Der klagende Versicherungsnehmer hatte im Jahr 2006 einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen. Seit 2008 ist er bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) zugrunde.
Die ARB 2003 lauten auszugsweise:
"Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten? [...]
3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalls außer Betracht bleiben.
Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)
1. Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintreten.
2. Löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Art 2.3 aus, besteht kein Versicherungsschutz. Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht."
Im Jahr 2016 trat die Klägerin vom Lebensversicherungsvertrag mit der Begründung zurück, ihr stehe aufgrund der mangelhaften Aufklärung über ihre Rücktrittsrechte ein derartiges Recht noch zu. Der Lebensversicherer lehnte den Rücktritt ab, weil die in § 165a VersVG genannte Rücktrittsfrist bereits abgelaufen sei.
Die Klägerin leitet aus einer behaupteten fehlerhaften Belehrung über ihr Rücktrittsrecht durch den Lebensversicherer ein unbefristetes Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag ab und begehrt vom Rechtsschutzversicherer Kostendeckung für die Geltendmachung von Bereicherungsansprüchen aufgrund des - nach Ablauf der in § 165a Abs 1 VersVG dafür vorgesehenen Frist - ausgeübten Rücktritts.
Die Klage gegen die Rechtsschutzversicherung wurde abgewiesen.
Nach Art 2.3 ARB 2003 liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er auch wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden. Die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Rahmen der Rechtsschutzdeckung für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen soll vermeiden, dass die Rechtsschutzversicherung mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet wird, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags bereits die "erste Stufe der konkreten Gefahrenverwirklichung" erreicht haben, also gewissermaßen "vorprogrammiert" sind.
Bereits in der behaupteten fehlerhaften Belehrung liegt der Keim der späteren Auseinandersetzung über die Wirksamkeit des außerhalb der Frist ausgeübten Rücktritts. Dieser allein maßgebliche Verstoß (fehlerhafte Belehrung) ist der Versicherungsfall. Die Bestreitung der Wirksamkeit des - außerhalb der Frist des § 165a Abs 1 VersVG erklärten - Rücktritts und die vom Lebensversicherer darauf gestützte Ablehnung der Rückabwicklung begründen hingegen keine (selbständigen) Verstöße, sondern sind, als Auseinandersetzung gerade über die Rechtsfolgen der behauptetermaßen fehlerhaften Belehrung, deren konsequente Folge. Dass ein bereits im Keim bestehender Rechtskonflikt, der erst nach Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags aktuell wird, nach dem Wortlaut des Art 2.3 ARB 2003 nicht gedeckt ist, ist einem durchschnittlich versierten Versicherungsnehmer einsichtig.
Die in Art 2.3 ARB 2003 normierte Jahresfrist bezieht sich bereits nach ihrem Wortlaut nur auf das Vorliegen - hier nicht gegebener - mehrerer Verstöße, sodass sie vorliegend nicht zur Anwendung kommt.
Bei Art 3.2 ARB 2003 handelt es sich um einen zeitlichen Risikoausschluss. Er begründet eine Erweiterung der Vorvertraglichkeit, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den späteren Verstoß ausgelöst hat. Art 3.2 ARB 2003 ist nicht maßgeblich, wenn die Willenserklärung (Rechtshandlung), um die es geht, schon selbst ein tatsächlicher oder behaupteter Verstoß ist. Da hier bereits die fehlerhafte Belehrung über das Rücktrittsrecht der für den Eintritt des Versicherungsfalls relevante Verstoß ist, kommt eine Anwendung des Art 3.2 ARB 2003 nicht in Betracht. Aus dieser zeitlichen Risikobegrenzung kann nicht - im Umkehrschluss - eine jedenfalls bestehende Deckungspflicht abgeleitet werden.
OGH 19.12.2018, 7 Ob 193/18k