Zum Inhalt

Urteil: OGH im Zinsenstreit

In einem Musterprozess der AK Steiermark gegen die BAWAG hat der OGH zum einen eine typische Zinsanpassungsklausel aus der Zeit vor 1997 für gesetzwidrig und nichtig erklärt; zum anderen geht der OGH aber von einer Verjährung bereicherungsrechtlicher Rückforderungsansprüche innerhalb von drei Jahren aus. Das Urteil wirft damit mehr Fragen auf, als es löst.

Der Entscheidung liegt ein Verbraucherkreditvertrag aus dem Jahr 1991 zu Grunde (nach Aufstockung 1993: Kreditsumme: 820.000 ATS = 59.600 Euro / Laufzeit: 20 Jahre / 9,5 Prozent). Die im Vertrag enthaltene Zinsanpassungsklausel lautete: "Die BAWAG ist berechtigt, den vereinbarten Zinssatz in einem angemessenen Ausmaß abzuändern, wenn sich das Zinsniveau für Einlagen oder auf dem Geld- oder Kapitalmarkt verändert, bzw. kredit- oder währungspolitische Maßnahmen Änderungen auf dem Kreditmarkt bewirken. Eine Änderung der Kreditkonditionen kann zu einer Änderung der Anzahl und/oder der Höhe der Rückzahlungsbeträge führen."

Bis 1999 hat die BAWAG den Zinssatz des Kredites nur geringfügig erhöht und auch gesenkt ( die Zinsen auf Geld- und Kapitalmarkt waren in dieser Zeit stark fallend); erst 1999 kam es zu einer Zinssatzreduktion auf 5,25 %. Ebenfalls 1999 wurde zwischen den Vertragspartnern die neue Zinsgleitklausel der BAWAG (basierend auf SMR/EURIBOR/Halbe) vereinbart. Eine Durchrechnung des Kredites im Lichte dieser Parameter durch die AK Steiermark ergab eine Überzahlung von rund 200.000 ATS (= 14.540 Euro). Die Kreditnehmer haben die BAWAG auf Zahlung dieses Betrages geklagt. Während des Verfahrens haben die Kläger den gesamten aushaftenden Kredit rückgeführt.

Das Erstgericht wies die Klage - ohne Befassung eines Sachverständigen - ab. Durch die Rückzahlung hätten die Kläger die Forderungen der Bank "konstitutiv" anerkannt. Im übrigen würde die bereicherungsrechtliche Rückforderung von Zinszahlungen analog § 1480 ABGB binnen 3 Jahren verjähren.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung. Weder liege ein Anerkenntnis vor, noch seien die Forderungen verjährt.

Der OGH hat ein Anerkenntnis bzw. einen konkludenten Anspruchsverzicht ebenfalls verneint und dann zu den Kernfragen wie folgt erkannt:

1. Die Zinsanpassungsklausel verstößt gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG aF und ist unwirksam

Der OGH geht davon aus, dass Umstände für einseitige Preiserhöhungen im Vertrag nur dann klar umschrieben sind, wenn der Sachverhalt deutlich, eindeutig und unmissverständlich und nicht in Art von Generalklauseln dargestellt wird. Bei Bezugnahme auf verschiedene Umstände ist deren Verhältnis zueinander festzulegen. Die Bestimmung ist nur dann wirksam, wenn sich hinreichend deutlich erkennen lässt, innerhalb welcher Grenzen die Zinsveränderung vorgenommen werden darf, um so den Gestaltungsspielraum der zur Anpassung berechtigten Vertragspartei festzulegen und willkürliches Handeln zu Lasten der anderen Vertragspartei auszuschließen.

Die beurteilte Klausel knüpft an einer Vielzahl von Lebenssachverhalten an und umschreibt diese allgemein, generalklauselartig unter Verwendung von unbestimmten Begriffen. Die Klausel ist daher mangels Bestimmtheit unwirksam.

Die von der beklagten Partei für die Gültigkeit der Klausel zitierten OGH-Entscheidungen der Vergangenheit sind alle nicht einschlägig, weil jeweils das KSchG nicht anwendbar war. Die bereits rechtskräftigen Urteile von Untergerichten zur Wirksamkeit solcher Klauseln (HG Wien, ÖBA 2001, 995 und LG Salzburg, ÖBA 2002, 415) werden ausdrücklich abgelehnt.

(Damit hat der OGH - zu einer typischen und von vielen Bank so oder ähnlich verwendeten Klausel - erstmals klargestellt, dass auch nach der Rechtslage vor 1.3.1997 eine solche Klausel zu unbestimmt und daher unwirksam ist.)

2. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit

Mit der Unwirksamkeit der Beschreibung der Umstände der Zinsanpassung fällt aber nicht die gesamte Klausel weg und es ist kein Fixzinssatz zu unterstellen. Die Vereinbarung variabler Zinsen bleibt vielmehr bestehen und das Gericht hat eine Vertragsanpassung nach dem hypothetischen Parteiwillen vorzunehmen.

Der OGH hält dann (etwas vorschnell, da Aussagen eines Sachverständigen dazu fehlen) fest, dass eine Anwendung der neuen Zinsgleitklausel nicht dem hypothetischen Parteiwillen entspreche. Zum einen falle so der - bei Vertragsabschluss gewollte - Ermessensspielraum für die Bank weg und zum anderen hätte es 1991 den Parameter EURIBOR noch nicht gegeben.

Andererseits lehnt der OGH auch die Argumentation der BAWAG ab, eine Vertragsergänzung habe sich an einem Durchschnittszinssatz für vergleichbare Kredite zu orientieren. Der individuell vereinbarte Zinssatz verlöre so jede Bedeutung. Das Kreditinstitut ist - so der OGH - nicht berechtigt, einen zunächst mit dem Kunden vereinbarten Zinssatz im unteren Bereich durch Zinsanpassungen bei Änderung des Marktzinsniveaus einseitig in den oberen Bereich zu verlagern. Im Sinne einer "Anpassungssymmetrie" müsse die Klausel "zweiseitig" gelesen und angewendet werden.

Im übrigen wurde das Erstgericht beauftragt im zweiten Rechtsgang mit einem Sachverständigen objektive Parameter für eine Vertragsauslegung zu ermitteln.

(Es erweist sich an dieser Stelle als ungünstig, dass in diesem Verfahren noch kein Sachverständiger bestellt worden war, sodass der OGH sich nicht damit beschäftigen musste, dass gerade SMR und VIBOR/EURIBOR objektive Parameter für Geld- und Kapitalmarkt darstellen. Weiters legt der OGH nicht dar, wie bei einer nachprüfenden Kontrolle ein "Ermessenspielraum" für die Bank erhalten werden sollte. Tatsächlich wird man davon ausgehen müssen, dass die Bank diesen Ermessenspielraum durch die Verwendung einer gesetzwidrigen Klausel verspielt hat und dieses Ermessen nun auf das Gericht übergeht. Dieses wird nunmehr aber anhand objektiver Parameter mit klaren Regeln für den Zeitpunkt und das Ausmaß von Anpassungen, somit anhand einer Zinsgleitklausel, die Zinsanpassungen zu kontrollieren haben. Zu dieser Frage darf man sich in einer weiteren Entscheidung des OGH in einem Musterprozess des VKI im Herbst 2003 klarere Aussagen erwarten.)

3. Bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung zuviel bezahlter Zinsen verjähren innerhalb von drei Jahren

Der OGH legt zunächst dar, dass die Rückforderung von irrtümlich geleisteten Zahlungen, nach allgemeinen Regeln nach 30 Jahren ab Erbringung der Leistung verjährt und folgt dann aber den Argumenten von Madl (ÖBA 2001, 513) und insbesondere Vonkilch (WoBl 2003, 161 ff) für eine analoge Anwendung der kurzen dreijährigen Verjährungsfrist.

Der OGH stützt sich auch auf eine Entscheidung des BGH (NJW 1986, 2564), wonach der Bereicherungsanspruch bei der irrtümlichen Zahlung von Raten aus einem (dort aber zur Gänze) nichtigen Kreditvertrag sofort mit Zahlung entstehe und nicht erst nach Abschluss aller Ratenzahlungen. Damit würden aber regelmäßig wiederkehrende Rückzahlungen geschuldet. Diese Sicht ist die Basis für eine Analogie zu § 27 Abs 3 MRG und § 5 Abs 4 KlGG. Es gäbe nämlich keine Anzeichen, dass der Gesetzgeber Mieter weniger schützenswert halte, als Kreditnehmer.

Der OGH lässt es offen, wann genau die Verjährungsfrist beginnt; aus seiner Darstellung der Entscheidung des BGH kann man entnehmen, dass der OGH meint, dass die Verjährung jeweils mit der Zahlung der zuviel verrechneten Zinsen einsetzte.

( Das widerspricht allerdings dem Kontokorrent und es bleibt abzuwarten, wie das Erstgericht diese Frage tatsächlich lösen wird.)

Die Aufträge an das Erstgericht dagegen lassen diese Frage offen und ermöglichen auch die Argumentation, dass die dreijährige Verjährung erst mit der Überzahlung, also ab dem Zeitpunkt einsetzt, als der Kreditnehmer - bei richtiger Abrechnung - Zahlungen an die Bank geleistet hat, die er nicht mehr schuldete.

(Der OGH geht nicht darauf ein, dass diese Entscheidung des BGH einerseits einen andersgelagerten Sachverhalt betroffen hat - der gesamte Kreditvertrag war nichtig gewesen - und zum anderen aus heutiger Sicht nicht die herrschende Lehre und Judikatur in Deutschland wiedergibt. Die Verjährung von Ansprüche auf Rückforderung von zuviel berechneten Zinsen war in Deutschland zunächst strittig gewesen (vgl einerseits z.B. Canaris, ZIP 1986, 273, und andererseits z.B. Kohte, NJW 1986, 1591, mit Hinweis auf dem Stand von Rsp und Lehre). Die Rechtsprechung in Deutschland geht aber mittlerweile - genau zur vorliegenden Situation der Rückforderung von Zahlungen bei einem Annuitätenkredit - klar von der Anwendbarkeit der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB (30 Jahre) aus (vgl BGH 23.10.1990, NJW 1991, 220, und bereits BGH 2.10.1986, NJW 1997, 181; so auch zur Rückerstattung des Disagios: BGH 12.10.1993, NJW 1993, 3257; siehe hiezu Reifner, Die Anpassung variabler Zinssätze im Kreditverhältnis, JZ 1995, 86). Die Entscheidung des BGH vom 10.7.1986 (vgl BGHZ 98, 174), wonach der Rückforderungsanspruch innerhalb der kurzen Verjährungsfrist des für regelmäßig wiederkehrende Zahlungen geltenden § 197 BGB zu stellen sei, ist somit vereinzelt geblieben.

Zum anderen setzt sich der OGH nicht damit auseinander, dass bei einem typischen Annuitätenkredit der Kreditnehmer mit jeder Pauschalrate - nach der Berechnung der Bank - einen Teil Zinsen und einen Teil Kapital bezahlt. Wenn die Bank von einer Rate zuviel auf Zinsen und daher zuwenig auf Kapitalrückführung bucht, dann hat der Kreditnehmer zunächst nur einen Anspruch auf Richtigstellung der Verrechnung, nicht aber auf Rückzahlung des zuviel auf Zinsen verbuchten Anteils der Ratenzahlung (so OGH 22.2.1995, 7 Ob 1646/94; auch BGH 23.10.1990, XI ZR 313/89m, NJW 1991, 220). Erst wenn die korrekte Abrechnung ergibt, dass der Kreditnehmer keine Zahlung mehr zu erbringen hätte und er irrtümlich weitere Raten bezahlt, entsteht ein Anspruch auf Rückforderung des zuviel bezahlten.

Damit entfällt aber auch die Grundannahme für die Analogie zum Mietrecht: Der Mieter bezahlt monatlich den vorgeschriebenen Mietzins. Ist die gesetzliche Höchstgrenze überschritten, dann hat er - Monat für Monat - einen Anspruch auf Rückzahlung. Diese Situation liegt bei einem kontokorrent verrechneten Annuitätenkredit gerade nicht vor. (Vonkilch beschäftigt sich in seinem zitierten Artikel auch mit Leasingraten - die mit Mietzinsen vergleichbar sein mögen - und nicht mit der Zahlung von Pauschalraten bei Annuitätenkrediten.)

Darüber hinaus hinkt die Analogie zum Mietrecht auch noch in weiteren Punkten: Der Mieter wird durch den Gesetzgeber besonders geschützt, kann anhand der gesetzlichen Vorgaben die korrekte Höhe des Mietzinses überprüfen (lassen) und zuviel bezahlten Mietzins im kostengünstigen Außerstreitverfahren rückfordern. Der Kreditnehmer kann dagegen die Zinsanpassungen der Bank - gerade im Lichte unbestimmter Klauseln - nicht überprüfen und muss Rückforderungen im riskanten streitigen Rechtsweg durchzusetzen versuchen.

Der OGH hat also in seiner Entscheidung "Äpfel mit Birnen" verglichen.)

Die kurze Verjährungsfrist und damit Rechtsfrieden vor gerichtlicher Durchsetzbarkeit von berechtigten Ansprüchen sei nur zu rechtfertigen, wenn das Bedürfnis nach Rechtsfrieden berechtigt sei. Dies sieht der OGH im konkreten Fall für gegeben an: Zum einen sei die Gefahr gebannt, dass die Banken im Lichte von exorbitanten Rückforderungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten; zum anderen werde eine Flut von Prozessen vermieden, bei dem sich die Kläger (wie nett) einem hohen Prozesskostenrisiko aussetzen würden.

( Der OGH hat sich allerdings nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Verhalten der Bank nicht als "arglistig" - siehe Lombard-Club-Kartell - zu qualifizieren wäre und daher der Vorrang der Rechtssicherheit hier sicherlich nicht berechtigt wäre.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Unzulässige Gebühren der Unicredit

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die UniCredit BAnk Austria AG wegen mehreren Gebühren geklagt. Das OLG Wien hat fast alle der eingeklagten Klauseln für unzulässig erklärt.

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Ist eine Leistungsbeschränkung für das Krankentagegeld in den Bedingungen für eine Krankengeldversicherung nicht unter der Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“, sondern im Kapitel „Beendigung der Versicherung“ enthalten, ist sie ungewöhnlich und damit unwirksam.

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Der VKI hatte die ARAG SE Direktion für Österreich wegen drei Ausschlussklauseln in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2020) geklagt. Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH war nur noch eine Klausel davon, nämlich die sog Hoheitsverwaltungsklausel.

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Der VKI hatte die UNIQA Österreich Versicherungen AG geklagt. Inhalt der Klage waren 18 Klauseln aus den AVB für Lebensversicherungen. Während der VKI bereits in den Unterinstanzen die Mehrzahl der Klauseln rechtskräftig gewonnen hatte, waren noch drei Klauseln Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH. Der OGH bestätigte nun auch die Gesetzwidrigkeit dieser Klauseln.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang