Zum Inhalt

Urteil: EuGH: Weite Auslegung von Geschäftspraktiken und UGP-Richtlinie

Betreibungsschritte von Inkassobüros können unlautere Geschäftspraktiken darstellen.

Im Ausgangsverfahren ging es um die Praktiken des Inkassobüros Gelvora, das Forderungen aus Verbraucherkreditverträgen von den abtretenden Banken erwarb und dann teilweise parallel zu Zwangsvollstreckungsverfahren, die nach rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen von Gerichtsvollziehern betrieben wurden, gegen die Schuldner Beitreibungsmaßnahmen ergriff. Vier Verbraucher beschwerten sich bei der zuständigen Behörde, die aufgrund von lauterkeitsrechtlichen Verstößen eine Strafe über das Inkassobüro verhängte.

Dieses argumentierte, dass das Setzen von Eintreibungsmaßnahmen nicht in den Anwendungsbereich der RL über unlautere Geschäftspraktiken (und deren Umsetzungsgesetze) falle, weil sie gegenüber den Verbrauchern keine Leistungen erbringe bzw. auch kein Produkt an diese vertreibe.

Der EuGH entschied, dass die UGP-RL 2005/29/EG in sachlicher Hinsicht das Rechtsverhältnis zwischen einer Inkassogesellschaft und einem zahlungsunfähigen Schuldner erfasst, gegen den aufgrund eines Verbraucherkreditvertrags eine Forderung besteht, die an diese Gesellschaft abgetreten wurde. Unter den Begriff "Produkt" im Sinne von Art 2 lit c UGP-RL fallen von einer solchen Gesellschaft angewandte Praktiken zur Forderungsbeitreibung. Hierbei ist der Umstand, dass die Forderung durch eine Gerichtsentscheidung bestätigt wurde und diese zur Vollstreckung an einen Gerichtsvollzieher übergeben wurde, unerheblich.


Gem Art 3 Abs 1 im Licht von ErwGr 13 ist die RL auf unlautere Geschäftspraktiken anzuwenden, die ein Unternehmen, auch außerhalb einer vertraglichen Beziehung, vor oder nach Abschluss eines Vertrags, im Anschluss an einen Vertragsabschluss oder während der Durchführung des Vertrags anwendet.

Daher umfasst der Ausdruck "unmittelbar mit... dem Verkauf... eines Produkts... zusammenhängt" jede Maßnahme, die nicht nur in Bezug auf den Abschluss, sondern auch in Bezug auf die Durchführung eines Vertrags ergriffen wird, insbesondere um die Bezahlung des Produkts zu erreichen.

Aus der Vorlageentscheidung ging hervor, dass die an Gelvora abgetretenen Forderungen aus einer Dienstleistung, nämlich einer Kreditvergabe, entstanden sind, wobei die Gegenleistung in der Kreditrückzahlung in Raten zuzüglich eines vorab vereinbarten Zinssatzes besteht.

Daher können Maßnahmen zur Beitreibung von Forderungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als „Produkt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken angesehen werden.

Eine Inkassogesellschaft erbringt für einen Verbraucher zwar keine Verbraucherkreditdienstleistung als solche; trotzdem fällt ihre Tätigkeit, die Betreibung der ihr abgetretenen Forderungen, unter den Begriff der möglicherweise unlauteren „Geschäftspraktiken“ im Sinne der UGP-RL, weil die von ihr ergriffenen Maßnahmen geeignet sind, die Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf die Bezahlung des Produkts zu beeinflussen.

Der EuGH verweist hier auch auf die grundsätzlich nicht bindenden "Leitlinien zur Umsetzung/Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken" vom 25. Mai 2016 (SWD[2016] 163 final) der Kommission, wonach Forderungsbeitreibungen als Geschäftspraktiken in der Nachverkaufsphase angesehen werden sollten. Außerdem geht aus den dort zitierten Beispielen hervor, dass eine Reihe nationaler Gerichte der Auffassung ist, die Tätigkeit von Inkassogesellschaften falle in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.

Zum einen können die Umstände, unter denen eine Forderung gegen einen Verbraucher betrieben wird, so bedeutend sein, dass sie geeignet sind, die Entscheidung des Verbrauchers, einen Kredit aufzunehmen, entscheidend zu beeinflussen, insbesondere dann, wenn Beitreibungsmaßnahmen Formen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden annehmen.

Zum anderen könnte die Nichtanwendung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf Kreditrückzahlungen bei einer Forderungsabtretung die praktische Wirksamkeit des dem Verbraucher durch die Richtlinie gewährten Schutzes gefährden, da Gewerbetreibende versucht sein könnten, sich den Schutzvorschriften dieser Richtlinie durch eine Abtrennung der Beitreibungsphase zu entziehen.

Der EuGH setzt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung iS einer weiten Auslegung der vollharmonisierenden UGP-RL fort.

EuGH 20.7.2017 C-357/16 Gelvora

Volltext:

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Unzulässige Gebühren der Unicredit

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die UniCredit BAnk Austria AG wegen mehreren Gebühren geklagt. Das OLG Wien hat fast alle der eingeklagten Klauseln für unzulässig erklärt.

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Ist eine Leistungsbeschränkung für das Krankentagegeld in den Bedingungen für eine Krankengeldversicherung nicht unter der Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“, sondern im Kapitel „Beendigung der Versicherung“ enthalten, ist sie ungewöhnlich und damit unwirksam.

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Der VKI hatte die ARAG SE Direktion für Österreich wegen drei Ausschlussklauseln in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2020) geklagt. Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH war nur noch eine Klausel davon, nämlich die sog Hoheitsverwaltungsklausel.

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Der VKI hatte die UNIQA Österreich Versicherungen AG geklagt. Inhalt der Klage waren 18 Klauseln aus den AVB für Lebensversicherungen. Während der VKI bereits in den Unterinstanzen die Mehrzahl der Klauseln rechtskräftig gewonnen hatte, waren noch drei Klauseln Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH. Der OGH bestätigte nun auch die Gesetzwidrigkeit dieser Klauseln.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang