Im zypriotischen Ausgangsfall wollte ein Staatsangehöriger der Republik Kasachstan mit der rumänischen Fluglinie Blue Air von Larnaka (Zypern) nach Bukarest (Rumanien) reisen. Der Fluggast war dabei im Besitz eines von Zypern ausgestellten befristeten Aufenthaltstitel und hatte sich vorab auf der Webseite des rumänischen Außenministeriums erkundigt, ob er ein Visum benötigte und dort die Auskunft erhalten, dass er aufgrund des von Zypern ausgestellten Aufenthaltstitels für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen kein Visum benötigte. Diese schriftliche Antwort legte er am Flughafen vor. Die Mitarbeiter von Blue Air verweigerten jedoch die Beförderung mit der Begründung, dass er ohne Visum oder ohne von den rumänischen Behörden ausgestellte Aufenthaltskarte nicht einreisen dürfe. Eine schriftliche Bestätigung der Ablehnung wurde ihm von den Mitarbeiter nicht ausgestellt. Er klagte daraufhin Blue Air auf Schadenersatz für Kosten des Flugtickets, des Hotels, der Gebühren für die Prüfung, die er in Bukarest ablegen hätte sollen, das Gehalt, das er von seinem Arbeitgeber für den gewährten Bildungsurlaub nicht erhalten habe, da er die Prüfung nicht ablegen hatte können sowie für immaterielle Schäden. Das zypriotische Gericht legte daraufhin mehrere Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH erklärte dabei zum einen, dass der Beschluss 565/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zu vereinfachten Regelungen für Personenkontrollen an den Außengrenzen, der die Grundlage auch für die Antwort des rumänischen Außenministeriums an den Fluggast war, dass er mit dem zypriotischen Aufenthaltstitel kein Visum für die Reise benötigte, unmittelbare Wirkung entfalte und zugunsten von Drittstaatsangehörigen Rechte begründe. Nach dem Beschluss müssten die betroffenen Mitgliedstaaten, zu denen unter anderem auch Rumänien und Zypern gehörten, die von dem jeweils anderen Mitgliedstaat ausgestellten Visa und Aufenthaltstitel als seinen einzelstaatlichen Visa gleichwertig anerkennen.
Der EuGH klärte weiter darüber auf, dass ein Luftfahrtunternehmen, das selbst oder durch seine Vertreter am Flughafen einem Fluggast unter Berufung darauf, dass die Behörden des Bestimmungsland dem Fluggast die Einreise verweigern würden, die Beförderung verweigert, nicht als eine dem entsprechenden Staat zuzurechnende Einrichtung sei. Der Fluggast könne sich daher nicht unmittelbar gegenüber dem Luftfahrtunternehmen auf seine aus dem Beschluss 565/2014 resultierende Rechte berufen. Es ist einem Luftfahrtunternehmen folglich aber auch untersagt, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, ohne dass eine nach dem Schengener Grenzkodex erlassene und mitgeilte Entscheidung des Bestimmungsmitgliedstaats vorliege, da andernfalls dem Fluggast die Möglichkeit genommen wäre, seine Verteidigungsrechte wirksam auszuüben.
Nach der Fluggastrechte-VO (EG) 261/2004 muss das Luftfahrtunternehmen einem Fluggast im Fall einer ungerechtfertigten Nichtbeförderung Unterstützungsleistungen und eine Ausgleichszahlung leisten. Eine Nichtbeförderung ist nach der Definition in Art 2 lit j Fluggastrechte-VO die Weigerung Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich nach den in der VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung vorliegen, wie zB unzureichende Reiseunterlagen. Der EuGH erklärte, dass sich aus dem Wortlaut der Fluggastrechte-VO ergäbe, dass der Unionsgesetzgeber den Luftfahrtunternehmen nicht die Befugnis einräumen wollte, selbst abschließend zu beurteilen und festzustellen, ob die Reiseunterlagen unzureichend seien. Das zuständige Gericht müsse daher beurteilen, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung gegeben waren.
Im Ausgangsfall, so der EuGH, habe der Fluggast aber nicht nur das Schreiben des rumänischen Außenministeriums gehabt, nach dem seine Unterlagen für die Einreise ohne Visum reichen würden, auch verfügte das Luftfahrtunternehmen über keine schriftliche Bestätigung über die Einreiseverweigerung im Sinne des Schengener Grenzkodex und es sei nicht einmal klar gewesen, dass die von den Mitarbeitern des Bodenpersonals in Zypern von Bukarest eingeholten Auskunft, dass dem Fluggast in Rumänien die Einreise verweigert werden würde, überhaupt von einer Behörde stammte, die für den Erlass einer solchen Entscheidung zuständig sei. Der EuGH ging zwar vor diesem Hintergrund nach den ihm vorliegenden Information bereits davon aus, dass im Ausgangsfall keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung vorlagen, verwies aber auf die Zuständigkeit des nationalen Gerichts dies im Ausgangsverfahren im Detail zu prüfen.
Schließlich fragte das vorlegende Gericht auch noch, ob es nach der Fluggastrechte-VO zulässig sei, dass eine Klausel in den allgemeinen Betriebs und Dienstleistungsbedingungen des Luftfahrtunternehmens die Haftung des Luftfahrtunternehmens für den Fall, dass einem Fluggast die Beförderung wegen angeblich unzureichender Reiseunterlagen verweigert werde, beschränke oder ausschließe und dem Fluggast etwaige Schadenersatzansprüche vorenthalte. Der EuGH verneinte dies. Nach Art 15 Fluggastrechte-VO dürften die Rechte der Fluggäste aus der VO nicht durch abweichende oder restriktivere Bestimmungen im Beförderungsvertrag ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die Klausel sei daher nicht zulässig.
EuGH 30.04.2020, C-584/18 (DZ/Blue Air)
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