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Urteil: Leistungsklage auch bei schuldhaft verhindertem Verkauf eines Wertpapiers

Laut OGH ist ein rechtliches Interesse an der bloßen Feststellung der Haftung des beklagten Wertpapierdienstleisters zu verneinen, wenn der geschädigte Anleger ein Leistungsbegehren („auf Naturalrestitution“) erhoben hat und nicht behauptet, dass ihm darüber hinaus künftige, derzeit noch nicht bekannte Schäden entstehen können.

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Wertpapierdepot, das ab 2001 unter anderem Immobilienaktien enthielt. Im Herbst 2007 fiel der Kurs dieser Aktien stark ab, weshalb der Vertreter der Klägerin mehrmals in Beratungsgesprächen mit einem Vorstandsmitglied der Beklagten die Absicht äußerte, die Papiere zu verkaufen. Jedes Mal wurde ihm darauf zu verstehen gegeben, dass ein Verkauf in der aktuellen Situation nicht empfehlenswert wäre, dies obwohl das Vorstandsmitglied zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis von internen Umständen hatte, die einen noch stärkeren Kurssturz ernstlich befürchten ließen. Der Vertreter der Klägerin nahm aufgrund der Äußerungen des Beraters von einem Verkauf Abstand, die Klägerin hält die Aktien nach wie vor.

In der Klage wird vorgebracht, der Vorstand der Beklagten habe seine Pflicht zu sorgfältiger, die Interessen der Anlegerin wahrender Beratung verletzt. Sie hätte andernfalls die Aktien unverzüglich zum damaligen Wert verkauft. Tatsächlich sei der Kurs weiter stark gesunken, sodass ihr ein konkreter, bereits bezifferbarer Schaden in Höhe der Differenz zwischen dem möglichen Verkaufspreis und dem niedrigeren Kurswert zum Zeitpunkt der Klagseinbringung entstanden sei. Das Klagebegehren ist auf Zahlung der Kursdifferenz zum frühestmöglichen Zeitpunkt (erster Beratungstermin), in eventu Zahlung der Differenz berechnet zum Datum des zweiten bzw dritten Beratungsgesprächs, weiters in eventu auf Zahlung des möglichen Kurswerts Zug um Zug gegen Herausgabe der Aktien, gerichtet. Ebenfalls eventualiter wurde die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige aus der Fehlberatung entstandene Schäden begehrt. 

Das Erstgericht wies alle Leistungsbegehren ab und gab dem Eventualfeststellungsbegehren statt. Es vertrat die Ansicht, die Beklagte habe einen Beratungsfehler zu vertreten. Allerdings komme, wenn es nicht um den Ankauf, sondern um den schuldhaft verhinderten Verkauf einer Anlage gehe, eine "Naturalrestitution" gegen Herausgabe der Papiere nicht in Betracht. Da die Klägerin die Aktien weiterhin halte und deren Kursentwicklung nicht absehbar sei, könne die konkrete Schadenshöhe noch nicht ermittelt werden.

Die Klägerin ließ die Abweisung ihrer Leistungsbegehren unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Das Berufungsgericht bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies die Klage zur Gänze ab.

Wie schon in der Entscheidung 8 Ob 129/10v vom 20.12.2011 ausgesprochen wurde, ist der üblicherweise als "Naturalrestitution" bezeichnete Ersatz eines entgangenen Verkaufserlöses Zug um Zug gegen Herausgabe des erhaltenen Vorteils in Form des Anlageprodukts auch im Fall eines schuldhaft vereitelten Verkaufs möglich und zulässig. Dementsprechend hat die Klägerin auch ausdrücklich ein Leistungsbegehren als Hauptbegehren gewählt. Der Umstand, dass sie dessen Abweisung durch das Erstgericht nicht bekämpft hat, kann das nur subsidiär bestehende Feststellungsinteresse nachträglich nicht mehr begründen, weil es dafür auf die Verhältnisse bei Schluss der Verhandlung erster Instanz ankommt.

Bereits die inhaltsgleiche o.g. Entscheidung 8 Ob 129/10v hat insbesondere in der Literatur heftige Kritik erfahren (siehe hierzu Kainz in ecolex 2012, 462): Die Klägerin mag zwar gegenständlich eine Beschädigung erlitten haben, dennoch werden ihr sämtliche Ansprüche aberkannt: Dem Feststellungsbegehren fehle es aufgrund der (theoretischen) Zulässigkeit des Leistungsbegehrens am Feststellungsinteresse. Dem Leistungsbegehren könne aber nicht mehr entsprochen werden, da die Klägerin damals gegen dessen Abweisung in erster Instanz keine Berufung erhoben hatte. Die Rsp, wonach ein Feststellungsbegehren neben einem Leistungsbegehren möglich ist, sei eben überholt. 

Aber warum sollte eine Partei gegen ein ihr Recht gebendes Urteil überhaupt berufen? Von den enormen Kostenfolgen einmal abgesehen. Geht es in Wahrheit nicht darum, einem Bürger zu seinem Recht zu verhelfen? Insbesondere, wenn offenbar ist und auch gerichtlich festgestellt wurde, dass hier eine unzureichende Aufklärung erfolgte? Die Frage, ob ein Feststellungsbegehren neben einem (theoretischen) Leistungsbegehren zulässig ist oder nicht, zu Lasten einer zum Schadenersatz berechtigten Partei zu beantworten, ist wohl mehr als unbillig! Wäre es nicht möglich und va gerechter gewesen, die Ansicht der Unterinstanzen für vertretbar zu erklären und das Feststellungsbegehren zuzulassen?

Dass es möglich ist, zeigt doch die Entscheidung 1 Ob 251/11k vom 31.01.2012. In diesem Urteil erklärt der OGH das Gegenteil: Ein Feststellungsbegehren ist wahlweise zum Begehren auf Naturalersatz zulässig!

OGH 24.10.2012, 8 Ob 39/12m
Klagevertreter: Kerres Rechtsanwalts GmbH in Wien

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