Ein Konsument hatte einen Flug von Salzburg nach Berlin-Tegel gebucht; die Entfernung zwischen diesen beiden Flughäfen beträgt weniger als 1 500 km. Der Flug hätte von Eurowings am 20. Oktober 2019 durchgeführt werden sollen, musste aber wegen eines Streiks des Kabinenpersonals dieses ausführenden Luftfahrtunternehmens annulliert werden. Der Konsument begehrte EUR 250,-- Ausgleichszahlung gemäß Art 7 Abs 1 lit a der Verordnung Nr. 261/2004.
Eurowings vertrat hingegen die Auffassung, dass die Annullierung des Streiks auf außergewöhnliche Umstände zurückginge. Nach Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO (EG) Nr 261/2004 ist ein Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Der EuGH verneinte hier das Vorliegen von solchen „außergewöhnlichen Umständen“:
Der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSv Art 5 Abs 3 der Fluggastrechte-VO ist eng auszulegen und umfasst Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind.
Bei einem Streik, dessen Ziel sich darauf beschränkt, gegenüber Luftfahrtunternehmen eine Gehaltserhöhung für das Kabinenpersonal durchzusetzen, handelt es sich insbesondere dann um ein Vorkommnis, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit ist, wenn es sich um einen rechtmäßigen Streik handelt. Da sich zudem sowohl die Sozialpolitik innerhalb einer Muttergesellschaft als auch die von ihr bestimmte Konzernpolitik auf die Sozialpolitik und ‑strategie der Tochtergesellschaften dieses Konzerns auswirken können, kann ein Streik, der von der Belegschaft eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem Streik ausgelöst wurde, den die Belegschaft der Muttergesellschaft führt, deren Tochtergesellschaft das ausführende Luftfahrtunternehmen ist, nicht als Ereignis angesehen werden, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens ist.
Als Zweites ist ein Streik zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen und/oder Sozialleistungen der Beschäftigten nicht als ein Ereignis anzusehen, das vom betreffenden Luftfahrtunternehmen in keiner Weise tatsächlich beherrschbar ist.
„Außergewöhnliche Umstände“ iSv Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO können insbesondere bei Streikmaßnahmen der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals vorliegen. Dagegen handelt es sich bei einem von den eigenen Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens ausgelösten und befolgten Streik um ein „internes“ Ereignis dieses Unternehmens; dies schließt auch einen durch den Streikaufruf von Gewerkschaften ausgelösten Streik ein, da diese im Interesse der Arbeitnehmer dieses Unternehmens auftreten. Liegen einem solchen Streik jedoch Forderungen zugrunde, die nur von staatlichen Stellen erfüllt werden können und die daher für das betroffene Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar sind, so kann es sich dabei um einen „außergewöhnlichen Umstand“ iSv Art 5 Abs 3 der Fluggastrechte-VO handeln.
Es handelte sich hier um Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen und/oder Sozialleistungen der Beschäftigten, die durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem Streik eingeleitet wurden, der gegen die Muttergesellschaft geführt wird, zu deren Tochtergesellschaften dieses Unternehmen gehört, an denen sich eine für die Durchführung eines Fluges unerlässliche Beschäftigtengruppe dieser Tochtergesellschaft beteiligt und die über die ursprünglich von der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft angekündigte Dauer hinaus fortgeführt werden, obwohl inzwischen eine Einigung mit der Muttergesellschaft erzielt wurde. Diese fallen nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSv Art 5 Abs 3 der Fluggastrechte-VO.