Zum Inhalt

Urteil: OLG Wien: Irreführender MEL-Werbeprospekt berechtigt zur Arglistanfechtung

Nach dem aktuellen Urteil des OLG Wien gegen die Meinl Bank kann der Anleger den Erwerb von MEL-Papieren wegen Arglist anfechten. Im MEL-Werbeprospekt seien die Wertpapiere bewusst irreführend als Aktien bezeichnet worden, obwohl es sich um Zertifikate handelte. Konsequenz ist, dass die Rückabwicklung 30 Jahre lang möglich ist.

Die klagende Anlegerin hatte 2006 und 2007 von der beklagten Meinl Bank insgesamt 1500 MEL-Papiere erworben, im Vertrauen auf den guten Namen Meinl und den Werbeprospekt, der die Anlage als "besonders sichere österreichische" Aktie und Immobilieninvestment darstellte. Sie stützte die begehrte Rückabwicklung der Kaufverträge auf Irrtumsanfechtung und Schadenersatz. 

Das OLG Wien bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung, wonach der Irrtum der Anlegerin über Risiko und Charakter der Papiere als Geschäftsirrtum zu qualifizieren sei, der durch die irreführenden und falschen Angaben in der Werbebroschüre veranlasst wurde. Dass dem Erwerb eine (zusätzliche) Fehlberatung durch die Meinl Success voranging, eine 100 %-Tochter der Meinl-Bank, ändere daran nichts. Obiter führt das OLG Wien vielmehr aus, dass die Fehlberatung aufgrund des wirtschaftlichen Naheverhältnisses und der ständigen Vertriebsbeziehung nach neuer OGH-Judikatur (4 Ob 129/12t) der Meinl-Bank ohnehin zurechenbar wäre. 

Dass die Beklagte bewusst vermied, die Papiere als Zertifikate zu bezeichnen, sei eine vorsätzliche Täuschung, die - unabhängig davon, ob damit im Vergleich zum Erwerb von Aktien Nachteile für die Anlegerin einhergehen - schon deshalb zur Arglistanfechtung berechtigt, weil die Anlegerin die Papiere "aufgrund ihrer komplizierten Konstruktion und Unübersichtlichkeit nachvollziehbar abgeschreckt" nicht erworben hätte. 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das OLG Wien hat die ordentliche Revision nicht zugelassen.

OLG Wien 23.07.2013, 5 R 272/12z
Klagsvertreter: RA Mag. Erich Breiteneder


Anmerkung: 1. Die rechtliche Konstruktion von Aktien und Zertifikaten (ADC - Austrian Depositary Certificates) unterscheidet sich grundlegend: Aktien begründen ein unmittelbares Mitgliedschaftsverhältnis zur Gesellschaft. Die von der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) ausgegeben Zertifikate dagegen bilden die Anteilseignerstellung nur auf schuldrechtlichem Weg nach und ermöglichen die Handelbarkeit ausländischer Namensaktien an der österr Börse (dazu zB Kalss, ÖBA 2009, 350; Schima, RdW 2008, 572).

2. Zur Frage, ob Zertifikate ein aliud im Vergleich zu Aktien darstellen, deren Lieferung die Meinl Bank als Verkäuferin in Verzug setzt und damit dem Anleger als Käufer die Geltendmachung mittels Rücktritt für 30 Jahre (oder überhaupt unbefristet) eröffnet, hatte der OGH bereits Ende 2011 Stellung genommen und dies im Ergebnis verneint mit der Begründung, schon nach der Vertragsauslegung seien Zertifikate geschuldet (4 Ob 93/11x). In der Literatur war die Frage strittig: vgl Riedler, ÖJZ 2011/79 und Wilhelm, ecolex 2011, 1073 einerseits; Schauer, RdW 2011, 3 andererseits; differenzierend Vonkilch, RdW 2011, 718; Leupold, Zak 2012, 23; Geroldinger/Radler, JBl 2012, 175. 

Mit dieser Jud steht die vorliegende E des OLG Wien nicht im Widerspruch: Ob der Vertrag wegen Irrtums über den Charakter des Wertpapiers (Zertifikat vs Aktie) angefochten werden kann, hängt weder zwingend davon ab, ob ein aliud vorliegt bzw Verzugs- oder Gewährleistungsrecht anwendbar ist, noch davon, was nach der Auslegung des Vertrags geschuldet ist. 

3. Im konkreten Einzelfall sind sowohl die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur Kausalität der Aktieneigenschaft für den Erwerbsentschluss der Anlegerin als auch zum Vorliegen von Arglist nach Verwerfung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht nicht mehr revisibel: Beides sind Tatfragen, die vom OGH nicht überprüft werden können (§ 503 ZPO).

4. Die Zurechnung der Meinl Success als sog "Pseudoberater" an die den Kaufauftrag ausführende und depotführende Meinl-Bank analog § 43a VersVG hatte das OLG Wien unter Verweis auf 4 Ob 129/12t ua bereits zu 4 R 326/12h = VRInfo 2013, H3, 2 bejaht.

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

VKI: OGH beurteilt Kreditbearbeitungsgebühr der WSK Bank als unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums die WSK Bank wegen unzulässiger Klauseln in ihren Kreditverträgen geklagt. Jetzt liegt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vor: Dieser beurteilt diverse Gebühren und Spesenklauseln in den Kreditverträgen als unzulässig, darunter auch die Kreditbearbeitungsgebühr in Höhe von 4 Prozent. Betroffene Kund:innen der WSK Bank haben nach Ansicht des VKI Rückforderungsansprüche.

Timesharing-Anbieter Hapimag – 48 Klauseln unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte die Hapimag AG wegen unzulässiger Klauseln in den AGB ihrer Timesharing-Verträge geklagt. Die Hapimag ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die ihren Mitgliedern Ferienwohnungen, Apartments und Hotels zur Verfügung stellt. Der VKI beanstandete 48 Bestimmungen in Geschäftsbedingungen, Reservierungsbestimmungen, Buchungsinformationen und den FAQs des Unternehmens. Das Handelsgericht Wien (HG Wien) erklärte nun alle 48 angefochtenen Klauseln für unzulässig. Wichtigster Aspekt des Urteils: Verbraucherrechtliche Bestimmungen kommen trotz „Aktionärsstatus“ der Kund:innen zur Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Unzulässige Gebühren der Unicredit

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die UniCredit BAnk Austria AG wegen mehreren Gebühren geklagt. Das OLG Wien hat fast alle der eingeklagten Klauseln für unzulässig erklärt.

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Krankengeldversicherung: Geltungskontrolle

Ist eine Leistungsbeschränkung für das Krankentagegeld in den Bedingungen für eine Krankengeldversicherung nicht unter der Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“, sondern im Kapitel „Beendigung der Versicherung“ enthalten, ist sie ungewöhnlich und damit unwirksam.

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Unzulässiger Deckungsausschluss: Hoheitsverwaltungsklausel

Der VKI hatte die ARAG SE Direktion für Österreich wegen drei Ausschlussklauseln in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2020) geklagt. Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH war nur noch eine Klausel davon, nämlich die sog Hoheitsverwaltungsklausel.

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Unzulässiger Stornoabzug bei UNIQA-Lebensversicherung

Der VKI hatte die UNIQA Österreich Versicherungen AG geklagt. Inhalt der Klage waren 18 Klauseln aus den AVB für Lebensversicherungen. Während der VKI bereits in den Unterinstanzen die Mehrzahl der Klauseln rechtskräftig gewonnen hatte, waren noch drei Klauseln Gegenstand des Verfahrens vor dem OGH. Der OGH bestätigte nun auch die Gesetzwidrigkeit dieser Klauseln.

unterstützt durch das

Sozialministerium
Zum Seitenanfang