Es reicht für die Anwendbarkeit des Artikels 15 Abs 1 EuGVVO (Verbrauchergerichtsstand = Wohnsitz des Konsumenten), dass das Vertragsanbot nur online erfolgte und der Käufer nicht über die Internetseite des Händlers (sondern über Bekannte) vom Anbot erfahren hatte. Die Möglichkeit für Verbraucher, einen ausländischen Gewerbetreibenden vor den inländischen Gerichten zu verklagen, setzt überdies nicht voraus, dass der streitige Vertrag im Fernabsatz abgeschlossen wurde (so bereits der EuGH vom 7.12.2010, verbundene Rechtssachen C-585/08 und C-144/09 sowie EuGH vom 6.9.2012, C-190/11)). Als weitere Indizien des Ausrichtens auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers (hier Deutschland) sieht der EuGH Angaben zur internationale Vorwahl für Frankreich und zu einer deutsche Mobilfunknummer, die es den in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften potenziellen Kunden ermöglicht, die Kosten für ein Auslandsgespräch zu ersparen.
Zum konkreten Sachverhalt: Der Beklagte betreibt in Frankreich in einem Ort nahe der deutschen Grenze einen Gebrauchtwagenhandel. Er führte eine Internetseite mit näheren Angaben zu seinem Unternehmen, auf der französische Telefonnummern und eine deutsche Mobilfunknummer, jeweils mit internationaler Vorwahl, angegeben waren. Der Kläger, der seinen Wohnsitz in Deutschland (Saarbrücken) hat und über Bekannte (und nicht über die Internetseite) von dem Unternehmen des Beklagten erfahren hatte, begab sich dorthin und kaufte einen Gebrauchtwagen. In der Folge machte der Kläger vor dem Amtsgericht Saarbrücken Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend. Der Kläger vertrat dabei die Auffassung, das Amtsgericht sei nach Artikel 15 Abs 1 der Verordnung Nr. 44/2001 für eine solche Klage zuständig. Aus der Gestaltung der Internetseite des Beklagten folge, dass dessen gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet sei.
Das Amtsgericht wies die Klage zunächst als unzulässig ab. Das Berufungsgericht ist demgegenüber der Ansicht, dass die gewerbliche Tätigkeit des Beklagten auf Deutschland durch Angaben zur internationale Vorwahl für Frankreich und zu einer deutsche Mobilfunknummer auf der Homepage des Gewerbebetreibenden ausgerichtet war. Das Berufungsgericht legte aber die Frage, ob der Verbrauchergerichtsstand (also Deutschland) zur Anwendung komme, weil das zum Ausrichten der gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers eingesetzte Mittel des Händlers - hier: die Internetseite - für den Vertragsabschluss nicht kausal war, dem EuGH vor.
Die Begründung des EuGH
Der Wortlaut nach Artikel 15 Abs 1, lit c der Verordnung Nr. 44/2001 verlangt nicht ausdrücklich eine solche Kausalität.
Die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 15 EuGVVO (Verbrauchergerichtsstand) ist die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers. Eine zusätzliche, nicht in der Verordnung vorgesehene Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs liefe dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel zuwider, das im Schutz der Verbraucher besteht, die bei Verträgen mit einem Gewerbetreibenden als schwächere Vertragspartei gelten. Außerdem könnte das Erfordernis der vorherigen Konsultierung einer Internetseite durch den Verbraucher Beweisschwierigkeiten mit sich bringen, gerade wenn, wie im vorliegenden Fall, der Vertrag nicht im Fernabsatz über diese Internetseite geschlossen worden ist. Die Schwierigkeiten, die mit dem Beweis der Kausalität verbunden sind, könnten die Verbraucher davon abhalten, die nationalen Gerichte ihres Wohnsitzes anzurufen, wodurch der mit der Verordnung erstrebte Schutz der Verbraucher geschwächt würde. Demzufolge muss nach der Verordnung das zum Ausrichten der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers eingesetzte Mittel - hier: die Internetseite - nicht kausal sein für den Vertragsschluss mit diesem Verbraucher.
Allerdings kann dieser Kausalzusammenhang, auch wenn er keine Voraussetzung ist, ein Anhaltspunkt sein, den der nationale Richter bei der Feststellung berücksichtigen kann, ob die Tätigkeit tatsächlich auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist.
Ausrichten der gewerblichen Tätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat
Der EuGH beschäftigte sich schon mehrmals mit der Frage, welche Kriterien vorliegen müssen, dass Konsumenten Klage gegen die im Ausland sitzenden Unternehmen bei einem Gericht ihres Heimatstaates einbringen können. Aus der bisherigen Rechtsprechung (u.a. EuGH 17.10.2013, C-218/12; EuGH 7.12.2010, C-585/08) lassen sich folgende (nicht erschöpfende) Anhaltspunkte aufstellen, die die Feststellung erlauben, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist.
Zu diesen Indizien gehören insbesondere
- die Aufnahme von Fernkontakt
- der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz
- der Kausalzusammenhang zwischen eingesetztem Mittel des Händlers und Vertragsabschluss
- der internationale Charakter der Tätigkeit
- die Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus zu dem Ort, an dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist
- die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache
- die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl
- die Angabe einer Handynummer, die es den in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften potenziellen Kunden ermöglicht, die Kosten für ein Auslandsgespräch zu ersparen
- die Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern den Zugang zur Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers zu erleichtern
- die Verwendung eines anderen Domänennamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden und die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt.
Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob diese Anhaltspunkte vorliegen.
Hingegen ist die bloße Zugänglichkeit der Webseite des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, nicht ausreichend. Das Gleiche gilt für die Angabe einer elektronischen Adresse oder anderer Adressdaten oder die Verwendung einer Sprache oder Währung, die in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden die üblicherweise verwendete Sprache und/oder Währung sind (EuGH 7.12.2010, verbundene Rechtssachen C-585/08 und C-144/09).
EuGH 17.10.2013, C-218/12