Zum Inhalt

Urteil: Haftpflichtversicherung: vorweggenommener Deckungsprozess

Grundlage für die Prüfung, ob ein gedeckter Versicherungsfall vorliegt, ist der geltend gemachte Anspruch ausgehend von dem vom Geschädigten behaupteten Sachverhalt.

Die Klägerin ist Versicherte beim beklagten Haftpflichtversicherungsunternehmen.  Nach dem privaten Haftpflichtversicherungsvertrag erstreckt sich die Versicherung nicht auf vorsätzlich herbeigeführte Schäden, für die sie von Dritten verantwortlich gemacht werden (Art 7 Abs 2 Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHVB) 2012).

Die Klägerin und eine dritte Person trafen tätlich aufeinander. Die dritte Person zog sich hierbei Verletzungen zu. Die geschädigte dritte Person erhob mit Schreiben ihres Rechtsvertreters Schadenersatzansprüche gegen die Klägerin. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Körperverletzung  aus Vorsatz wurde eingestellt, weil im Zweifel von Notwehr auszugehen wäre. Bislang hat die Geschädigte gegen die Klägerin noch keinen Haftpflichtprozess eingeleitet.

Die Klägerin begehrte Deckungsschutz für diesen Schadensfall. Die Klage wurde abgewiesen:

Bei der Beurteilung des Wesens des Anspruchs des Versicherungsnehmers aus der Haftpflichtversicherung sind das Deckungs- und das Haftpflichtverhältnis zu unterscheiden. Es herrscht das Trennungsprinzip. Die Frage der zivilrechtlichen Haftpflicht des Versicherungsnehmers ist im Haftpflichtprozess zwischen ihm und dem Geschädigten zu klären, während der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers, wenn er strittig ist, zwischen ihm und dem Versicherer im Deckungsprozess geprüft werden muss. Die Frage, ob der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat, ist also von jener zu trennen, ob der Versicherungsnehmer dem Dritten Schadenersatz schuldet. Im Deckungsprozess sind deshalb Feststellungen über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen wurden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich.

Der von der Geschädigten geltend gemachte Schmerzengeldanspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung fällt unter den Risikoausschluss nach Art 7.2 AHVB 2012 und ist damit nicht gedeckt. Die Klägerin meint hingegen, sie habe die Körperverletzung der Geschädigten nicht vorsätzlich zugefügt, es liege daher kein Risikoausschluss vor. Entscheidend ist damit, welcher Sachverhalt der Beurteilung der Deckungspflicht zu Grunde zu legen ist. Gegenstand ist hier ein vorweggenommener Deckungsprozess, dh der Versicherungsnehmer begehrt die Feststellung der Deckungspflicht seines Haftpflichtversicherers bevor ein Haftpflichtprozess anhängig ist.

Grundsätzlich ist nach bisheriger Rsp der Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten durch das versicherte Risiko spezialisiert und von dem vom Geschädigten erhobenen Anspruch abhängig, dh unter Zugrundelegung des vom Geschädigten behaupteten Sachverhalts. Von diesem Grundsatz ist (auch beim vorweggenommenen Deckungsprozess) nicht abzugehen, andernfalls hätte es der Versicherungsnehmer in der Hand durch bloße, dem Anspruch des Geschädigten widersprechende, Behauptungen Deckung zu erlangen. Grundlage für die Prüfung, ob ein gedeckter Versicherungsfall vorliegt, ist daher der geltend gemachte Anspruch ausgehend von den vom Geschädigten behaupteten Sachverhalt. Damit bedarf es im vorliegenden Fall nur der Feststellung, welchen Anspruch der Geschädigte geltend macht und der Prüfung, ob dieser vom Versicherungsvertrag gedeckt ist. Feststellungen zum Tathergang sind entbehrlich, weil nicht entscheidungsrelevant.

Da die Geschädigte ihren Schmerzengeldanspruch auf eine der Klägerin vorgeworfene Vorsatztat stützt, ist die Deckung nach Art 7.2 AHVB 2012 ausgeschlossen. 

Sollte in einem späteren Haftpflichtprozess die Geschädigte ihren Anspruch abweichend davon auf fahrlässige Körperverletzung stützen oder wäre dies das Ergebnis des Haftpflichtprozesses, so ist dies als neue (gesonderte) Anspruchserhebung gegenüber dem Haftpflichtversicherten zu werten, die vom Versicherer ohne Bindung an den vorliegenden Deckungsprozess zu prüfen ist. Im vorliegenden Verfahren wird nämlich nur die Deckung des von der Geschädigten erhobenen Anspruchs formal, ohne den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, geprüft. Ergibt die Prüfung des Lebenssachverhalts im Haftpflichtprozess einen anderen Anspruch, so steht diesem der Ausgang des vorweggenommenen Deckungsprozesses nicht entgegen.

OGH 24.4.2019, 7 Ob 142/18k

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln

OLG Wien: 48 unzulässige Timesharing-Klauseln

Der VKI hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Das OLG Wien erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung.

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

OLG Wien: Dauerrabattklausel des Versicherers Allianz unzulässig

Der VKI klagte im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Allianz Elementar Versicherungs AG wegen deren Dauerrabattklausel und deren Kündigungsklausel. Das OLG Wien gab dem VKI Recht und erklärte die Klauseln für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig. Versicherungsnehmer:innen, die aufgrund der Dauerrabattklausel eine Nachforderung bezahlt haben, können diese nun zurückfordern.

OLG Graz: „Dauerrabatt“-Klausel der Grazer Wechselseitigen unzulässig

OLG Graz: „Dauerrabatt“-Klausel der Grazer Wechselseitigen unzulässig

Der VKI klagte im Auftrag des Sozialministeriums die Grazer Wechselseitige Versicherung AG wegen deren „Dauerrabattklausel“. Das OLG Graz gab dem VKI Recht und erklärte die Klausel – wie auch schon das Erstgericht – für unzulässig. Das Urteil ist rechtskräftig. Versicherungsnehmer:innen, die aufgrund der Laufzeitrabattklausel eine Nachforderung bezahlt haben, können diese nun zurückfordern.

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang