Der klagende Anleger hatte die Emittentin auf Feststellung in Anspruch genommen, dass ihm diese für alle sich künftig in seinem Vermögen ergebenden Schäden aus seinen Käufen der von ihr emittierten Aktien hafte. Begründet hat der Kläger seinen Anspruch damit, dass die Beklagte bewusst unrichtige Kapitalmarktinformationen gestreut, bilanzwirksam eigene Immobilien überbewertet und es unterlassen habe, wesentliche Informationen über ihre Geschäftsgebarung zu melden. Sie habe bewusste Marktmanipulationen vorgenommen. Der Kläger habe eigentlich vernünftig und risikoarm investieren wollen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass die Bejahung der Haftung gegenüber dem Kläger als Aktionär gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr des § 52 AktG verstoßen würde.
Die Auffassung des Erstgerichts ist nach der Rechtsprechung des OGH nicht haltbar. Der urteilende Senat verwies auf den 7. Senat, der bereits ausgeführt hatte, dass Prospekthaftungsansprüche schadenersatzberechtigter Gläubiger und deren Befriedigung keinen Tatbestand der Einlagenrückgewähr nach § 52 AktG darstellen, weil sie nicht causa societatis erfolgen. Der 6. Senat ergänzt nun in seinem Urteil, dass der Vorrang des § 11 KMG sich schon aus der lex posterior-Regel ergebe, da es sich hierbei um die spätere Bestimmung handelte. Auch teleologische Erwägungen stützten dieses Ergebnis, so der 6. Senat unter Berufung auf Rüffler (Rüffler, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht - Über eine schwierige Beziehung, ÖBA 2011, 699 [703]): Die für das Funktionieren des Kapitalmarkts so wichtige Verpflichtung, einen richtigen Prospekt zu publizieren, wäre nämlich weitgehend sinnlos, wenn der praktisch wichtigste Fall, nämlich die Haftung einer emittierenden AG, entgegen dem Wortlaut von § 11 KMG zu keiner wirksamen, weil spürbaren Sanktion, nämlich der Haftung der Emittentin führte. Bejahte man trotz des anerkannten Schutzgesetzcharakters der Bestimmungen über die kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten einen uneingeschränkten Vorrang der Bestimmungen über die Kapitalerhaltung, liefen zivilrechtliche Schadenersatzansprüche von Anlegern wohl in den meisten Fällen ins Leere, so der OGH.
Auch der rechtsvergleichende Befund stützt dieses Auslegungsergebnis Der deutsche Bundesgerichtshof sah Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien auf dem Sekundärmarkt als mit dem Kapitalerhaltungsgrundsatz vereinbar an (BGH II ZR 287/02).
Der OGH wies jedoch daraufhin, dass das Rechtsschutzziel des Klägers nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung mit dem Klagebegehren in der gewählten Form nicht erreicht werde. Ein Feststellungsbegehren käme nicht in Betracht, wenn bereits ein Begehren auf Geldersatz oder Naturalrestitution möglich wäre. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist, wenn der Kläger aufgrund der Fehlberatung von Seiten des Beklagten ein Finanzprodukt mit nicht gewünschten Eigenschaften erworben hat, der Schaden bereits durch den Erwerb eingetreten. Naturalrestitution besteht dann grundsätzlich in der Rückübertragung des Finanzprodukts Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises.
Der OGH verwies den Fall zwecks weiterer Feststellung an das Erstgericht zurück.
OGH 15.03.2012 , 6 Ob 28/12d
Anmerkung: Ohne dass in dem entschiedenen Fall bisher darauf ankam greift der OGH zuletzt eine teilweise in der Literatur vertretene Ansicht auf, die die Gefahr einer Überkompensation des Anlegers vermeiden möchte, indem sie einem Anleger einen Kursdifferenzschaden nicht ohne Rücksicht auf das von ihm zu vertretende allgemeine Marktrisiko zusprechen will. Der OGH äußert sich in seiner Entscheidung so, dass er diesen Überlegungen wohl grundsätzlich zustimmt.
Relevant dürfte diese Überlegung allerdings zum einen nur für die Fälle sein, wo der Anleger - wie hier - gegen den Emittenten Irreführung über konkrete Produkteigenschaften geltend macht; sprich: Der Anleger hätte - bei richtiger Aufklärung - auch Aktien gekauft, aber andere. Anders gelagert sind aber die Fälle, wo der Anleger - etwa gegenüber dem Berater - geltend macht, dass der Irrtum darin bestand, dass der Charakter der Veranlagung vertuscht wurde ("so sicher wie ein Sparbuch"). Hier ist das Marktrisiko ja der Schaden, denn es wäre ja bei einem Sparbuch gerade nicht aufgetreten.
Zum anderensind die Überlegungen nur relevant in Fällen, in denen der Anleger einen Differenzschaden geltend macht - also in den Fällen, in denen Anleger Aktien vor Inanspruchnahme des Beraters oder Emittenten bereits verkauft haben. Denn nur dann geht die Forderung nicht auf Ersatz des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe der Aktien sondern auf einen Ersatz in Höhe der Differenz zwischen urspünglich gezahlten Einstandspreis und erzielten Kaufpreis, wobei der erzielte Kaufpreis bei Verkauf zu einen anderen Zeitpunkt möglicherweise höher ausgefallen sein könnte.
Wie die Höhe eines solchen Schadens feststellbar ist und insbesondere wie ein durch das allgemeine Kursrisiko verursachter Schaden sich von den übrigen eingetretenen Schäden unterscheiden läßt, darauf geht der OGH nicht ein. Insoweit besteht hier höchste Rechtsunsicherheit.
Anlegern, die ein Verfahren wegen Falschinformationen oder Fehlberatung anstrengen wollen, ist es demnach zu raten, dass sie ihre Aktien vorerst, bis zum Ausgang eines gegen den Emittenten oder Berater/Vermittler angestrengten Rechtsstreits halten sollten, um sie sodann Zug-um-Zug gegen Erfüllung des Schadensersatzanspruches anbieten zu können.