Im Oktober 2003 kaufte der klagende Konsument von einem Gebrauchtwagenhändler einen Vorführwagen mit einer Laufleistung von 13.435 Kilometern zum Preis von 11.500 €. Im Übergabeprotokoll wurde bezüglich der Karosserie vermerkt "Einwandfreier Zustand, nur geringe Verbrauchsspuren und Verschleiß, regelmäßig gewartet, voll funktionstüchtig". Dieses Protokoll sollte als Grundlage für die einjährige Sachmängelhaftung des Beklagten dienen. Vier Wochen nach dem Kauf beanstandete der Kläger eine leichte Verformung des Kotflügels und des Stoßfängers vorne rechts. Nachdem der Beklagte die Beseitigung dieser Mängel abgelehnt hatte, erklärte der Kläger den Rücktritt. Seine auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage war in erster und zweiter Instanz erfolgreich.
Vor dem BGH stritten sich die Parteien entscheidend darum, ob dem Kläger die verbraucherfreundliche Beweislastumkehr des § 476 dBGB zu Gute kommt. Nach dieser Bestimmung wird bei dem Verkauf einer beweglichen Sache durch einen Unternehmer an einen Verbraucher regelmäßig vermutet, dass ein Sachmangel, der sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe an den Käufer zeigt, auch schon bei der Übergabe vorhanden war. Das gilt allerdings dann nicht, wenn diese Vermutung mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist. Da § 476 dBGB insofern der Regelung des § 924 S. 2, S. 3 ABGB entspricht, sind die folgenden Ausführungen des BGH auch für die österreichische Rechtslage interessant.
Nach einer in der deutschen Rechtslehre vertretenen Ansicht, der sich auch der Beklagte anschloss, soll die Vermutung des § 476 dBGB bei einer äußeren Beschädigung der Kaufsache nicht zur Anwendung kommen, weil ein solcher Mangel typischerweise jederzeit eintreten könne und so kein sicherer Rückschluss auf das Vorliegen des Mangels schon im Zeitpunkt der Übergabe der Sache möglich sei.
Dieses Verständnis des § 476 dBGB lehnte der BGH ab. Nach § 476 dBGB soll die Beweislastumkehr zu Gunsten des Verbrauchers die Regel sein, die Nichtanwendung hingegen die Ausnahme. Dem würde es widersprechen, die Vermutung eines Mangels bei Übergabe der Ware schon dann scheitern zu lassen, wenn es sich um einen Mangel handelt, der jederzeit auftreten kann. Bei einem solchen Verständnis würde die Beweislastumkehr schon immer dann ins Leere laufen, wenn der Entstehungszeitpunkt des Mangels nicht sicher feststellbar ist. Damit würde aber der mit dieser Vorschrift bezweckte Verbraucherschutz zu sehr ausgehöhlt. Nur wenn beim Gebrauchtwagenkauf äußerliche Beschädigungen nachträglich als Mangel gerügt werden, die auch einem fachlich nicht versierten Käufer beim Abschluss des Vertrages hätten auffallen müssen, würde die Vermutung des § 476 dBGB nicht zur Anwendung kommen.
Im Ergebnis konnte der BGH noch keine abschließende Entscheidungen treffen, da Feststellungen zu der Frage der Unerheblichkeit des Mangels gemäß § 323 V S. 2 dBGB (entspricht § 932 Abs 4 Satz 1 ABGB) fehlten. Bei einem unerheblichen Mangel wäre nämlich ein Rücktrittsrecht des Klägers ausgeschlossen.
BGH 14.09.2005 - VIII ZR 363/04