Im dem Musterprozess zugrunde liegenden Sachverhalt zeichnete die Anlegerin über Vermittlung der AvW Invest AG in den Jahren 2005 und 2007 Genussscheine an der AvW Gruppe AG. Beide Gesellschaften sind seit 2010 in Insolvenz. Ob ein Entschädigungsfall vorliegt, und die Anlegerentschädigungseinrichtung bis zum Höchstbetrag von EUR 20.000 pro Anleger-Schadensfall entschädigungspflichtig ist, ist daher für die Anleger zentral - und seit Jahren umstritten.
Der OGH hatte in mehreren E bereits zuvor klargestellt, dass die AeW auch für ehemalige Mitglieder haften muss und der Umstand, dass die Mitgliedschaft der AvW Invest im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits erloschen war, einer Entschädigung nicht entgegen steht (7 Ob 220/12x). Ebenso wurde ausgesprochen, dass Schuldverschreibungen und Genussscheine nicht von der Entschädigungspflicht ausgenommen sind (8 Ob 45/13w; 4 Ob 89/13m; 6 Ob 98/13z) und auch aus dem Eigenkapitalcharakter der AvW-Genussscheine mangels unzulässiger Einlagenrückgewähr keine Leistungsfreiheit abgeleitet werden kann. Bestätigt hat das Höchstgericht ferner eine Haftung dem Grunde nach, wenn auch nur ein mittelbares Halten der Kundengelder durch ein rechtlich oder wirtschaftlich verbundenes Unternehmen vorliegt, wie zB bei einer Verflechtung der Rechtsträger iSe Beherrschung oder einer weitgehenden Identität der Eigentümer (9 Ob 50/09g; 8 Ob 45/13w; 6 Ob 98/13z).
Dass letzteres aufgrund der engen Verflechtungen zwischen AvW Invest und AvW Gruppe vorliegt, hatte bereits das HG Wien in erster Instanz festgestellt und der Entschädigungsklage stattgegeben.
Nun hat das OLG Wien als Berufungsinstanz das Urteil bestätigt. In rechtlicher Hinsicht wurde vor allem die strittige Rechtsfrage, ob ein konzessionswidriges Halten von Kundengeldern in den vorliegenden Fällen verwirklicht ist, bejaht.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die ordentliche Revision wurde zugelassen.
OLG Wien 30.3.2015, 16 R 178/14k
Anmerkung:
Die Haftung der Entschädigungseinrichtung wurde vom OLG Wien auch im zweiten Parallelverfahren zu 16 R 219/14i bejaht. Auch dort wurde die ordentliche Revision an den OGH zugelassen.
In der E 1 Ob 242/12p hatte der OGH eine Haftung für die von der AvW Invest vermittelten Genussscheine an der AvW Gruppe dagegen noch verneint, weil bei fehlerhafter Anlageberatung die Vermögensverschiebungen zwischen den Gesellschaften nur Gesellschaftsvermögen, nicht aber Kundengelder betroffen hätten. Ausf dazu Rabl/Foglar-Deinhardstein, Anlegerentschädigung gemäß § 75 WAG für geschädigte AvW-Genussscheininhaber, ÖBA 2014, 838 ff.
Voraussetzung für die Entschädigungspflicht ist, dass der Entschädigungsanspruch vom Anleger innerhalb eines Jahres ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens angemeldet wurde (§ 76 Abs 2 WAG). Andernfalls ist der Anspruch präkludiert. Wird die Frist versäumt, besteht nur ausnahmsweise ein Anspruch, wenn der Anleger nachweisen kann, dass ihm eine zeitgerechte Anmeldung aufgrund besonderer Umstände nicht möglich war (zB Auslandsaufenthalt, Krankheit; § 93 Abs 3c BWG).
Wurden die Ansprüche aber seinerzeit fristgerecht angemeldet, besteht in Hinblick auf die musterhafte Klärung der Rechtsfrage durch den OGH für die Anleger derzeit kein Verjährungsrisiko: Der OGH hat bereits klargestellt, dass die Ansprüche in 30 Jahren verjähren. Somit kann auch ohne Einholung eines Verjährungsverzichts vonseiten AeW gefahrlos zugewartet werden, ohne dass eine Verjährung der Ansprüche droht.