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Urteil: FAGG-Rücktrittsrecht auch bei Matratzenkauf möglich

Eine Matratze ist auch nach Entfernung der Versiegelung noch verkehrsfähig.

Bei Fernabsatzgeschäften oder Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden, steht dem Verbraucher in der Regel ein Rücktrittsrecht zu.

Hiervon gibt es aber Ausnahmen, etwa bei "Waren, die versiegelt geliefert werden und aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, sofern deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde" (§ 18 Abs 1 Z 5 FAGG; Art 16 lit e VR-RL 2011/83/EU).
Ein Konsument kaufte eine Matratze bei einem Online-Händler. Die bestellte Matratze war bei der Lieferung mit einer Schutzfolie versehen, die der Konsument entfernte. Innerhalb der 14 Tage trat der Konsument vom Kauf zurück.

Für den EuGH besteht hier ein Rücktrittsrecht. Obige Ausnahme vom Rücktrittsrecht kommt nicht zur Anwendung:

Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Es soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Ausnahmebestimmungen vom Widerrufsrecht sind eng auszulegen.

Es ist die Beschaffenheit einer Ware, die die Versiegelung ihrer Verpackung aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen rechtfertigen kann. Wenn bei einer solchen Ware die Versiegelung der Verpackung vom Verbraucher entfernt wurde und daher ihre Garantie in Bezug auf Gesundheitsschutz oder Hygiene entfallen ist, kann sie möglicherweise nicht mehr von einem Dritten wiederverwendet und infolgedessen vom Unternehmer nicht mehr erneut in den Verkehr gebracht. Diese Ausnahme vom Rücktrittsrecht greift nur dann, wenn nach Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil es für den Unternehmer wegen ihrer Beschaffenheit unmöglich oder übermäßig schwierig ist, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wieder verkaufsfähig machen, ohne dass einem dieser Erfordernisse nicht genügt würde. Im gegenständlichen Fall ist nicht ersichtlich, dass eine solche Matratze, auch wenn sie möglichweise schon benutzt wurde, allein deshalb endgültig nicht von einem Dritten wiederverwendet oder nicht erneut in den Verkehr gebracht werden kann.

Insoweit genügt der Hinweis, dass ein und dieselbe Matratze aufeinanderfolgenden Hotelgästen dient, ein Markt für gebrauchte Matratzen besteht und gebrauchte Matratzen einer gründlichen Reinigung unterzogen werden können.

Außerdem kann eine Matratze im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden. Kleidungsstücke können anprobiert werden, um "die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise... festzustellen" und gegebenenfalls nach dieser Anprobe sein Widerrufsrecht durch Rücksendung an den Unternehmer auszuüben. Es steht aber außer Zweifel, dass zahlreiche Kleidungsstücke bei bestimmungsgemäßer Anprobe, wie es auch bei Matratzen nicht auszuschließen ist, direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, ohne dass sie deshalb in der Praxis besonderen Schutzanforderungen unterworfen würden, um diesen Kontakt bei der Anprobe zu vermeiden. Selbst bei direktem Kontakt dieser Waren mit dem menschlichen Körper kann davon ausgegangen werden kann, dass der Unternehmer in der Lage ist, sie nach der Rücksendung durch den Verbraucher mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen, ohne dass den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht genügt würde.

Dessen ungeachtet haftet der Verbraucher nach Art 14 Abs 2 der VR-RL 2011/83 (s § 15 Abs 4 FAGG) im Licht ihres 47. ErwGr für jeden Wertverlust einer Ware, der auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Ware nicht notwendigen Umgang zurückzuführen ist, ohne dass er deshalb sein Widerrufsrecht verlöre.

Zusammenfassung:
Eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, fällt nicht unter den Begriff "versiegelte Waren ..., die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde." Ein Rücktrittsrecht nach FAGG ist möglich.

EuGH 27.3.2019, C-681/17 (slewo/Ledowski)

Das Urteil im Volltext

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