Der Kläger erwarb im November 2000 über das beklagte Kreditinstitut (seinen damaliger Arbeitgeber) P***-Aktien als Tilgungsträger für einen endfälligen Kredit. Die P***-KGaA (Sitz in Deutschland) gab im August 2000 einen "Emissionsprospekt", einen Verkaufsprospekt gemäß deutschem Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz 1998 heraus. Die in Österreich für ein öffentliches Anbot erforderlichen Maßnahmen wurden nicht gesetzt.
Im August 2007 wurde über die P*** ein Insolvenzverfahren eröffnet.
Bis zum Dezember 2012 gab es für die P***-Aktien keinen Prospekt für Österreich. Im Dezember 2012 erstellte die Beklagte ein "Prospektdokument/nachträglicher Prospekt" für die P***, derzeit in Liquidation. Dieser Prospekt enthält den Hinweis, dass es sich um einen nachträglichen Prospekt handelt und daher nicht als Anlageempfehlung, als Angebot oder als Zeichnungseinladung zum Erwerb von Wertpapieren zu verstehen sei.
Der Kläger wurde von der Erstellung des Prospekts durch die beklagte Partei nicht informiert.
Als der Kläger gegenüber der beklagten Partei mit Schreiben vom 17. Jänner 2013 seinen Rücktritt vom gegenständlichen Aktienkauf erklärte, teilte die beklagte Partei dem Kläger mit Schreiben vom 25. Jänner 2013 mit, dass sie die Ansprüche ablehne und außerdem mittlerweile eine Veröffentlichung des Prospekts erfolgt sei, weshalb ein allfällig bestandenes Rücktrittsrecht erloschen sei.
Der im Dezember 2012 erstellte Nachtragsprospekt wurde weder von der FMA noch von einer Behörde in Deutschland (wo die P***** ihren Sitz hat) gebilligt.
Im Februar 2004 wurde das Dienstverhältnis zwischen der beklagten Partei und dem Kläger einvernehmlich aufgelöst. Erst im Zuge des nunmehrigen Verfahrens, das mit Klage am 1. März 2013 eingeleitet wurde, hat die beklagte Partei den Kläger erstmals mit der Schadenersatzforderung in Gestalt der am 6. Mai 2013 in einem Schriftsatz eingewendeten und mit zumindest 145.000 EUR bezifferten Gegenforderung konfrontiert.
Der OGH führte dazu aus:
Das Rücktrittsrecht des Klägers setzt voraus, dass die vier von § 5 Abs 1 KMG statuierten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Eine fünfte Voraussetzung besteht insoweit, als das Rücktrittsrecht nicht nach § 5 Abs 4 KMG erloschen sein darf. Dieses Rücktrittsrecht "erlischt mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem der Prospekt oder die Angaben nach § 6 KMG veröffentlicht wurden" (§ 5 Abs 4 KMG). Der Verbraucher-Anleger muss sein Rücktrittsrecht gegenüber seinem Vertragspartner umgehend (sprich innerhalb der Frist von einer Woche) effektuieren, wenn nachträglich ein Prospekt veröffentlicht wird, der die erforderlichen Angaben enthält.
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Emittent zwischenzeitig insolvent und damit die seinerzeitige Investition möglicherweise wertlos geworden ist. Dazu ist jedoch festzuhalten, dass dann, wenn eine nachträgliche Prospektveröffentlichung zugelassen wird, deren Informationswert nur mehr für eine De-Investitionsentscheidung relevant sein kann. Aus diesem Grund muss ein Nachtragsprospekt diejenigen sachlichen Informationen enthalten, die für die De-Investitionsentscheidung von Relevanz sind, dh er muss auf die aktuelle Sachlage zum Zeitpunkt der Prospekterstellung und -veröffentlichung abstellen.
Anzuwendende Fassung des KMG
Aus § 17b Abs 3 KMG (idF BGBl I 2005/78) ergibt sich, dass für prospektpflichtige Angebote, die vor dem 10.8.2005 begonnen haben und vor dem 10.11.2005 abgeschlossen wurden (wie das hier zu beurteilende Angebot), die Veröffentlichung eines gemäß den Bestimmungen des KMG idF BGBl I 2003/80 errichteten und kontrollierten Prospekts gilt; speziell die §§ 2 und 8b Abs 3 KMG (idF BGBl I 2005/78) kommen dafür nicht zur Anwendung.
Verfahrensergänzung
Da das Erstgericht keine Feststellungen über die Prospektunterfertigung, den Prospekt-Kontrollvermerk, die Bekanntmachung in der Wiener Zeitung, die Hinterlegung bei der Meldestelle und zur ordnungsgemäßen Erstellung des Nachtragsprospekts und dessen Veröffentlichung iSd §§ 8, 10 KMG (idF BGBl I 2003/80) getroffen hat, war eine Verfahrensergänzung durch das Gericht erster Instanz unumgänglich.
Gegenforderung und Aufrechnung
Hinsichtlich der Frage zur Aufrechnung ist auf die tatsächliche Ausübung des Gestaltungsrechts abzustellen, weil erst dadurch ein möglicher Rückforderungsanspruch entsteht und nicht auf jenen Zeitpunkt, in dem der Berechtigte sein Gestaltungsrecht erstmals ausüben hätte können. Es besteht keine Pflicht, ein Gestaltungsrecht auszuüben bzw - wenn es ausgeübt wird - dieses zum frühestmöglichen Zeitpunkt auszuüben, weil ansonsten jede Ausübungsfrist ihren Sinn verlöre. Die Gegenforderung war zum Zeitpunkt der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Kläger bereits verjährt.
OGH 20.5.2015, 3 Ob 144/14v
Anmerkung:
Wurde gesetzwidrigerweise kein Nachtrag veröffentlicht, erlischt bei Veranlagungen das Rücktrittsrecht mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem die Angaben nach § 6 veröffentlicht wurden. Für Wertpapiere beträgt die Rücktrittsfrist seit 1.7.2012 nur mehr zwei Arbeitstage nach Veröffentlichung des Nachtrags (§ 6 Abs 2 KMG).