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Urteil: OGH: Rücktrittsrecht bei fehlerhaftem Kapitalmarktprospekt

Besteht eine Nachtragspflicht iSd § 6 KMG, hat der Verbraucher auch ein Rücktrittsrecht nach § 5 KMG, wenn der veröffentliche Kapitalmarktprospekt fehlerhaft war. Dies gilt auch für von Anfang an vorliegende Unvollständigkeiten bzw Unrichtigkeiten des Prospekts.

Der Kläger erwarb über Beratung seiner Hausbank Anleihen. Aufgrund der Insolvenz der Emittentin erlitt er mit diesem Investment einen Totalverlust. Er klagte seine Hausbank auf Rückzahlung seines investierten Betrages, und stützte sich hierbei ua auf sein Rücktrittsrecht gem §§ 5 f KMG. Der Kapitalmarktprospekt sei - bereits von Anfang an - in mehrfacher Hinsicht unrichtig, unvollständig und irreführend gewesen. Die fehlenden bzw unrichtigen veröffentlichungspflichtigen Angaben hätten spätestens in einem Nachtrag zum Prospekt richtiggestellt werden müssen.

Gemäß § 5 Abs 1 KMG hat ein Verbraucher ein Rücktrittsrecht, wenn ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorhergehende Veröffentlichung eines Prospekts oder der Angaben nach § 6 KMG erfolgt.

Ein Nachtrag zum Prospekt (§ 6 Abs 1 KMG) ist zu erstellen, wenn
- zwischen der Billigung des Prospekts und dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots oder, falls später, der Eröffnung des Handels an einem geregelten Markt,
- ein wichtiger neuer Umstand auftritt oder eine wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben festgestellt werden,
- die die Beurteilung des Wertpapieres oder der Veranlagung beeinflussen könnten.
Im Nachtrag sind diese ändernden oder ergänzenden Angaben anzuführen.
Anleger (nicht nur Verbraucher) haben auch ein Rücktrittsrecht, wenn sie sich bereits zum Erwerb von Wertpapieren verpflichtet haben, bevor dieser Nachtrag veröffentlicht wird, wenn dieser neue Umstand, die Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit vor dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots eingetreten (§ 6 Abs 2 KMG).

Bisher wurde vertreten, dass das Rücktrittsrecht nur zusteht, wenn gar kein Prospekt veröffentlicht wurde, obwohl es ein die Prospektpflicht auslösendes öffentliches Angebot von Wertpapieren oder Veranlagungen gab, aber nicht, wenn ein Prospekt erstellt und veröffentlicht, sein Inhalt aber fehlerhaft war (5 Ob 56/11p). Die zu 5 Ob 56/11p vertretene Auffassung, die Veröffentlichung eines fehlerhaften Kapitalmarktprospekts schließe die Möglichkeit eines Rücktritts des Anlegers aus, kann nicht für Fälle gelten, in denen eine Nachtragspflicht im Sinn des § 6 Abs 1 KMG besteht bzw bestand, spricht doch § 5 KMG davon, dass das Rücktrittsrecht auch dann besteht, wenn die Verbraucher ihr Angebot "ohne vorhergehende Veröffentlichung [...] der Angaben nach § 6", also eines erforderlichen Nachtrags zum Prospekt, abgegeben haben.

Rücktrittsrecht auch bei von Anfang an vorliegenden Unrichtigkeiten bzw Unvollständigkeiten

Der Wortlaut des § 6 Abs  1 KMG spricht klar für die Ansicht, dass auch bereits ursprünglich vorhandene wesentliche Unrichtigkeiten bzw Unvollständigkeiten ein Rücktrittsrecht des Anlegers begründen können. Auch die historische und die teleologische Auslegung spricht dafür, dass schon ursprünglich bestehende Umstände von der Nachtragspflicht ebenfalls erfasst sind und somit ein Rücktrittsrecht besteht. Der OGH bejaht daher nun aber auch ein Rücktrittsrecht des Anlegers im Fall einer bereits ursprünglich bestehenden Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts.

Rücktrittsrecht nur für Erwerb während des öffentlichen Angebots

Da die Prospektpflicht nur für die Dauer des öffentlichen Angebots gilt, kann sich auch das daran anknüpfende Rücktrittsrecht nur auf den Erwerb der Wertpapiere oder Veranlagungen während dieses Zeitraums beziehen, und nicht auf einen Erwerb außerhalb dieses Zeitraums.

Ob dem Kläger - das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der §§ 5 und 6 KMG vorausgesetzt - ein Rücktrittsrecht zusteht, hängt also davon ab, ob er die Anleihen während des öffentlichen Angebots erworben hat. Diese Frage ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil der im Prospekt angegebene Angebotszeitraum im konkreten Fall schon abgelaufen war; hat sich doch die Emittentin ausdrücklich die Verkürzung oder Verlängerung des Angebotszeitraums vorbehalten.

Der Kläger hat in erster Instanz kein Vorbringen zur Frage erstattet, ob er die Anleihen während des Zeitraums des öffentlichen Angebots erworben hat. Im fortgesetzten Verfahren ist ihm Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen insoweit zu ergänzen.

Weiters ist zu klären, ob die vom Kläger ins Treffen geführten Fehler des Prospekts verpflichtend aufzunehmende Prospektangaben betreffen, deren Kenntnis geeignet ist, die Beurteilung der Wertpapiere zu beeinflussen; ob es sich dabei also um Umstände handelt, die ein nach ausschließlich sachlichen, somit nach kapitalmarktrelevanten Kriterien urteilender Anleger als anlageentscheidend erachten kann.

OGH 18.10.2016, 3 Ob 97/16k

Klagsvertreter: Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien

Das Urteil im Volltext.

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