Anh I Nr. 29 der RL 2005/29/EG (RL über unlautere Geschäftspraktiken) bestimmt als aggressive Geschäftspraktik, die unter allen Umständen als unlauter gilt, insb die "Aufforderung des Verbrauchers zur sofortigen oder späteren Bezahlung … von Produkten, die der Gewerbetreibende geliefert, der Verbraucher aber nicht bestellt hat (unbestellte Waren oder Dienstleistungen)".
Zwei Telekommunikationsanbieter vermarkteten SIM-Karten, auf denen bestimmte Funktionen vorinstalliert und -aktiviert waren, wie Internetzugangs- und Mailbox-Dienste. Die Kosten für ihre Benutzung wurden dem Nutzer in Rechnung gestellt, wenn die Dienste nicht auf seinen ausdrücklichen Wunsch abgestellt worden waren, und zwar ohne dass der Nutzer zuvor darüber aufgeklärt worden war, dass es diese Dienste gab oder sie dann kostenpflichtig waren. Der Internetzugangsdienst konnte sogar ab dem ersten Einlegen der SIM-Karte in ein Mobiltelefon vom Benutzer unbemerkt zu Verbindungen führen, ua durch sogen. "Always‑on"(ständig verbunden)‑Anwendungen.
Art 8 der RL definiert eine "aggressive Geschäftspraktik" insb dadurch, dass sie die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf ein Produkt tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt. Daraus folgt, dass die Inanspruchnahme eines Dienstes eine freie Entscheidung des Verbrauchers darstellen muss. Dies setzt insbesondere voraus, dass der Gewerbetreibende den Verbraucher klar und angemessen aufklärt. Darüber hinaus ist der Preis, da er für den Verbraucher grundsätzlich ein bestimmender Faktor ist, wenn er geschäftliche Entscheidungen zu treffen hat, als eine Information anzusehen, die der Verbraucher benötigt, um eine solche Entscheidung in informierter Weise treffen zu können.
Vorliegend hat es den Anschein, dass die gegenständlichen Dienste auf den SIM-Karten vorinstalliert und aktiviert sind, ohne dass der Verbraucher hierüber zuvor angemessen aufgeklärt wurde, und dass der Verbraucher ebenso wenig über die Kosten für eine etwaige Benutzung dieser Dienste aufgeklärt wurde, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist. Wurde der Verbraucher jedoch weder über die Kosten der fraglichen Dienste noch über ihre Vorinstallation und aktivierung auf der von ihm gekauften SIM Karte aufgeklärt, dann beruht die Erbringung dieser Dienste nicht auf seiner freien Entscheidung. Insoweit ist es unerheblich, dass für die Benutzung der in den Ausgangsverfahren fraglichen Dienste in bestimmten Fällen möglicherweise eine bewusste Handlung des Verbrauchers notwendig war. Ohne angemessene Aufklärung über die Kosten des Internetzugangs und der Mailbox vermag eine solche Handlung nämlich keine Entscheidungsfreiheit bei der Erbringung der Dienste zu belegen.
EuGH 13. 9. 2018, C-54/17 (Wind Tre) und C-55/17 (Vodafone)