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Urteil: Folgen der mangelhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht

Ein Konsument kaufte bei einem KfZ-Händler einen Gebrauchtwagen. Die vorangehende Kommunikation lief ausschließlich per Telefon bzw per E-Mail ab. Der Kaufvertrag wurde per E-Mail am 30.4.2018 abgeschlossen. Telefonisch war keine Rede davon, dass der Kaufvertrag vorbehaltlich einer Besichtigung gelten sollte; im Vertrag war die Wortfolge "Vorbehaltlich Besichtigung" enthalten. Der Verkäufer stellte in diesem Zusammenhang klar, dass vom Kaufvertrag kein Rücktritt möglich sein würde.

Am Tag der Übergabe am Firmensitz wurden vom Konsumenten kleine Kratzer festgestellt, weswegen sie sich einigten, den Kaufpreis um 200 EUR herabzusetzen. Im Hinblick auf die Änderung des Kaufpreises unterfertigte der Konsument in den Geschäftsräumlichkeiten des Händlers einen weiteren Kaufvertrag sowie Garantieunterlagen, wobei er nicht davon ausging, einen weiteren Kaufvertrag zu unterfertigen, sondern meinte, der zweite Kaufvertrag habe lediglich etwas mit der Garantie zu tun. Dieser zweite Kaufvertrag war mit dem ersten Kaufvertrag bis auf den nunmehr ausgewiesenen Kaufpreis von 30.800 EUR und den (nunmehr) gestrichenen Passus "Vorbehaltlich Besichtigung" deckungsgleich.

Der Konsument war zu keinem Zeitpunkt vom Verkäufer über das Bestehen eines Rücktrittsrechts oder die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung dieses Rechts unter Zurverfügungstellung eines Muster-Widerrufsformulars belehrt worden.

Am 2.4.2019 trat der Konsument nach § 12 FAGG vom Kaufvertrag zurück. Diesen Rücktritt akzeptierte der Verkäufer nicht. Der Konsument klagte auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises. Der Klage wurde stattgegeben.

Welcher Kaufvertrag?
Der Verkäufer argumentierte, dass nicht der Kaufvertrag vom 30. 4. 2018 zustande gekommen sei, sondern jener in den Geschäftsräumen, sei ersterer doch "Vorbehaltlich Besichtigung" gewesen; eine solche sei jedoch nicht erfolgt. Das Erstgericht ist aber der Aussage des Klägers gefolgt, dass im Zuge des telefonischen Gesprächs mit dem Verkäufer der Beklagten nie davon die Rede gewesen war, dass der Kaufvertrag vorbehaltlich einer Besichtigung gelten sollte; der Verkäufer habe ihm vielmehr erklärt, es sei kein Rücktritt möglich. Dieser (natürliche) Konsens der Parteien geht dem objektiven Erklärungswert, also auch dem allfälligen Urkundeninhalt, vor.

Für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem
Voraussetzung für einen Fernabsatzvertrag ist ua das Vorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems (§ 3 Z 2 FAGG). Maßgeblich ist, ob der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch - zumindest auch - auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann.

Es genügt, wenn der Vertrieb zumindest zum Teil im Fernabsatz erfolgen kann (bspw Geschäftslokal und Online-Verkauf). Nicht ausreichend sind zwar Websites, der die Daten und der Leistungsumfang des Unternehmers zu entnehmen sind, wenn sie nur der Information des Verbrauchers und der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme dienen, darüber hinaus aber für den Geschäftsabschluss eine persönliche Kontaktaufnahme und ein Ausverhandeln des konkreten Vertragsgegenstands und der Vertragskonditionen erforderlich sind. Hingegen reichen Homepages für Warenvertrieb mit Produktpräsentation aus.

Ob die Kommunikation nach dem Vertragsabschluss oder die Erfüllung des Vertrags ebenfalls in Distanz oder - wie oft bei Lieferung der Ware durch den Unternehmer oder Selbstabholung durch den Verbraucher - unter persönlichem Kontakt der Vertragsparteien erfolgt, spielt keine Rolle, weil nach der gesetzgeberischen Vorstellung das Gefahrenpotenzial des Fernabsatzes nach dem Vertragsabschluss nicht mehr gegeben ist.

In der deutschen Sprachfassung des ErwG 20 der Verbraucherrechte-RL wird zwar "ein für die Lieferung" im Fernvertrieb organisiertes Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystem genannt. Auf die "Lieferung" wird allerdings in der englischen und französischen Sprachfassung kein Bezug genommen. Weichen die sprachlichen Fassungen einer Unionsvorschrift voneinander ab, so muss die Vorschrift anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden. Da nach österreichischem nationalem Recht die Lieferung der Vertragserfüllung zuzurechnen ist, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Anführung der "Lieferung" in ErwG 20 um eine sprachliche Unschärfe handelt, ist doch das typische Gefahrenpotenzial des Fernabsatzvertrags nach Vertragsabschluss typischerweise nicht mehr gegeben. Ebenso wird bei der Definition des Fernabsatzvertrags in Art 2 Z 7 Verbraucherrechte-RL nicht auf "die Lieferung im Fernvertrieb" Bezug genommen.

Dass das Auto vom Konsumenten am Firmensitz abgeholt wurde, schadet daher nicht für das Vorliegen eines für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystems.

Kein Benutzungsentgelt und keine Abgeltung des Wertverlusts
Der Verbraucher haftet in keinem Fall für einen Wertverlust der Ware, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß § 4 Abs 1 Z 8 FAGG über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (§ 15 Abs 4 Satz 2 FAGG). § 15 Abs 4 Satz 2 FAGG unterscheidet sich damit wesentlich von der früheren Bestimmung § 5g Abs 1 Z 2 KSchG. Rechtsprechung, die auf diesem beruht, ist überholt.

Das Widerrufsrecht soll den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz ist die vorvertragliche Information über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung.

§ 11 Abs 1 FAGG, der das Rücktrittsrecht normiert, und der auf Art 9 Abs 1 der Verbraucherrechte-RL basiert, ist als unionsrechtskonform anzusehen. Auch § 12 Abs 1 FAGG, der vorsieht, dass sich die Rücktrittsfrist um zwölf Monate verlängert, wenn der Unternehmer seiner Informationspflicht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG nicht nachgekommen ist, ist unionsrechtskonform.

OGH 20.5.2020, 6 Ob 36/20t

Das Urteil im Volltext.

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