezug auf die Anspruchsgrundlage weiterer Feststellungen.
Kausalität und Rechtswidrigkeitszusammenhang
Sollte eine Verletzung von Aufklärungspflichten nach WAG 1997 und/oder § 1009 ABGB bejaht werden, sind Kausalität und Rechtswidrigkeitszusammenhang zu prüfen.
Die Kausalität wäre nach den Feststellungen des Erstgerichts im Grundsatz gegeben. Danach hätte der Kläger die Genussscheine nicht erworben, wenn die Beklagte ihre - allenfalls - bestehenden Informationspflichten erfüllt hätte. Hinzudenken des pflichtgemäßen Verhaltens führte daher zum Wegfall des Schadens.
Zu prüfen ist allerdings, ob dieser Schaden gerade von einer Art ist, wie ihn die verletzte Aufklärungspflicht von ihrem Schutzzweck her verhindern sollte. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang würde nämlich fehlen, wenn der Kunde bei ordnungsgemäßer Aufklärung zwar die fragliche Anlageentscheidung nicht getroffen hätte, sich dann aber eine Gefahr verwirklicht, die mit dieser Aufklärungspflicht in keinem Zusammenhang steht und über die entweder ohnehin aufgeklärt wurde oder nicht hätte aufgeklärt werden müssen.
Der Senat hat jüngst in der Entscheidung 4 Ob 62/11p ausgesprochen, dass es die bloße Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch eine unrichtige Beratung für sich allein noch nicht rechtfertigen kann, dem Berater die Haftung für einen Schaden aufzuerlegen, der mit dem Beratungsmangel in keinem inhaltlichen Zusammenhang steht. Präventions- und Sanktionserwägungen in Bezug auf die unrichtige Beratung reichen für sich allein zur Begründung der Haftung nicht aus. Anders verhält es sich aber dann, wenn zwar bezüglich eines bestimmten Risikos keine Aufklärungspflicht bestand, die Verletzung anderer Informationspflichten aber dazu führte, dass sich die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung dieses (letztlich eingetretenen) Risikos bei objektiver Betrachtung nicht bloß unerheblich erhöhte. In solchen Fällen ist anzunehmen, dass sich der Schutzzweck der verletzten Informationspflicht auch auf diese wahrscheinlicher gewordenen Folgerisiken bezieht.
Im vorliegenden Fall wird daher - als Voraussetzung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs - zu untersuchen sein, ob die mangelnde Aufklärung über die (allenfalls) fehlende Konzession der Emittentin und den Inhalt der Abwicklungsrichtlinien die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des tatsächlich eingetretenen Risikos nicht bloß unerheblich erhöhte.
Der bisher festgestellte Sachverhalt reicht für eine Beurteilung nicht aus. Es steht nämlich lediglich fest, dass die Emittentin ihrer Rückkaufsverpflichtung nicht nachgekommen ist und der Kläger die Genussscheine "derzeit" nicht verkaufen kann. Welches Risiko sich tatsächlich verwirklichte (Konkurs der Emittentin oder anderes Risiko) ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Es kann daher noch nicht beurteilt werden, ob ein Rechtswidrigkeitszusammenhang iSd Ausführungen des Senats zu 4 Ob 62/11p besteht.
Für den Fall, dass sich das Konkursrisiko verwirklichte - wofür Anhaltspunkte bestehen -, wäre der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung über die (allenfalls) fehlende (Bank-)Konzession und dem Eintritt der Insolvenz zu bejahen, weil das Risiko einer Insolvenz bei Vorhandensein einer Bankkonzession zweifellos geringer gewesen wäre, zumal Banken strengeren Geschäftsführungs- und Eigenkapitalvorschriften unterworfen sind als andere Unternehmen und zudem einer besonderen Aufsicht unterliegen. Dass die Nichtaufklärung über die Abwicklungsrichtlinien die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Insolvenz erhöht hätte, ist hingegen nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht anzunehmen. Der Kläger hat nicht behauptet, er habe verkaufen wollen, sei aber aufgrund der für ihn nachteiligen Abwicklungsrichtlinien daran gehindert worden.
OGH 09.08.2011, 4 Ob 50/11y
Klagevertreter: RA Dr. Erich Holzinger, Liezen
Anmerkung: Im 2.Rechtsgang (4 Ob 35/17a) wurde die Klage abgewiesen, weil das Vorliegen eines engen wirtschaftlichen Naheverhältnisses verneint wurde.