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Urteile: Bürgschaften vermögensschwacher Angehöriger

Zwei Entscheidungen des OGH zeigen, welche Umstände für das richterliche Mäßigungsrecht im Sinn des § 25d KSchG zu berücksichtigen sind.

In den folgenden Entscheidungen legt der OGH ausführlich dar, welche Umstände für das richterliche Mäßigungsrecht im Sinn des § 25d KSchG zu berücksichtigen sind:

Die klagende Partei erwirkte gegen den Ehemann der beklagten Konsumentin ein Versäumungsurteil über einen Betrag von ATS 241.530,--. Die anschließende Fahrnisexekution blieb ergebnislos, worauf die klagende Partei der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida übermittelte. Noch vor der strafrechtlichen Verurteilung schlug der Ehemann dem gegnerischen Klagevertreter vor, die aushaftende Schuld in monatlichen Raten zu je ATS 10.000,-- begleichen zu wollen. Die klagende Partei erklärte sich mit diesem Vorschlag nur unter der Bedingung einverstanden, dass entsprechende Sicherheiten (z.B. taugliche Bürgen) beigebracht würden und übermittelte dem Ehemann eine vorbereitete Ratenvereinbarung, in der ein Anerkenntnis der Forderungen im Gesamtbetrag von ATS 295.457,--, deren monatliche Abstattung in Raten zu je ATS 10.000,-- und die Übernahme der Haftung der Beklagten als Bürgin und Zahlerin vorgesehen waren. Der Ehemann forderte seine Frau auf, diese Verpflichtungserklärung zu unterfertigen und erklärte ihr, dass er andernfalls ins Gefängnis müsse.

Die Ehefrau war zur Zeit der Unterfertigung der Bürgschaftserklärung als Stubenmädchen beschäftigt, verdiente monatlich etwa ATS 12.000,-- netto und hatte keine Sorgepflichten. Sie verfügte über keine Ersparnisse und hatte auch keine Schulden. Die Eheleute wohnten im Haus der Eltern.

In weiterer Folge wurde über das Vermögen des Ehemanns der Konkurs eröffnet, sodass die Bürgschaft schlagend wurde. Die Beklagte wandte Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages wegen Sittenwidrigkeit und Irreführung ein.

Der OGH ging zwar von einem krassen Missverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Beklagten aus, verneinte aber die der klagenden Partei anzulastende "verdünnte Entscheidungsfreiheit" der Beklagten. Die Ankündigung des Ehemanns, ihm drohe sonst das Gefängnis, könne nicht der klagenden Partei zugerechnet werden. Die "verdünnte Entscheidungsfreiheit" der Beklagten sei somit allein von deren Ehemann herbeigeführt worden. Deshalb konnte die von der Beklagten übernommene Bürgschaft nicht von vornherein als sittenwidrig beurteilt werden.

Allerdings hatte die Schutzbestimmung für Interzedenten gemäß § 25c KSchG insofern Bedeutung, als die klagende Partei Informations- und Warnpflichten verletzt hatte. Der OGH führte aus, dass die Beklagte als Verbraucherin zu beurteilen sei und die Schutzbestimmung des § 25c KSchG selbst für den Fall ihrer Mitwirkung im Betrieb ihres Ehemanns anzuwenden wäre. Nach dieser Bestimmung hat der Gläubiger den Interzedenten darüber zu informieren, inwiefern die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners erwarten lässt, dass dieser seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht erfüllen wird. Im vorliegenden Fall war unbestritten, dass die klagende Partei mit der Beklagten vor Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung nicht Kontakt aufgenommen und sie nicht über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauptschuldners aufgeklärt hatte. Trotz unterbliebener Information und Warnung wird der Interzedent aber dann nicht befreit, wenn er seine Verpflichtung ungeachtet entsprechender Information übernommen hätte. Um eine Überforderung des Bürgen zu vermeiden, sei die Haftung im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.

Der OGH kam zum Ergebnis, dass die Beklagte aufgrund ihres monatlichen Nettoeinkommens und ihrer Schuldenfreiheit durchaus in der Lage wäre, für eine geringere Bürgschaftsverpflichtung einzustehen. Diesbezüglich fehlten ausreichende Feststellungen, weshalb die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Das Erstgericht hatte noch festzustellen, welche Verpflichtung die Beklagte gegebenenfalls trotz Unterlassung der nach § 25c KSchG gebotenen Information eingegangen wäre.

OGH 25.7.2000, 1 Ob 107/00t
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Die beklagte Türkin - der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig - hatte auf Wunsch ihres Vaters (ein Lebensmittelhändler) die Mithaftung für offene Krankenkassen-Beiträge übernommen.

Aufgrund rückständiger Krankenkassen-Beiträge stellte die Gebietskrankenkasse einen Konkursantrag, worauf der Vater der Beklagten um Ratenzahlungen ersuchte, die die klagende Krankenkasse von einer Besicherung durch Bürgschaftsvertrag abhängig machte. Der Beitragsrückstand betrug zu diesem Zeitpunkt ATS 90.924,--. Über Ersuchen ihres Vaters unterfertigte die Beklagte den Bürgschaftsvertrag, nachdem sie ihn durchgelesen hatte. Sie wusste ihm Zeitpunkt der Unterfertigung, dass die Firma in finanziellen Schwierigkeiten war. Der Vater übte keinen Zwang auf sie aus, um die Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages zu erreichen. Infolge Nichteinhaltung der Ratenvereinbarung wurde die Beklagte aus dem Bürgschaftsvertrag für die aushaftende Beitragsschuld von ATS 124.359,-- in Anspruch genommen.

Die beklagte Bürgin war in der Zeit von 1997 bis 1999 jeweils etwa zwei Monate pro Jahr in der Firma ihres Vaters halbtags als Dienstnehmerin beschäftigt und verdiente rund ATS 6.000,-- monatlich. In Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit erhielt sie eine Arbeitslosenunterstützung von monatlich etwa ATS 3.000,--. Seit 1999 ist sie als Büglerin mit einem Nettoeinkommen von ATS 10.000,-- monatlich beschäftigt.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Zahlung von 10% der aushaftenden Beitragsschulden und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Revision der Klägerin war zulässig und teilweise auch berechtigt.

Auch in diesem Fall wurde die eingegangene Bürgschaftsverpflichtung nicht schlechthin als sittenwidrig betrachtet. Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit mangelte es an der Unerfahrenheit oder seelischen Zwangslage, da die Beklagte zum Zeitpunkt der Haftungsübernahme nicht mehr im Haushalt des Vaters lebte und ihr Vater auch keinen Zwang ausübte, um die Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages zu erreichen. Im übrigen bestand ein wesentliches Eigeninteresse der Beklagten an der Besicherung der Beitragsschulden, zumal sie damit den Bestand des Unternehmens und dadurch auch ihren Arbeitsplatz zunächst sichern konnte. Die erforderliche "verdünnte Entscheidungsfreiheit" wurde aus diesen Gründen verneint.

Allerdings ging der OGH wiederum von einem krassen Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bürgin aus. Der OGH stellte ausdrücklich klar, dass die Bestimmung des § 25d KSchG auch im Verhältnis zwischen einer juristischen Person öffentlichen Rechts und einem Verbraucher in Ansehung eines zwischen ihnen geschlossenen privatrechtlichen Vertrages anzuwenden sei. In weiterer Folge legte der OGH ausführlich dar, welche Umstände im Falle einer richterlichen Mäßigung im Sinn des § 25d KSchG zu berücksichtigen sind:

1. Das Interesse des Gläubigers an der Begründung der Haftung des Interzedenten,

2. das Verschulden des Interzedenten an den Umständen, die das angeführte Missverhältnis begründet oder herbeigeführt haben,

3. den Nutzen des Interzedenten aus der Leistung des Gläubigers,

4. den Leichtsinn, die Zwangslage, die Unerfahrenheit, die Gemütsaufregung oder die Abhängigkeit des Interzedenten vom Schuldner bei Begründung der Verbindlichkeit.

Nach der Regierungsvorlage sei nicht allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Interzedenten abzustellen, sondern auch darauf, wie sich die Umstände bei der Inanspruchnahme des Bürgen darstellen. Eine Mäßigung komme allerdings nur dann zum Tragen, wenn die Umstände, die letztlich zum Missverhältnis zwischen der Verbindlichkeit des Mithaftenden und seiner Leistungsfähigkeit geführt haben, bei Vertragsabschluss dem Gläubiger erkennbar waren. Ein späteres Missverhältnis zwischen eingegangener Verpflichtung und Leistungsfähigkeit des Interzedenten könne mangels Erkennbarkeit für den Gläubiger eine Mäßigung im Sinn dieser Bestimmung nicht auslösen. Im vorliegenden Fall kam der OGH zum Ergebnis, dass eine Mäßigung der übernommenen Verbindlichkeit auf ein Drittel (sohin ATS 41.453,--) billig sei. Angesichts des von der Beklagten seit Mitte 1999 erzielten Nettoeinkommens von etwa ATS 10.000,-- hielt der OGH diese gemäßigte Verbindlichkeit auch unter Berücksichtigung des Existenzminimums für zumutbar.

OGH 28.6.2000, 6 Ob 117/00z
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